Ressourcen schonen & Gesundheit sichern

Sustainable Health: Ein Spagat zwischen zwei Welten?

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens birgt aus medizinischer Sicht viel Potenzial. Allerdings ist sie oft mit einem steigenden CO2-Ausstoß auf Kosten des Klimas assoziiert. Gibt es ihn also – den Weg hin zu einer nachhaltigen und gleichzeitig digital-effizienten Gesundheitsversorgung? Philips-DACH-Geschäftsführer Uwe Heckert ist vom Sustainable-Health-Konzept überzeugt.

12.10.2022

Es genügt ein kurzer Blick hinter die Kulissen eines deutschen Krankenhauses, um zu verstehen, wie sehr das Gesundheitssystem zum Klimawandel beiträgt. Laut Schätzung von Organisationen wie Practice Greenhealth ­fallen allein pro Krankenhausbett täglich durchschnittlich 13 Kilo Müll an.

Das ist nur ein Beispiel von vielen, die zeigen, dass es im Gesundheitswesen in puncto Nachhaltigkeit noch viel Luft nach oben gibt. Aktuell hat es global betrachtet einen Anteil von 4,4 Prozent an den CO2-Emissionen. Das geht aus einer Erhebung der NGO „Health Care Without Harm“ aus dem Jahr 2019 hervor. Wäre das Gesundheitswesen ein Land, hätte es damit den fünftgrößten CO2-Fußabdruck. Höchste Zeit also für eine Kurskorrektur.

Sustainable Health zum Thema machen

Fragt sich nur, wie die Branche mit ihrer Verantwortung umgeht. „Ein nachhaltiges Umdenken ist bitter nötig“, erklärt Dr. Uwe Heckert, Geschäftsführer von Philips DACH. „Unsere Gesundheit auf Kosten der Umwelt zu erhalten funk­tioniert nicht.“

Mit dem Klimawandel häufen sich Extremwetterereignisse, die Atmosphäre heizt sich auf, die Ökosysteme verändern sich. Und die Folgen bekommt der Mensch direkt zu spüren. „Schlechtere Umweltbedingungen haben sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Deshalb müssen wir alles daran­setzen, die Versorgung so schnell wie möglich klima­gerecht zu gestalten“, so Heckert. Das niederländische Gesundheitsunternehmen Philips nimmt bei diesem Bestreben eine Führungsrolle ein und agiert selbst seit 2020 klimaneutral. Bis 2025 will es seine Energie vollständig aus erneuerbaren Quellen beziehen.

Auch digitale Risiken beachten

Die Herausforderungen im Gesundheitswesen beschränken sich aber nicht nur auf den hohen CO2-Ausstoß und die Abfallmengen. Hinzu kommen die Pandemie, der demografische Wandel und der Fachkräftemangel. Verheißungsvolle Lösungsansätze verspricht die digitale Transformation. ­Studien des Digitalverbands Bitkom sowie der ­Strategieberatung Accenture prognostizieren, dass das CO2-Einsparungspotenzial durch Informations- und Kommunikationstechnik bei bis zu 28 Prozent liege. Die Unternehmensberatung McKinsey geht davon aus, dass Digitalisierung 42 Milliarden Euro weniger Ausgaben und eine um 61 Prozent gesteigerte Produktivität ermöglichen würde.

Doch die Digitalisierung birgt auch Risiken. So beschreibt beispielsweise das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit den sogenannten Rebound-Effekt: Einsparpotenziale von Effizienzsteigerungen können demnach nicht beziehungsweise nur teilweise verwirklicht werden. Innovative IT-Produkte steigern zwar die Effizienz, die entstandenen Freiräume führen aber zu zunehmenden Nutzungen und zeitgleich zu einem größeren Ressourcen- und Energieverbrauch – und damit zu höheren Treibhausgasemissionen. 

Diese Effekte gilt es laut Heckert zu verhindern: „Die Kunst ist, die digitale Transforma­tion so zu gestalten, dass sich der Verbrauch von Energie und natürlichen Ressourcen deutlich verringert. Denn es ist wenig sinnvoll, dass die potenziellen Einsparungen in Milliardenhöhe, die durch die Digitalisierung erzielt werden können, am Ende für Zwecke genutzt werden, die der Nachhaltigkeit zuwiderlaufen.“

Circular Economy als Lösungsansatz

Wie lässt sich also eine Medizin für alle erreichen, ohne für noch mehr CO2-Ausstoß zu sorgen? Eine Option wäre die Circular Economy – ein wichtiger Begriff im Kontext der ökologischen Nachhaltigkeit. Gegenwärtig basieren nur 8,6 Prozent der weltweiten Produktion auf den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft. Mithilfe solcher Modelle könnten aber die weltweiten Emissionen um bis zu 40 Prozent gesenkt werden. 

Bei Philips steht gleich zu Beginn des Designprozesses nicht nur die Frage im Fokus, welchen Mehrwert die neue Lösung bringen soll, sondern auch, wie der Einsatz von Materialien vermieden oder reduziert ­werden kann – wie also mit einem Minimum an Ressourcen, idealerweise wiederverwendeten, der notwendige Output geschaffen werden kann.

Bei Philips wird Medizintechnik von der Entwicklung bis zur Produktion konsequent einem Prüfsystem unterzogen, das auf die Kriterien der Ressourcenschonung sowie die Vermeidung schädlicher Inhaltsstoffe fokussiert ist, aber den Innovationsaspekt nicht vernachlässigt. Gleichzeitig gelte es, die Lebensdauer medizinischer Großgeräte gezielt mit Soft- statt nur mit Hardware zu verlängern und ausgemusterte Geräte fachgerecht wiederaufzubereiten oder zumindest vor deren endgültiger Entsorgung recycelbare Rohstoffe herauszuziehen.

„Diese Kreisläufe erhalten den Wert des Produkts, verbrauchen weniger endliche Rohstoffe und reduzieren Abfälle“, erklärt Heckert. Philips setzt dieses Prinzip bereits um – etwa bei neuen MRT-Geräten, die statt bisher 1.500 nur noch sieben Liter Helium zur Kühlung des supraleitenden Magneten verbrauchen. 

Change-Management ist wichtig

Transformationsprozesse sind eine He­rausforderung, die viele Menschen erst einmal verunsichert. Umso wichtiger ist deshalb das Change-Management. „Wenn die Beteiligten nicht von Anfang an mitgenommen werden, können Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsprojekte schnell Schiffbruch erleiden“, sagt Heckert. Von Akzeptanz und Motivation hänge es ab, ob Veränderungsprozesse gelingen.

Krankenhäuser, die das verstanden haben, schaffen eine Kultur des konti­nuierlichen Lernens und Räume, in denen alle Beteiligten Digitalisierung und Nachhaltigkeit gemeinsam gestalten. Sie ermutigen Mitarbeitende, Herausforderungen anzunehmen. Je größer das Vertrauen ist, mit den neuen Anforderungen Schritt halten zu können, desto höher ist auch die Veränderungsbereitschaft.

Uwe Heckert im Interview: „Ärmel hochkrempeln und pragmatisch sein“

Dr. Uwe Heckert

ist Geschäftsführer von Philips DACH sowie Vorsitzender der Geschäftsführung der Philips GmbH

Welchen Beitrag können Digitalisierung und IT leisten, um das Gesundheitswesen ressourceneffizienter zu gestalten?

Uwe Heckert: Durch moderne Technologien lässt sich die Ergebnisqualität verbessern und effizienter arbeiten. KI und Algorithmen können beispielsweise bei Routineaufgaben unterstützen und Vor-Analysen übernehmen. Die Zeit, die dort eingespart wird, entlas­tet das Personal und gibt Raum für wertbringendere Tätigkeiten. Außerdem können wir Wege einsparen – man denke nur an Telemedizin oder Remote Monitoring – und auf Erkenntnissen aufbauen, die schon vorhanden sind, zurzeit aber noch auf Dateninseln liegen. Und spätestens seit der Pandemie ist auch der Siegeszug der Cloud nicht mehr aufzuhalten. Die dezentrale Datenhaltung eröffnet Krankenhäusern beachtliche Potenziale zur Senkung des Aufwands und der Kosten. Davon profitiert auch die Umwelt. Durch den Wechsel zum Cloud-Computing können Firmen nämlich bis zu 80 Prozent Strom im Vergleich zur selbstständig betriebenen lokalen Infrastruktur sparen.

Welche konkreten Ansatzpunkte für Veränderungen sehen Sie?

Heckert: Wir müssen die Technologie nutzen, um die Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen sektorübergreifend und effizient zu vernetzen. So können Doppeluntersuchungen vermieden, und die Behandlung kann am gesamten Patientenpfad ausgerichtet werden. Wird die Technologie, bestehend aus Medizintechnik und IT, dann noch auf Langlebigkeit und an Kreislaufkriterien wie die Rücknahme und Wiederaufbereitung von Systemen ausgerichtet, haben wir auch aus ökologischer Perspektive viel gewonnen.

Wie geht man das in der Praxis an?

Heckert: Tatsächlich gilt: Ärmel hochkrempeln und pragmatisch sein. Zunächst einmal braucht es ein sinnvolles analoges Prozessdesign. Denn aus schlechten analogen Prozessen werden schlechte digitale Prozesse. Alle Beteiligten müssen zusammenkommen und diese erarbeiten – und dabei ganz neu denken. Das kann intern geschehen oder mit externer Hilfe. Philips zum Beispiel unterstützt Kliniken mit Beratungs-­Know-how, in das wir klinisches Fachwissen und Prozesswissen einfließen lassen. Wichtig ist, dass das Ergebnis zu denen passt, die täglich damit arbeiten – also zu den Anwenderinnen und Anwendern – und ausgerichtet ist am Patientenwohl.