Gastbeitrag

The future of retail

Als Avatar auf Shopping-Tour

Einkaufen im Metaverse? Aber klar doch! „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich Transformation mit Energie und Konsequenz vorantreibe und verfechte. Das ist fast schon so etwas wie eine Lebensaufgabe für mich“, betont Tina Müller, Mitglied im Aufsichtsrat bei Douglas. „Aber ich führe auch ein analoges Leben.“ Und deshalb ist sie überzeugt: Digitale und analoge Einkaufserlebnisse werden sich künftig bestens miteinander vertragen.

14.06.2023

Ich stelle mir vor, wie ich bei Dior im Metaverse-Shop einkaufen gehe: Unverkennbar mit dunklen Locken und rotem Lippenstift flaniert mein Avatar in der digitalen Parallelwelt durch die Fragrance-Abteilung. Vorbei an dreidimensionalen „Miss Dior“-Flakons in limitierten Sammler-Editionen. Alles ziemlich rosa, alles ziemlich magisch.

Oder ich schaue mir im Web bei Prada sogenannte Skins an; also virtuelle Kleidung, die ich mir über meine virtuelle Kleiderstange hänge. Oder ich lasse mich im „Pillow Talk Party Virtual Beauty Wonderland“ inspirieren, der Metaverse-Boutique von Beauty-Pionierin Charlotte Tilbury.

Digitales und analoges Shopping sind kein Widerspruch

Als CEO einer Premium-Beauty- und -Health-Plattform war es fünf Jahre lang mein eigener Anspruch, die Trends von übermorgen schon heute zu kennen. Und das fiel mir ehrlich gesagt nicht schwer, denn ich liebe Shopping und Fortschritt. Und ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Und ich bin felsenfest von der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Digitalisierung des Einzelhandels überzeugt.

Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich Transformation mit Energie und Konsequenz vorantreibe und verfechte. Das ist fast schon so etwas wie eine Lebensaufgabe für mich.

Aber ich führe auch ein analoges Leben. Für die Begrünung meiner Dachterrasse, für die ich als leidenschaftliche Hobbygärtnerin regelmäßig viel Geld ausgebe, gehe ich am liebsten ins Gartencenter. Höchstselbst, nicht die digitale Tina. Ich mag es, am Samstag in meinem Lieblings-Gartencenter zu stöbern und einzukaufen. Vor allem Obst- und Gemüsepflanzen und Samen – das ganze Programm.

Die Leute dort kennen mich schon und wissen, dass meine Pflanzen robust sein müssen, weil ich viel unterwegs bin und deshalb leider wenig Zeit für sie habe. Auf die Gärtnerinnen und Gärtner meines Vertrauens und das reale Kauferlebnis will ich ungern verzichten – auch wenn es längst Gartenversandhäuser und Online-Biobaumschulen gibt, die übrigens ebenfalls erstklassige Einkaufserlebnisse und tolle Services bieten

Von Avataren und sowohl-als-auch-Einkaufserlebnissen

Für mich lassen sich aus diesen Episoden mindestens zwei wichtige Erkenntnisse für die Transformation beziehungsweise Digitalisierung des Handels ziehen.

Erstens: Jeder Mensch hat pro Einkauf eine individuelle Präferenzstruktur beim Shoppen. Während ich persönlich meine Pflanzen lieber im Laden kaufe, mir dafür aber zahlreiche andere Konsumgüter (und Dienstleistungen) ausschließlich im Internet besorge, halten es andere vermutlich genau andersherum.

Und trotz rasanten Fortschritts sind im stationären Handel immer noch und auf unabsehbare Zeit Einkaufserlebnisse möglich, die online nicht machbar sind: Das physische Erleben der Produkte, der individuelle Moment, hautnahe Eindrücke und der persönliche Kontakt zu den Menschen vor Ort können virtuell bisher nicht vergleichbar abgebildet werden. Hingegen bietet der digitale Handel Möglichkeiten, die stationär kaum möglich wären – eine gigantische Auswahl, Preisvergleiche, Kundenbewertungen, Konfigurationen und natürlich Lieferung nach Hause.

Online bedeutet vor allem: 24 Stunden Convenience. Was sagt uns das alles? Für den Handel gibt es kein eindeutiges Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch!

Zweitens: Die Tatsache, dass derart sensible Waren wie Pflanzen heute mühelos online bestellt werden können und dass wir als Avatare im Metaverse herumstöbern, zeigt, was möglich ist – und lässt erahnen, was noch möglich sein wird, wenn man allein an Künstliche Intelligenz (KI) und Internet of Things (IoT) denkt. Oder um es frei nach Moore zu sagen: Die Lernkurve und Entwicklungsgeschwindigkeit der Digitalisierung vollziehen sich rasend schnell, nämlich exponentiell.

E-Commerce und alle virtuellen Begleiterscheinungen sind aus dem Kundenverhalten von heute nicht mehr wegzudenken. Sie sind fester Bestandteil geworden, werden es bleiben und sich noch weiter entfalten. Auch tradierte Handelsunternehmen sollten sich darauf einlassen und diese Entwicklungen mitgehen, sonst werden sie links und rechts überholt oder besser: liegen gelassen. Erst recht dann, wenn die jungen, kommenden Generationen, die mit all dem digitalen Fortschritt von Kindesbeinen an aufwachsen, zu ihren Hauptzielgruppen werden.

Beide Punkte bergen für den Einzelhandel sowohl komplexe Herausforderungen als auch immense Chancen!

E-Commerce boomt

Der Einzelhandel von morgen wird genauso ein ganz anderer sein, wie der von heute es bereits gegenüber dem von gestern ist. E-Commerce boomt; spätestens mit der Pandemie haben wir den endgültigen Durchbruch erlebt. Im Grunde wurde durch Corona die Entwicklung nur beschleunigt. Und so schmerzhaft diese Zeit war, die hoffentlich nie wieder zurückkommen wird, so dankbar können wir für diese Katalyse sein. Warum? Weil sich eine unausweichliche Entwicklung Bahn gebrochen hat.

Im Jahr 2021 wurden im B2C-E-Commerce in Deutschland 86,7 Milliarden Euro umgesetzt, ein Plus von rund 19 Prozent im Vergleich zu 2020. Die Prognose für 2022 lag sogar bei 97,4 Milliarden Euro. Vor 20 Jahren noch waren es laut Statista gerade einmal 2,2 Milliarden Euro.

Was für eine rasante Entwicklung! In nur zwei Jahrzehnten ist das Volumen um das fast 50-Fache gestiegen. Das kann man mit Fug und Recht Disruption nennen. Laut einer Prognose wird sich die Anzahl der E-Commerce-Nutzer hierzulande im Jahr 2025 auf mehr als 68 Millionen belaufen, also auf beinahe die gesamte Bevölkerung.

Was wird online gekauft?

Die umsatzstärksten Warengruppen im deutschen Online-Handel 2021 waren Bekleidung und Elektronikartikel/Telekommunikation. Besonders hohe Zuwächse hatten die Warengruppen Lebensmittel, Medikamente sowie Do-it-yourself und: Blumen (!).

Der Gesamtumsatz mit E-Food stieg um fast 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf über 3,92 Milliarden Euro – dicht gefolgt von der Warengruppe „Drogerie“, wozu auch Kosmetik gehört, mit 3,73 Milliarden.

Die Zahlen bei Douglas bestätigen den Boom des E-Commerce eindrucksvoll: In den vergangenen zehn Jahren ist der E-Com-Umsatz um rund 1.600 Prozent auf knapp 1,2 Milliarden Euro gestiegen! Seit Beginn der Pandemie hat sich das Volumen im Digitalgeschäft noch mal verdoppelt. Und auch nach Ende der Lockdowns ist der Online-Handel nicht wesentlich abgeebbt. Trotz ihres hohen emotionalen Charakters haben Produkte aus Beauty, Duft, Kosmetik und Köperpflege eine starke Online-Affinität entwickelt. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass andere Kategorien wie zum Beispiel Arzneien folgen werden – sobald regulatorische Hürden und Hemmnisse fallen.

Wir haben es mit einer neuen Art des Wettbewerbs und mit digitalen Kundinnen und Kunden zu tun. Die Konsumentinnen und Konsumenten, denen sich der Einzelhandel heutzutage gegenübersieht, sind vernetzt, kennen ihre Bedürfnisse und Wünsche genau, sind gut informiert, wollen sich inspirieren lassen und verlangen rund um die Uhr nach einem einzigartigen Einkaufserlebnis.

Diese Ansprüche werden sich vor allem deshalb als Norm etablieren, weil die Millennials bald die Hauptkundengruppe mit einer großen Kaufkraft bilden werden, dicht gefolgt von der Gen Z. Beide Generationen wuchsen und wachsen digital auf: mit Google, mit Smartphone, mit Instagram und TikTok – und vermutlich auch mit Avataren.

Customer is king and queen – und die nächste Welle kommt

Im Grunde ist durch die digitale Revolution nichts Geringeres passiert, als dass wir in einen rigorosen Nachfrage- oder Käufermarkt gekippt sind. Und das ist gut so, für uns alle. Denn bis vor 30 oder 40 Jahren noch hat der Händler oder „Kaufmann“ seine Waren ins Regal geräumt und gesagt: „Dies ist mein Angebot, dies sind meine Preise – friss oder stirb!“

Das Angebot dominierte die Nachfrage. Natürlich gab es schon immer Wettbewerb: Sonderangebote, Preis- und Qualitätsabstufungen oder verschiedene Formate wie Discount und Premium. Aber der Einzelhandel war – mit Ausnahme der Versandkataloge – stark lokal geprägt. Und er hat sich lokal im Schwarm bewegt. Produkt- und Preisvergleiche waren im Wesentlichen nur über Postwurfsendungen möglich – oder man klapperte die verschiedenen Läden in der Nachbarschaft ab. Diese relative Lufthoheit wurde durch das Internet komplett ausgehebelt.

Quick Commerce stellt Händler vor Herausforderungen

Quick Commerce – wie wir ihn seit der Pandemie zum Beispiel immer mehr im Lebensmittelbereich aufkeimen sehen – ist stark im Kommen und insbesondere im Bereich Konsumgüter für „beide Seiten“ höchst attraktiv. Aber dieses Segment muss sich erst noch beweisen. Es ist ein sich wahnsinnig schnell bewegender Markt, und er könnte sich als weitere Brandungswelle der Disruption etablieren.

Das Meistern der „letzten Meile“ aus der Filiale heraus – bisher haben die Kundinnen und Kunden diesen Job übernommen: Sie steigen in ihr Auto, in den Bus oder aufs Fahrrad, fahren zum Geschäft, nehmen sich einen Einkaufswagen oder -korb, gehen durch den Laden und wählen ihre Produkte aus, gehen zur Kasse, bezahlen und fahren wieder nach Hause. Dieses kurze, aber aufwendige Stück Lieferkette muss nun der Händler erledigen.

Der Handel hat vor allem aus Profitabilitätsgründen lange am Quick Commerce geknabbert. Und so richtig durchgebissen hat sich noch keiner; wir sehen bereits erste Anzeichen einer Konsolidierung.

Aber in den Ballungszentren werden sich Anbieter mit smarten Konzepten verschiedener Ausprägung für unterschiedliche Handelssegmente festsetzen – auch und vor allem dank digitaler Unterstützung. Lebensmittel, Medikamente, Bekleidung, Elektronik, Kosmetik, vielleicht auch Pflanzen – wir werden das in den großen Städten in nicht allzu ferner Zukunft in wenigen Stunden oder gar Minuten geliefert bekommen.

Die Folgen der Transformation

In den USA hat sich das Start-up Instacart als On-Demand-Plattform für die Lieferung von Lebensmitteln etabliert. Bei diesem Geschäftsmodell werden persönliche Shopper losgeschickt; somit müssen Kunden nicht selbst zum Einkaufen in ihre örtlichen Supermärkte gehen. Ein Uber für Tomaten, Schinken, Toastbrot & Co.

Und in Deutschland fährt der Online-Supermarkt Picnic mit seinen Elektro-Transportern nach dem „Milchmann-Prinzip“, andere setzen auf optimierte Fahrradtouren. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich bis 2030 einige Modelle durchsetzen und unser Konsumverhalten in Zukunft maßgeblich beeinflussen werden.

Die Folgen der Transformation des Einzelhandels und des gewandelten Kundenverhaltens sind leider auch: Die Innenstädte verlieren zunehmend an Attraktivität und vor allem an Gesicht; manche Fußgängerzonen in strukturschwachen Regionen erinnern zunehmend an Geisterstädte. Auf einst belebten Einkaufsstraßen geben sich zunehmend Spielhallen, Schnellrestaurants, Ein-Euro-Shops und verklebte Fenster ein Stelldichein. Warenhäuser, Boutiquen, Fachgeschäfte, spezialisierte Familienbetriebe und „Traditionshäuser“ kämpfen ums Überleben. Diese Eintönigkeit bietet keine Nahversorgung und entfacht schon gar keine Magnetwirkung.

Persönliche Nähe in den Mittelpunkt stellen

Boris Hedde, Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH), mahnte bereits 2020: „Mehr denn je sind wir im Handel jetzt gefordert, den Paradigmenwechsel vorzunehmen. Auf das Zeitalter der Perfektion von Prozessen rund um Beschaffung und Absatzoptimierung folgt ein neues Zeitalter, dass die persönliche Nähe in den Fokus setzen muss. Es geht in der Zukunft darum, Handel immer mehr als Freizeitgut zu verstehen und so in der Branche eine komplett andere Wertewelt und ein neues Leistungsversprechen zu erschaffen.“

Erste Ansätze nach Corona sind bereits sichtbar und zeigen, dass bei wieder vernünftigen Mieten neue lokale Shops aufmachen, die sehr kuratiert und mit hoher Beratung ein innovatives Sortiment bieten. Darüber hinaus sehe ich die Chance der Innenstädte als Erlebnisraum für die ganze Familie mit Shopping, Freizeitangeboten, Gastronomie, Grünflächen, Kunst und Kultur. Ein ganzer Reigen an Attraktivität für soziale Zusammenkünfte, denn das hat die Zeit nach den Lockdowns auch gezeigt: Der Mensch will raus, um andere Menschen zu treffen.

E-Commerce vs. stationärer Handel? Stationärer Handel mit E-Commerce!

Online-Handel steht für viele in erster Linie für „Convenience“, stationärer Handel für „Erlebnis“. Beides sollten wir verbinden. Wie ich oben bereits geschrieben habe: Der Handel muss sich vom Entweder-oder lösen und viel mehr in Sowohl-als-auch denken! Deshalb müssten sich alle klassischen, stationären Einzelhändler spätestens JETZT darauf ausrichten und auf das veränderte Kundenverhalten einstellen. Natürlich gehen damit auch schwierige Entscheidungen einher. Die Frage lautet: Wie viel stationären Handel kann ich mir noch leisten? Wie viel Frequenz bleibt?

Auch Douglas betreibt jetzt nicht mehr an beiden Enden der Fußgängerzone eine Filiale, sondern nur noch eine mitten in der Einkaufsstraße. Aber die bietet dann eine echte Erlebniswelt! Der stationäre Handel muss sich partiell neu erfinden, innovativ und kreativ denken, mutig sein, Allianzen und Koalitionen schließen, sich auf die Digitalisierung einlassen – auf gut Deutsch: den Stier bei den Hörnern packen!

Jede Kundin und jeder Kunde braucht eine Antwort auf die Fragen: Warum soll ich in die Stadt gehen, wenn ich das auch bequem online erledigen kann? Warum soll ich einkaufen gehen, wenn der Einkauf zu mir kommt?

Was Kundinnen und Kunden am stationären Handel schätzen

Gerade in unserem Beauty-Business ist stationärer Handel unersetzlich. Aus Umfragen unter den europaweit rund 50 Millionen Kundenkarten-Inhaberinnen und -Inhabern wissen wir, was sie sich vom Filialgeschäft in Zukunft wünschen und warum sie weiter gern in den Store kommen: Es geht hier viel ums Ausprobieren, Sehen, Fühlen, Riechen, um Beratung und zusätzliche Services. Der persönliche Kontakt und die Nähe zum Menschen sind nur vor Ort möglich.

Douglas ist nicht ohne Grund Europas führende Beauty-Destination. Das meint einerseits die Online-Plattform und dasPartnerprogramm mit fast 300.000 Artikeln – und bedeutet gleichzeitig ein einmaliges, inspirierendes und aufregendes Einkaufserlebnis vor Ort. Wir wollen „beide Welten“ – online und offline – perfekt bespielen. Die Filiale wird zum Markenerlebnis und zum Showroom. Sie ist unerlässlich, um Produkte spürbar zu machen; das geht nicht mit Werbung allein. Sie soll ein Erlebnispunkt sein, der Kundinnen und Kunden langfristig bindet.

Nun werden viele kleine Händler sagen: „Die Müller hat gut reden, woher soll ich das Geld nehmen?“ Ja, Douglas ist ein großer Konzern, aber es geht auch im Kleinen! Selbst Mini-Boutiquen können Omnichannel! Das Internet ist keine Raketenwissenschaft mehr.

Also: Seid kreativ und mutig, bindet die Kundinnen und Kunden über tolle Beratung und Services und bietet ihnen einen gut gemachten Webshop! Denkt in alle Richtungen – zum Beispiel Online-Bestellungen, die die Kundinnen und Kunden dann im Laden abholen. Oder es wird per Taxi oder Fahrradkurier ausgeliefert. Wenn die Kundinnen und Kunden euch schätzen und loyal sind, werden sie auch Zusatzkosten für diesen Service tragen. Oder schließt euch zusammen mit Kolleginnen und Kollegen, verbündet euch mit anderen Shops. Es gibt IMMER Wege, man/frau darf sich nur nicht verschließen und hinter tradierten Denkmodellen verschanzen.

Kein Handelskonzept kann künftig rein stationär funktionieren, auch nicht für Medikamente

Ich sehe das bei den Apotheken, die sich mit Macht gegen den Online-Versandhandel in ihrem Metier stemmen. Diese Energie wird an der falschen Stelle eingesetzt – kein Handelskonzept kann künftig rein stationär funktionieren, auch nicht für Medikamente; es ist nur eine Frage der Zeit. Wer jetzt nicht den Fuß in der Tür hat, wird morgen vor der verschlossenen Tür stehen.

Was wir also brauchen, ist eine gekonnte Kombination aus stationärem Handel und E-Commerce, die es den Kundinnen und Kunden ermöglicht, nahtlos über verschiedene Kanäle so einzukaufen, wie es ihnen gefällt.

Worauf kommt es bei Transformationsprozessen an? Ich brauche Technologie und Know-how, um mich für die neue Welt aufzustellen. Ich brauche Mut, Vision, Strategie und Willen. Sprich: Ich brauche gute Köpfe in diversen Teams, die mutig und innovativ denken, schnell sind und entscheidungsfreudig. Was ich garantiert nicht brauche: Schwarz-Weiß-Malerei, die das eine verdammt und das andere vergöttert. Denkt holistisch, schaut von der Kundenseite her. Mehr Entrepreneur, weniger Kaufmann oder -frau.

Auch muss das Management der Zukunft durch den Wandel führen und die Mitarbeitenden mitnehmen; es bedarf eines Umdenkens. Mitarbeitende im stationären Handel fürchten den E-Commerce oft als Konkurrenz und Bedrohung für den eigenen Arbeitsplatz. Wir müssen diese emotionale Hürde durchbrechen: Ohne Online-Geschäft hat auch der stationäre Handel keine Chance. Ohne E-Commerce hätte Douglas die Lockdowns nicht ansatzweise so gut überstanden; möglicherweise hätten wir sie gar nicht überstanden.

So entscheidend wie Digitalisierung und Konzept ist dabei die Schulung des Personals. Es fehlt wie in anderen Branchen an Fachkräften. Im digitalen Entwicklungsland Deutschland bedarf es einer zeitgemäßen Ausbildung; das digitale Know-how steht für mich aber nicht an erster Stelle vor Mitarbeiterkompetenz im Transformationszeitalter. Es geht mir um Bereitschaft zum Wandel und auch um Persönlichkeit. Die Rolle des Verkaufspersonals wird sich mit Selbstbedienungskassen oder biometrischen Zahlungsverfahren komplett wandeln – hin zu Beraterinnen und Beratern mit Leidenschaft, die Emotionen wecken und Kunden binden.

Wie kann die Politik den Wandel im Commerce unterstützen?

Zum Abschluss möchte ich noch einen Ausblick geben – mit klaren Wünschen an die Politik. Der Einzelhandel wird sich bis zum Jahr 2030 auf sehr spannende Weise verändern, mit Big Data, KI, Augmented und Virtual Reality und vielleicht auch dem Metaverse. Spätestens jetzt muss jeder Einzelhändler auf den Zug aufspringen, um dabeizubleiben. Und auch die Politik auf allen Ebenen – bundesweit bis lokal – ist JETZT gefordert.

In meinen Augen brauchen wir dafür in erster Linie folgende Unterstützung der Politik:

1. Innovations- und Gründer-Förderung

In Lettland kann man angeblich ein Start-up in 20 Minuten online gründen, in Deutschland bedarf es dafür vermutlich Monate und zahlreicher Amtsgänge. Gründlichkeit und Akkuratesse sind lobenswerte deutsche Tugenden, aber wir müssen damit aufhören, unsere Vorsicht – oder gar „Angst“ – in übertriebene Bürokratie, Regulierung und Kontrolle zu übersetzen.

Es gibt den alten Witz: „In Frankreich ist alles erlaubt, was nicht explizit verboten ist. In Deutschland ist alles verboten, was nicht explizit erlaubt ist.“

Wir brauchen schnellere Genehmigungsverfahren sowie nachvollziehbare und pragmatische Vorschriften – das beginnt schon bei der Steuererklärung. Die digitale Revolution kommt einer tektonischen Plattenverschiebung gleich. Wenn sich der Handel hier neu ausrichten, orientieren und erfinden – und damit letztendlich überleben – soll, braucht er die Unterstützung der Politik! Sowohl im Digitalen als auch stationär. Allein das unerträgliche Gezerre ums E-Rezept lässt mich schier verzweifeln.

2. Eine andere Bildung

Spätestens bei Lockdowns und Home-Schooling ist brutal offensichtlich geworden, wie technologisch rückständig das deutsche Schulsystem ist. Ich bin noch mit Overhead-Projektor, Matrizendruck und Mikrofiche aufgewachsen.

So wahnsinnig viel scheint sich seitdem nicht getan zu haben; erst im Zuge der Lockdowns sind die Schulen notgedrungen in den digitalen Unterricht eingestiegen. Auch inhaltlich, also hinsichtlich des Lernstoffs: Fächer wie Digitalisierung, Unternehmensgründung, Business-Strategie, Innovations-, Change- und Risiko-Management sollten auf jeden Lehrplan höherer Stufen gehören. Mehr Realitäts- und Lebensnähe wäre wünschenswert. „Ihr habt nicht immer einen Taschenrechner dabei“, hat mein Mathelehrer damals gesagt. Wie sehr er irrte...

3. Infrastruktur, Innenstädte und Mobilität

Innenstädte müssen öffentlicher Raum für Begegnung werden, ein attraktiver Mix aus Shoppen, Kultur, Gastro, Wohnen, Coworking-Spaces, Veranstaltungen und verschiedenen Milieus – und das sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr! Miet- und Steuerbegünstigungen für kleine Händlerinnen und Händler! Weniger Ordnungsamt – mehr Raum für Spontanität, Freiheit und Improvisation!

In diesem Sinne möchte ich mich an dieser Stelle erneut für Sonntagsöffnungen aussprechen. Unter anderem dadurch könnten der stationäre Handel und die Innenstädte belebt werden. Das Internet, die Gastronomie und das Kulturprogramm haben schließlich auch am Wochenende geöffnet! Dafür lohnt ein neidvoller Schulterblick nach Skandinavien – zum Beispiel nach Kopenhagen mit seinen exzellenten Mobilitätskonzepten, durchmischten Milieus und Piazzas (oft am Wasser mit Badestellen), wie ich sie liebe.

Vom Wunsch zur Realität – das geht manchmal schneller als man denkt

Vieles vom hier Geschriebenen mag wie Wunschdenken oder Fantastik anmuten. Aber es gibt keine Macht, die den E-Commerce und dessen Voranschreiten im Handel aufhalten wird. Es war ja auch dereinst Wunschdenken, Pflanzen im Web zu kaufen. Oder sich Produkte in einem virtuellen, aber sehr plastischen Raum anzuschauen. Oder eine dringende Arztsprechstunde online vom heimischen Sofa aus zu machen. Oder abends um zehn innerhalb von wenigen Minuten frische Tomaten fürs Kochen geliefert zu bekommen.

Mir scheint immer mehr, dass die digitale Realität zusehends die gelebte Realität überholt. Digitalisierung ist keine Bedrohung, sondern Chance und Zukunft. Für uns alle. Vor allem aber ist sie: unaufhaltsam!

Es gibt einen Spruch: „There are three types of people: Those who make it happen, those who watch it happen and those who wonder what happened“. Diese Weisheit sollten wir alle verinnerlichen: insbesondere Handel und Politik. Nichts ist unmöglich. Wir haben es in der Hand, wir sollten uns nicht wundern. Wir müssen nur alte Denkmuster und gelernte Verhaltensweisen ablegen und offener und mutiger gegenüber Innovationen und neuartigen Konzepten werden.

Und zum Schluss etwas Schleichwerbung: Mein Lieblings-Gartencenter ist die Turkenburg in Hubbelrath. Unbedingt hingehen, ganz analog. Es lohnt sich – toller Laden!

Tina Müller

ist seit November 2022 Aufsichtsratsmitglied der Douglas Group. Zuvor war sie fünf Jahre lang CEO des Unternehmens. Sie wurde als Marketingvorstand und Geschäftsführerin bei Opel mit der Markenkampagne „Umparken im Kopf“ bekannt