Gesundheitsvorsorge spielt für viele Männer eine untergeordnete Rolle. Wenn überhaupt, gehen viele erst zum Arzt, wenn es wehtut. Ernste Erkrankungen werden daher häufig erst spät, bisweilen zu spät festgestellt. Eine besonders tabuisierte Krankheit ist Hodenkrebs. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts erkranken jedes Jahr rund 4.070 Männer an einem bösartigen Hodentumor. Bei jungen Männern ist es die häufigste Krebserkrankung: 80 Prozent der Betroffenen sind jünger als 50 Jahre.
Im Videocast „Chefvisite Spezial“ sprachen der DUP UNTERNEHMER-Verleger Jens de Buhr und Professor Jochen A. Werner, Chef der Uniklinik Essen, mit Professor Boris Hadaschick, Direktor der Urologischen Klinik am Uniklinikum Essen, Olaf Theuerkauf, Mitgründer und Vorstandsmitglied der Stiftung Männergesundheit, sowie Fußballprofi Timo Baumgartl über das Thema Hodenkrebs.
Baumgartl erkrankte 2022 selbst an Hodenkrebs und möchte andere nun für das Thema sensibiliseren. Der Spieler vom 1. FC Union Berlin nimmt seine Vorbildfunktion ernst. Auch auf sozialen Plattformen nutzt er seine starke Reichweite, um für Prävention zu sensibilisieren.
Aufmerksamkeit für Hodenkrebs schaffen
„Die Resonanz war groß“, beschreibt Baumgartl seine Erfahrung, als seine Erkrankung öffentlich wurde. Der Profifußballer erhielt viele Hoffnung gebende Nachrichten von seiner Community. „Ich hab zahlreiche positive Rückmeldungen bekommen. Viele, die die Erkrankung selbst durchgemacht haben, schrieben mir, um mir Mut zu machen“, so der 26-Jährige.
Baumgartl berichtet auch von Fans, die aufgrund seiner Aufrufe selbst einen Vorsorgetermin vereinbart haben, wodurch es zu Krebsentdeckungen im Frühstadium kam. Denn auch wenn gesetzliche Krankenkassen eine Vorsorgeuntersuchung erst ab 45 Jahren vorsehen, treten Krankheitsfälle vielfach früher auf. Laut dem Robert Koch-Institut erkranken die meisten Männer zwischen 25 und 45 Jahren. Umso wichtiger sind daher die Beobachtung und regelmäßige Selbstuntersuchungen.
Hodenkrebs enttabuisieren
Die Angst davor, etwas zu entdecken und einen Termin beim Urologen wahrzunehmen, ist jedoch unter Männern präsent. Theuerkauf spricht im Videocast „Chefvisite Spezial“ von einer ernsten Angst: „Männer haben ein anderes Angstmanagement als Frauen.“
Baumgartl gibt zu bedenken: „Mädchen konsultieren nach der ersten Periode jährlich den Frauenarzt, sprechen untereinander viel über die weibliche Gesundheit. Warum sollten Männer das nicht auch tun?“
Für ihn war schnell klar, dass er mit seiner Erkrankung an die Öffentlichkeit gehen wird – auch um die Thematik zu enttabuisieren. Schämen müsse man sich für die Diagnose Hodenkrebs keineswegs, so der Fußballer. „Wenn sich auch nur ein Mann wegen meiner Sensibilisierung auf den Weg zum Arzt gemacht hat und so ein Hodentumor rechtzeitig entdeckt werden konnte, dann hat sich die ganze Arbeit bereits gelohnt“, sagt Baumgartl.
Besondere Werbekampagne der TK
„Die beste Prävention ist die Selbstuntersuchung“, sagt Hadaschik. Der Direktor der Urologischen Klinik am Universitätsklinikum Essen ruft dazu auf, regelmäßig selbst Hand anzulegen, um Auffälligkeiten an den Hoden zu entdecken.
Auch die Techniker Krankenkasse (TK) hat Anfang 2022 mit einer Kampagne zum Thema Hodenkrebs auf das Selbstabtasten aufmerksam gemacht.
Theuerkauf begrüßt die Vorbildrolle von Fußballspielern ebenso wie die Kampagne der Techniker Krankenkasse, die für intensive Diskussionen sorgte. Denn darin rief eine Pornodarstellerin zum Abtasten der Hoden auf. „Man mag von der Darstellerin halten, was man möchte“, sagt Theuerkauf, „aber grundsätzlich hat sie die Frage nach dem korrekten Abtasten beantwortet.“
Mentale Belastung nicht unterschätzen
Für Betroffene hat Hadaschick eine beruhigende Info: „Hodenkrebs ist in den allermeisten Fällen heilbar.“ 97 von 100 Patienten erzielen ein Langzeitüberleben. Das bedeutet, dass sie im Schnitt fünf Jahre nach erfolgreicher Krebstherapie weiter rückfallfrei bleiben.
Bei einer Krebserkrankung sollten neben den Sorgen um die physische Gesundheit auch mentale Belastungen nicht unterschätzt werden. „Ich nehme professionelle Hilfe in Anspruch, um die Diagnose und Therapie zu verarbeiten“, sagt Baumgartl.
In der Krebsbehandlung finde Menschlichkeit oftmals wenig Platz. „Das ist verschult“, sagt Hadaschick. „Aber der menschliche Umgang ist extrem wichtig, denn es sind grundlegende Sorgen, welche die Betroffenen haben.“ Deshalb sei eine psycho-onkologische Unterstützung eine wichtige Komponente im Heilungsprozess. „Die Weiterentwicklung der Psycho-Onkologie ist in ihrer Bedeutsamkeit nicht zu unterschätzen“, so Hadaschick weiter.
Den Weg zurück zur sexuellen Normalität hat Baumgartl übrigens schnell gefunden. „Meine Partnerin und ich wollten uns nicht einschränken lassen, und so bin ich auch mit nur einem Hoden wieder schnell zurück zur Normalität“, so Baumgartl lachend.