Illustration große Sanduhr, durch die Sand läuft, daneben steht ein Mensch.
01.10.2021    Christian Buchholz
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In Kürze:

  • Longevity ist ein BioTech-Trend aus dem Silicon Valley, in den Unternehmen Millionen investieren.
  • Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der Mensch bis zu 150 Jahre alt werden kann.
  • Das österreichische Start-up The Longevity Labs setzt auf natürliches Nahrungsergänzungsmittel zur Förderung von Autophagie.

Es ist ein jahrhundertealter Menschheitstraum: Das ewige Leben. Zwar hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den vergangenen 100 Jahren fast verdoppelt, aber das scheint vielen Wissenschaftlern, Unternehmern und Investoren nicht zu genügen. Sie suchen nach Mitteln und Wegen, den Alterungsprozess des Körpers aufzuhalten. Neben großen Playern aus dem Silicon Valley beschäftigen sich auch Professor Sven Voelpel von der Jacobs University in Bremen sowie das österreichische Start-up The Longevity Labs mit dem Thema.

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Milliardenschwere Start-ups wollen die Utopie vom langen Leben Realität werden lassen. Was verbirgt sich hinter dem Stichwort Longevity?

Sven Voelpel: Longevity bedeutet, möglichst lange, aber auch gut zu leben – und momentan aus ökonomischer Sicht auch sehr viele Investitionen. Longevity ist vor allem in den USA ein brandheißes Thema. Das zeigt sich daran, dass sich an der Harvard University jedes Jahr mehrere Start-ups in diesem Bereich gründen.

Vedran Bijelac: Longevity ist mittlerweile ein Buzzword, ein komplett neuer Forschungszweig, eine neue Industrie, aber auch eine Lebenseinstellung. Das ganze Thema ist irrsinnig komplex. Deshalb freut es mich, dass es mehr und mehr in den Fokus der Gesellschaft rückt. Wenn wir Longevity rein als Wort betrachten, wird es salopp oft als Langlebigkeit oder Synonym für Lebenserwartung verwendet. Das wird dem aber nicht ganz gerecht. Denn das Ziel der Start-ups in diesem Bereich ist es, die gesunde Lebensspanne zu verlängern und mit der Lebenserwartung zusammenzuführen.

Der Menschheit ist es gelungen, die Lebenserwartung zwischen 1920 und 2020 fast zu verdoppeln. Wie war das möglich?

Voelpel: Das Ziel von Longevity ist es, möglichst lange gesund, vital und glücklich zu leben. Die Wissenschaft trägt dazu bei, denn durch sie wissen wir mehr über Gesundheit, Schlaf und Ernährung. Das Wissen der Welt nimmt auch dank neuester Technologien rapide zu. Darauf baut der medizinische Fortschritt auf, der dafür verantwortlich ist, dass unsere Lebenserwartung ständig steigt. Gleichzeitig wird die Lebensqualität aber durch Alterskrankheiten wie Demenz und Alzheimer geringer. Der menschliche Körper hat einen natürlichen Selbstheilungsmechanismus. Deshalb kann man mit Ernährung, Bewegung und auch Vitalstoffmischungen das biologische Alter zurückdrehen. Genetische Tests zeigen, dass es Reverse Aging gibt. So konnten Probanden durch natürliche Methoden innerhalb von acht Wochen um fast zwei Jahre verjüngt werden. Wenn es Unternehmen gelingt, diesen Fortschritt mit Medikamenten zu erreichen, entsteht ein riesiger ökonomischer Vorteil.

Bijelac: Ich möchte zu den Ausführungen von Professor Voelpel noch die besseren ökonomischen Bedingungen ergänzen. Wir sehen vor allem in Schwellenländern eine bessere Versorgung mit Lebensmitteln und dadurch eine steigende Lebenserwartung. Die sanitären Bedingungen haben sich ebenfalls verbessert, was zu weniger Krankheiten und Seuchen geführt hat. Aber: Die Lebenserwartung steigt nicht kontinuierlich an; die Entwicklung kann sich auch schnell wieder umkehren. So wie in den USA, wo die Lebenserwartung zwischen 2014 und 2018 aufgrund von schlechter Ernährung, Fettleibigkeit und einer Opiatkrise wieder gesunken ist.

In den USA flossen bereits Milliarden Dollar an Venture Capital in Longevity-Start-ups. Schwappt der Trend jetzt auch nach Europa?

Bijelac: Die Welle ist definitiv schon da. Sie ist noch nicht so groß wie in den USA, aber es fließen schon sehr viele Millionen in diesen Bereich. Es vergehen keine zwei Wochen, in denen wir nicht auch von Venture-Fonds angesprochen werden. Wir haben das Glück, als kleines österreichisches Start-up ein vollkommen neues Produkt in einem bestehenden Longevi­ty-Markt in den USA zu etablieren. Dabei lernen wir auch sehr viel. Das versuchen wir nach Europa zu bringen. Unsere Lernkurve ist sehr steil.

„Making 90 the new 50 by 2030“ – das ist das Ziel der Non-Profit-Organisation Methuselah Foundation. Spinnerei oder tatsächlich machbar?

Voelpel: Das hat etwas mit Ernährung zu tun. Die westliche Ernährung mit Fast Food zeigt uns, dass es nicht selbstverständlich ist, dass das Lebensalter nach oben geht. Wir können die Lebenserwartung aber selbst stark steuern, zum Beispiel durch Autophagie, Ernährung und Bewegung. Aber wir überschätzen, was kurzfristig möglich ist und unterschätzen, was langfristig möglich ist. Ich glaube schon, dass 90 das neue 50 werden kann. Wann das oder was danach passiert, weiß ich nicht. Was wir heute allerdings schon wissen: Dass die Altersgrenze von 120 bisher erst einmal überschritten wurde. Aber Menschen wurden 119 Jahre alt, obwohl sie nicht nach optimalen Bedingungen gelebt haben. Aus wissenschaftlicher Sicht folgern wir daraus: Bei Optimierung aller Faktoren könnten wir 150 Jahre alt werden.

Angenommen, der Mensch kann seine Lebenserwartung abermals erheblich verlängern – welche Folgen hätte das für unsere Gesellschaft?

Bijelac: Für mich ist das ganz schwierig abzuschätzen. Ich würde das Thema nicht nur im Zusammenhang mit Longevity diskutieren, sondern mit dem technologischen Fortschritt durch zum Beispiel Künstliche Intelligenz, Automatisierung, den Einsatz von Robotern. Es gibt die angsteinflößenden Zahlen, dass in Zukunft viele Jobs obsolet werden könnten. Da stellt sich die Frage, was macht man mit den Menschen? Eine Alternative könnte vielleicht das bedingungslose Grundeinkommen sein.

Voelpel: Wir gewinnen Jahre und arbeiten länger. Deshalb beschäftigen sich Demografie und Politik vor allem mit der Frage: Wie finanzieren wir die Renten? Dafür bräuchten wir in Zukunft eigentlich mehr Beschäftigte. Dem ist aber nicht so, denn wir können die Produktivität durch den Einsatz neuer Technologien erheblich steigern.

Apropos Technologie: Wird die allein reichen, um unsere durchschnittliche Lebenserwartung auf über 100 Jahre zu bringen?

Voelpel: Einerseits nehmen uns neue Technologien und Gadgets ein Stück weit Verantwortung und schaden uns, andererseits nützen sie. Viele der Innovationen, von denen wir meinen, sie seien innovativ, sind eigentlich Rückschritte. Das sieht man bei Schuhen oder Stühlen. Die sind zwar durchaus hilfreich, schaden aber dem Körper. Deshalb braucht es eine Kompetenz zur richtigen Nutzung. Wir benötigen eine intelligente Kombination zwischen dem, was von Natur aus möglich ist, und dem, was technisch machbar ist.

Woran forscht die Longevity-Branche aktuell? Welche Ansätze sind besonders vielversprechend?

Voelpel: Innovationen sind vor allem durch vernetztes sowie interdisziplinäres Denken möglich. Deshalb können Impulse von verschiedenen Seiten beim Thema Longevity Früchte tragen. Dabei helfen zum Beispiel die Nanotechnologie und die Genetik, um DNA-Informationen zu entschlüsseln und zu verändern. Mit sehr schnellen Quantencomputern werden wir enorme Informationsverarbeitungskapazitäten erhalten, die das Tempo der Longevity-Forschung deutlich erhöhen werden. Oft ist das Ergebnis der Forschung aber auch, dass man weiß, was nicht funktioniert.

01.10.2021    Christian Buchholz
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