Ein Thema, zwei Blickwinkel
Blockchain als Möglichmacher
Eine Technologie, um Daten zu Transaktionen fälschungssicher zu verwahren – und damit möglicherweise Notare und Banken, die klassischen Mittler zwischen zwei Vertragsparteien, überflüssig zu machen: Die Blockchain vermag einiges. Kein Wunder, dass Start-ups wie Großkonzerne Ideen entwickeln, verwerfen und neu auflegen, um das Beste aus der Technologie zu machen. Aber wie geht das in der Praxis eines Tech-Unternehmens – und wie bewerten Investoren diese Entwicklung? Ein Thema, zwei Blickwinkel: Leonie Flückiger ist Co-Founder von Adresta – dort wird die Blockchain genutzt, um Luxusuhren mit glaubhaften Zertifikaten zu versehen; Jan Siorak ist Fondsmanager bei der Deka – und investiert in Tech-Trends.
Leonie Flückiger
ist Co-Founder von Adresta. Zuvor war sie bei ETH Juniors Member of the Management Board
Jan Siorak
ist Fondsmanager bei der DekaBank – genauer: der gelernte Betriebswirt ist Senior Portfoliomanager. Immer im Fokus: Technologie
Wie oft winken Menschen ab, wenn Sie erzählen, was Sie beruflich machen?
Leonie Flückiger: Ich habe Materialwissenschaften an der ETH Zürich studiert. Damals waren einige Menschen schon irritiert, was das denn sei. Heute haben wir mit unserer Firma einen Vorteil: Wir nutzen zwar die Blockchain, aber der Ansatz ist greifbar. Sie sichert Informationen zur Uhr, macht Informationen nachverfolgbar. Darunter kann sich jeder etwas vorstellen. Die Blockchain leistet also die Arbeit, aber der Nutzer sieht nur die Oberfläche, etwa die der App.
Starten wir mit den Begriffen. Es begann mit der DLT, der Distributed Ledger Technology…
Flückiger: Genau. Viele denken als erstes an Bitcoin. Aber das ist nur eine Anwendung der Blockchain, sozusagen die Spitze des Eisbergs. Die Basis, das Fundament, ist die DLT. Darauf können wir eine Blockchain aufbauen, aber man kann auch eine andere Architektur draufsetzen, etwa einen DAG, also einen Directed Acrylic Graph. Das ist ein anderer Ansatz als die Blockchain. Von dieser wiederum gibt es verschiedene Anwendungen, etwa Kryptowährungen, aber auch Smart Contracts. Unter den Kryptos gibt es zudem nicht nur die bekannten Bitcoins, sondern auch Ether oder Ripple.
Wie viele Anwendungsfälle der Blockchain sind denkbar?
Flückiger: Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Man kann zum Beispiel Lieferketten nach- und zurückverfolgen. Aber daneben gibt es viele Möglichkeiten. Und es ist unglaublich, wie viel Geld in Fundings geflossen ist. Aber unabhängig von der Technologie: Es ist wichtig, damit einen Mehrwert zu schaffen. Das hat man in der Vergangenheit nicht immer so sinnvoll gemacht.
Herr Siorak, was ist die Kernherausforderung für Anleger?
Jan Siorak: Es ist eine Herausforderung, Unternehmen zu finden, die vor allem in der Blockchain aktiv sind. Viele beschäftigen sich damit, Banken oder Versicherungen etwa. Aber die Kernfrage lautet für mich: Wie wird das Geschäftsmodell eines Unternehmens profitieren, wie wird das dessen Wert vergrößern? Viele setzen die Technologie ein, um effizienter zu werden. Wenn das funktioniert, dann sieht man es auch im Aktienkurs. Flückiger: Das ist auch die Geschichte unserer Firma. Es begann mit der Erkenntnis, dass die Blockhain Potenzial hat. Aber wichtig war, dann einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Was ist das Ziel, was ist der Mehrwert, den die Uhrenindustrie wirklich braucht?
Wie investibel ist das Segment?
Siorak: Es gibt eine Studie, welche die 50 Unternehmen zusammenfasst, die in Sachen Blockchain weltweit ganz vorn dabei sind – Baidu etwa oder Samsung. Aber das sind alles Unternehmen, deren Hauptgeschäftsfeld nicht die Blockchain ist. Die Firmen experimentieren damit und sind teilweise recht weit. Aber richtige Pure Player sind noch selten – sprich: Unternehmen, deren alleiniger Geschäftszweck die Blockchain ist. Das liegt auch daran, dass die Größe fehlt. Die meisten stehen noch am Anfang, sind Proof of Concept. Das ist für einen Investmentfonds schwer zu investieren. Aber das wird mit der Zeit einfacher werden.
Wie groß ist die Idee in Euro und Cent?
Siorak: Es gibt mehrere Studien – eine schätzt das Marktvolumen der Technologie auf 20 Milliarden US-Dollar, andere sprechen auch von 60 Milliarden. Die Frage ist, wer den Markt dominiert, wer wird Mehrwerte schaffen. Ich glaube, in fünf bis sieben Jahren wird es einfacher sein, Unternehmen mit solchen Geschäftsmodellen zu finden.
Wie viel Prozent der Unternehmen beschäftigen sich ernsthaft damit?
Siorak: Das ist schwer zu sagen; nicht jedes Unternehmen geht damit hausieren. Gerade in der Finanzbranche beschäftigen sich die meisten damit, testen. Aber nicht jede Bank redet davon, was sie in der Blockchain gemacht hat. Insofern kann ich nicht mit einer Prozentzahl dienen. Flückiger: In der Uhrenindustrie gibt nun auch Anwendungen, die marktreif sind. Laut einer Deloitte-Studie sehen mindestens 55 Prozent aller CEOs diese Technologie als Top-Five-Priorität in Unternehmen. Ich bin positiv überrascht, wie gut die Industrie Bescheid weiß.
Sehen Sie die Gefahr, dass das Thema von den Tech-Giganten gekapert wird?
Siorak: Man merkt, dass einige Tech-Giganten durchaus Interesse zeigen, aber nicht involviert sind. Das liegt wohl auch daran, dass es diese Riesen für die Blockchain nicht braucht, kein Google, Apple oder IBM. Das macht jedes Unternehmen für sich selbst.
Ist Corona auch mit Blick auf die Blockchain ein Digitalisierungsbeschleuniger?
Siorak: Ja, das denke ich. Vorerst ging es natürlich um E-Commerce, um die Cloud oder auch Künstliche Intelligenz. Aber digitale Themen haben auch in der Breite an Schwung gewonnen. Kosten sparen, effizienter werden – das ist nun einmal gut für den Aktienkurs.
Droht nun eine Tech-Blase an der Börse?
Siorak: Das sieht man bei einzelnen Unternehmen schon jetzt. In der Dotcom-Blase, da steckte nichts hinter den Bewertungen. Heute ist das anders, da sind die Bewertungen zumindest teilweise gerechtfertigt. Aber anders als vor drei Jahren muss man heute schon genauer darauf achten. Einige Papiere schießen davon, ohne dass es gerechtfertigt ist. Flückiger: Die Pandemie ist ein Tech-Beschleuniger per se. Auch, weil viele Unternehmen gelernt haben, dass man zuvor die Prozesse digitalisieren muss. Für uns hieß das: Die Uhr zu beschreiben, den After Sales Service zu digitalisieren. Und dann lässt sich das Ganze in die Blockchain heben.
Kryptowährungen werden gehypt. Hilft das, die Blockchain sichtbar zu machen – oder verstellt es den Blick?
Flückiger: Das schafft auf jeden Fall Awareness. Die Blockchain – das ist ja nicht nur die Technologie, sondern das sind auch die Firmen und die Endkunden in der Uhrenindustrie zum Beispiel. Allerdings darf man nicht dem Trugschluss erliegen, dass alles digital sei. Wir versuchen ja die reale Welt in der Blockchain zu tracken. Ich muss sicherstellen, dass jedes Produkt mit seinem digitalen Zwilling übereinstimmt. Das ist herausfordernder als man denkt. Und diese Mischung aus digitaler und realer Welt gerät leicht aus dem Fokus, wenn man nur an die Kryptos denkt.
Sie die Blockchain und andere Architekturen bald so selbstverständlich wie Browser oder Online-Banking?
Flückiger: Ja. Dabei ist die Frage immer wichtig, was die Technologie kann und was nicht. Ein Beispiel: Das Programm Excel kennen wir alle gut vom Laptop. Dann kam das iPhone, ein kleiner Computer, der vieles besser kann, Schritte zählen, Kamera und so weiter. Man darf aber nicht vergessen, dass es Aufgaben gibt, die das iPhone nicht besser kann – Excel etwa. Deswegen ist das iphone natürlich nicht schlecht, es hat neue Möglichkeiten geschaffen. So sehe ich das auch mit der Blockchain. Sie kann viele Dinge nicht ersetzen, schafft aber neue Möglichkeiten. Siorak: Ich denke, sie wird tatsächlich künftig im Hintergrund laufen, ohne dass wir das mitbekommen. So wie die Cloud.
Redakteur
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