Digitale Tools und Arbeitsweisen sind auf dem Vormarsch. Und das in allen Wirtschaftsbereichen. Ob im E-Commerce, Banking oder Versicherungswesen – die Digitalisierung sorgt für ein besseres Kundenerlebnis, mehr Flexibilität im Arbeitsalltag und steigendes Innovationspotenzial.
Auch das deutsche Gesundheitswesen muss auf den Digitalisierungszug aufspringen, um im internationalen Wettbewerb nicht auf der Strecke zu bleiben. Künstliche Intelligenz, computerbasierte Therapieansätze sowie elektronische Kommunikations- und Dokumentationsformen sind hierfür erst der Anfang.
Doch die zunehmende Technologisierung hat auch Schattenseiten: Der Kontakt zu ärztlichem Fachpersonal wird weniger, und die Skepsis gegenüber der Zuverlässigkeit digitaler Anwendungen sowie die Sorge um die Sicherheit sensibler Gesundheitsdaten steigen. Eine Frage, mit der sich Entscheider im Gesundheitssystem daher dringend auseinandersetzen müssen, lautet: Was müssen wir tun, damit der Mensch in einer hoch technisierten Zukunft nicht in den Hintergrund rückt? Oder anders gefragt: Wie schaffen wir einen gelungenen Tech-Humanismus?
Mit Nutzen-Storys überzeugen
Als IT-Chef von Deutschlands größter Krankenkasse weiß Dr. Markus Schlobohm, wie innovationshemmend eine technologiefokussierte Debatte sein kann – gerade im Gesundheitswesen.
„Die Gesundheits-IT muss extrem viel Energie für neue Innovationen aufwenden, etwa wenn sie Cloud-Lösungen einsetzen oder sensible Gesundheitsdaten verwerten will. Deshalb ist es äußerst wichtig, von Anfang an den enormen Nutzen für die Patientinnen und Patienten aufzuzeigen und nicht nur technik- oder datenschutzorientiert zu argumentieren“, erklärte er im Gespräch mit Sophia Neisinger, Ärztin an der Charité Berlin, auf dem BIG BANG HEALTH-Festival in Essen.
Denn im Vergleich zu anderen Branchen fällt das Gesundheitswesen im digitalen Wettrennen deutlich zurück. So hat etwa die Luftfahrt über zehn Jahre Innovationsvorsprung. Das liegt nicht zuletzt an den regulatorischen Unterschieden. „Es brauchte kein Gesetz, um den elektronischen Boardingpass oder eine Luftfahrt-App einzuführen“, so Schlobohm.
Er war vor seiner Zeit bei der Techniker Krankenkasse selbst im Management der Lufthansa tätig und kennt daher die Unterschiede zwischen beiden Branchen genau. „Die Lösungen, die für die Luftfahrt gebaut wurden, brachten für alle Beteiligten einen hohen Mehrwert. Die digitalen Lösungen sorgen für eine einfachere Vernetzung und einen deutlich verbesserten Kundennutzen. Davon kann das Gesundheitswesen noch viel lernen.“
Die Patienten in den Mittelpunkt stellen
Der Schlüsselbegriff auf dem Weg zum Tech-Humanismus ist hier „Digital Patient Education“. Denn es gilt, die Patienten aufzuklären und Vertrauen in digitale Technologien zu schaffen.
Die Techniker Krankenkasse geht seit Jahren mit gutem Beispiel voran. Als Schnittstelle zwischen Patienten und Gesundheitsdienstleistern setzt sie sich maßgeblich für die Weiterentwicklung der elektronischen Patientenakte (ePA) sowie eine vereinfachte Nutzung des E-Rezepts ein. Zudem ist sie Innovationspartner für Health-Start-ups, die sie auf dem Weg in den Gesundheitsmarkt begleitet.
Damit ist die Krankenkasse wichtiger Impulsgeber für das digitale Gesundheitssystem und aktiver Mitgestalter einer neuen medizinischen Infrastruktur. „Die IT sollte dringend ihren Fokus auf den Endnutzer legen, indem sie möglichst einfache und zeitgemäße Identifikationsmöglichkeiten bereitstellt und sichere Plattformen schafft“, betonte Schlobohm.
Mit Tech-Humanismus mehr Vertrauen aufbauen
Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Telemedizin und digitale Vernetzung für die zukünftige Versorgung sind. Damit die Digitalisierung aber auch funktioniert, braucht es einen gelungenen Tech-Humanismus.
Schlobohm ist überzeugt: „Die Gesundheitsbranche muss aufhören, davon zu reden, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, und es stattdessen endlich mal tun. Dazu braucht es überzeugende Narrative und eine starke Stimme aus der Patienten- und Nutzersicht. Genau hier sind Krankenkassen besonders gefordert. Denn das Bedürfnis nach digitalen Lösungen ist da. Es wird nur viel zu abstrakt kommuniziert.“
Sophia Neisinger weiß aus erster Hand, wie wichtig eine gute Patientenkommunikation ist. „Die digitale Patientenreise beginnt nicht erst beim Arzt, sondern mit den ersten Symptomen und der begleitenden Internetrecherche“, so die Ärztin und Unternehmerin. Für diese Reise wünscht sie sich eine funktionierende elektronische Patientenakte, die Ärzte entlastet und Patienten eine bessere Übersicht über ihre Behandlung bietet.
Als Mentorin für Digital-Health-Start-ups ergänzte sie: „Wir müssen die Zeit jetzt nutzen und die Patienten über den Mehrwert der ePA aufklären. In eben diesem Zusammenhang sind Start-ups ein wichtiger Teil der digitalen Gesundheitswirtschaft, da sie Vertrauen beim Patienten schaffen und innovative Ideen voranbringen.“