Wie Fortschritt unser Leben verlängert

Ist es möglich, Krankheiten zu behandeln, bevor sie überhaupt entstehen? Welche Forschungsansätze könnten in der Praxis schon bald Leben retten? Und welche Rolle spielt eigentlich der Mensch – also die Ärztin oder der Arzt – in einem Gesundheitswesen, in dem immer innovativere Technologien in der Behandlung zum Einsatz kommen? Beim BIG BANG HEALTH-Festival zeigten Expertinnen und Experten, wie die Medizin von Morgen funktioniert.

Inhalte
Innovative Diagnostik

Krebs früher auf der Spur

Folke Tedsen

ist Leiter des Leistungs- und Gesundheitsmanagements beim Versicherer HanseMerkur. Beim BIG BANG HEALTH-Festival sprach er über neue Konzepte zur Früherkennung von schweren Erkrankungen sowie über die Versorgung von Patientinnen und Patienten im Fall der Fälle

Ein neuer Bluttest verspricht laut einer Studie des UKE die frühzeitigere Entdeckung von Tumoren. Der Versicherer HanseMerkur setzt nun auf diese Innovation, um die Krebsvorsorge und -früherkennung bei seinen Kunden zu optimieren.

Das könnte uns weiterbringen – davon ist Professor Jochen A. Werner, Chef der Universitätsmedizin Essen, nach der Vorstellung einer Studie beim BIG BANG HEALTH-Festival überzeugt. Gemeint ist Forschung des interdisziplinären Teams von Professor Ralf Smeets, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), zu einer Kombination von Bluttests und bildgebenden Verfahren bei der Früherkennung von Krebs.

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Mehr im Video! Schauen Sie sich jetzt die gesamte Keynote von Folke Tedsen über innovative Versorgungskonzepte vom BIG BANG HEALTH 2022 an

Herkömmliche Screenings entdecken Mehrheit der Erkrankungen nicht

3,7 Prozent der Teilnehmenden an der von Smeets’ geleiteten Studie zeigten beim Bluttest „PanTum Detect“ auffällig hohe Werte. Um den damit angezeigten Krebsverdacht näher zu untersuchen, wurden danach MRT oder PET/CT durchgeführt – die „Goldstandards in der ­Tumordiagnostik“, wie Smeets betont. Der vorgeschaltete Bluttest kann, so das Ergebnis der Studie, Hinweise auf gefährliche Gewebeveränderungen geben, bevor diese vollständig zu bösartigem Krebs entartet sind. Damit können sich die Heilungschancen enorm erhöhen. Diese sind in der Regel umso größer, je früher ein Tumor erkannt wird.

Aber: Wie Smeets betont, werden aktuell 55 Prozent der gängigen Krebsarten durch herkömmliche Screenings nicht aufgedeckt. Diese Lücke in der Vorsorge will der von der Zyagnum AG aus Darmstadt entwickelte Test nun verkleinern. Er zeigt Tumorgefahren an, bevor Patientinnen oder Patienten überhaupt Beschwerden spüren. Und zwar für eine Reihe von Krebsarten: Lungen-, Leber- oder Hirnkarzinome sind nur einige Beispiele. Damit hätten Mediziner ein „Tool für die Prävention“ in der Hand, um diese stärken zu können. Daher biete sich die „sinnvolle Ergänzung“ der Krebsvorsorge durch das neue Doppelverfahren an, so Smeets.

Geringer Aufwand, geringere Kosten

Durch eben dieses Doppelverfahren mit vorgeschaltetem Bluttest, den Versicherte der HanseMerkur bereits nutzen können, würden die hohen Kosten für bildgebende Verfahren und die damit einhergehende Strahlenbelastung der Patientinnen und Patienten nur bei einem konkreten Tumorverdacht entstehen.

Ein solches Vorsorgeprogramm sei „ein moderner, minimalinvasiver Weg“, sagt Smeets. Er rechnet mit großem Inte­resse für den Krebs-Scan unter Patientinnen und Patienten. Möglich sei der Test demnächst bei einem Netzwerk von Partnerärzten im ganzen Bundesgebiet bei der Blutabnahme – „wenn man will“.

Folke Tedsen von der HanseMerkur über Medizin-Innovationen, die dem Menschen nutzen:


Wie sieht mit Blick auf Präventionsmaßnahmen der nächste „Big Bang“ für die HanseMerkur aus?
FTWir wollen helfen, Krebs rechtzeitig zu erkennen. In Deutschland gibt es pro Jahr mehr als eine halbe Million Menschen, die neu an Krebs erkranken. Mit 55 Prozent wird mehr als die Hälfte dieser Fälle bei den gesetzlich eingeführten Regelmaßnahmen der Krebsvorsorge nicht erkannt. Dabei sind die Heilungschancen in den meisten Fällen umso besser, je früher eine Diagnose gestellt werden kann. Wir wollen diese große Früherkennungslücke schließen – mit einer Innovation, die ebenso einfach wie wirksam ist.
Was ist konkret geplant?
FTAls echte Innovation haben wir dazu unseren neuen Krebs-Scan eingeführt. Kunden, die dieses Angebot nutzen, werden künftig nur einmal im Jahr eine Blutprobe zur Untersuchung abgeben müssen. Die Auswertung der Ergebnisse kann bereits in einem sehr frühen, noch komplett symptomfreien Stadium Verdachtshinweise auf eine ganze Reihe von unterschiedlichsten Krebsarten liefern.
Was genau erkennt dieser neuartige Krebs-Scan?
FTDer Test weist spezielle Enzyme nach, die bei sehr vielen Tumorarten vermehrt im Blut gebildet werden. Er ist also eine Art Frühwarnsystem; eine konkrete Diagnose liefert der Test aber nicht. Diese klären im Verdachtsfall bildgebende Verfahren wie MRT oder PET/CT ab, die schon kleinste Gewebeveränderungen von nur wenigen Millimeter Größe sichtbar machen. Sie eignen sich allerdings nicht für ein Screening im Rahmen der Früherkennung: Hohe Kosten und die Strahlendosis sprechen dagegen. Unnötige Untersuchungen vermeiden wir durch Vorselek­tion mit dem Bluttest „PanTum Detect“. Dieser hat eine sehr hohe Treffergenauigkeit. Er ist daher eine sinnvolle Ergänzung zu konventionellen Screening-Programmen.
Was geschieht bei einem Verdacht auf einen Tumor?
FTDann greifen sofort unsere umfassenden Assistance-Leistungen. So bieten wir Betroffenen auf Wunsch direkt ärztliche Beratung und Unterstützung an. Termine für die nötigen bildgebenden Verfahren vermitteln wir in dem Fall dann weitaus schneller als üblich. Diese Untersuchungen klären den Befund ab und lokalisieren einen möglichen Tumor. Eine ärztliche Zweitmeinung gehört selbstverständlich auch dazu.
Und wenn ein Tumor behandelt werden muss?
FTWenn eine Diagnose medizinisch festgestellt wurde, wird die jeweilige leitliniengerechte onkologische Therapie eingeleitet, für die der zuständige Kostenträger aufkommt. Kommt es zur Behandlung im Krankenhaus, übernehmen wir die gesondert anfallenden Kosten für eine privatärztliche Behandlung sowie für eine Unterbringung im Ein- oder Zwei-Bett-Zimmer. Dazu kommen ein Krankenhaus- und ein Kurtagegeld sowie Transportkostenerstattungen, sollte der Patient gehunfähig sein. Bis in die Nachsorge hi­nein wird der Tarif abgerundet durch zusätzliche, umfangreiche Leistungen, wie beispielsweise einen Service für Arzttermine, der telefonisch oder online zu erreichen ist, oder eine umfassende Beratung zu Arzneimitteln, Fitness und Ernährung.
Welches Ziel verfolgt die HanseMerkur mit solchen neuen Angeboten?
FTWir kümmern uns darum, dass medizinische Innovationen die Menschen erreichen. Dafür setzen wir uns als Unternehmen ein. Es ist mir auch ein persönliches Anliegen, dem Krebs den Kampf anzusagen. Dazu braucht es aber neue Ansätze und gezielte Maßnahmen, die Krebserkrankungen verhindern können. Eine entscheidende Rolle kommt dabei insbesondere der Vorsorge und der Früherkennung zu.
Wie sieht die Vision der HanseMerkur zur Gesundheitsförderung der Zukunft aus?
FTGesundheitsbewusste Menschen sollten Zugang haben zu medizinischen Neuerungen und schon heute von modernsten, wissenschaftlich gesicherten Verfahren und Therapien profitieren können. Das ist das, was wir für unsere Kundinnen und Kunden erreichen wollen – mit passenden Gesundheitsservices und umfassender Betreuung, die über einen erstklassigen Versicherungsschutz hinausgeht. Also: Wir wollen nicht nur einfach Leistungen erstatten, sondern auch Gesundheitsdienstleister sein.
Arzt-Patienten-Beziehung

Der Mensch macht den Unterschied

Medizintechnik wird immer innovativer. Davon profitieren Patientinnen und Patienten, etwa bei einer Strahlentherapie im Rahmen der Krebsbehandlung. Doch wie steht es um die Menschlichkeit, wenn die Behandlung immer digitaler wird?

Den Menschen nicht vergessen – das ist das Credo, nach dem der Mediziner Professor Dietrich Grönemeyer ar­beitet. In der heu­tigen Zeit, in der das Leben auf Geschwindigkeit ausgerichtet ist, bedarf es in der Medizin aus seiner Sicht vor allem eines: sich Zeit zu nehmen – Zeit für die Diagnostik, die Therapie und vor allem für die Person hinter der Krankheit. 

Dany Michalski ist eine dieser Personen. 2011 bekam sie erstmals die Diagnose Brustkrebs; 2021 kam der Krebs zurück. Sie ist jemand, der die Therapie hinterfragt und genau verstehen möchte. „Ich habe meinem Arzt Christian Weißenberger Fragen gestellt, die hat niemand zuvor gestellt“, sagt die 46-jährige Moderatorin und lacht.

Technik ist in der Therapie nicht alles

Laut Robert Koch-Institut erkranken jährlich etwa 500.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs, allein 70.000 von ihnen an Brustkrebs. Krebs ist eine System­erkrankung. „Er greift nicht nur die Systeme Körper, Geist und Seele an, sondern auch den Job, die Familie, den Freundeskreis“, sagt ­Carsten Witte, Psycho-Onkologe im Zentrum für Strahlentherapie in Freiburg. 

Doch zugleich gilt inzwischen zum Glück auch: „Die fortschrittlichen Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten der Strahlentherapie bieten derzeit so gute Chancen in der Behandlung von Krebserkrankungen wie noch nie“, sagt Dr. Christian Weißenberger, Leiter des Zentrums für Strahlentherapie in Freiburg. Die Medizintechnikunternehmen seien sehr innovativ und brächten vielfältige und gute Hilfsmittel hervor, die aber allein keine Medizin gestalten können. 

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Mehr im Video! Schauen Sie sich jetzt den Panel-Talk mit Dany Michalski und Dr. Christian Weißenberger beim BIG BANG HEALTH zur Rolle der Ärztin beziehungsweise des Arztes sowie der Kommunikation in einer Krebstherapie an

Erst der echte Mensch im weißen Kittel kann aus den Behandlungsmöglichkeiten eine erfolgreiche Therapie mit Ausblick auf Genesung gestalten. Denn was neben der Hightech-Medizin nicht vergessen werden darf, ist die Menschlichkeit. „Um erfolgreich behandeln zu können und die Patientin respektive den Patienten zurück in ein gesundes Leben zu führen, bedarf es einer liebevollen Medizin“, sagt Grönemeyer.

Schlüsselfaktor Kommunikation 

Die bleibe aber oft auf der Strecke. Gründe dafür sind nicht nur Personalmangel. Auch Subventionierungen im Medizinbereich und fehlende Kommunikationskompetenzen beeinträchtigen die Behandlung. „Eine rhetorische Ausbildung im Medizinstudium fehlt“, so Witte. Dabei braucht es einen Austausch auf Augenhöhe mit dem Arzt unbedingt, um die Patient-Journey so positiv wie möglich zu gestalten.

„Die Vorbereitung auf die psychische Belastung und die therapeutische Begleitung während der Krebstherapie sind sehr wichtig“, sagt Witte und plädiert für eine Rhetorik-Pflichtprüfung im mündlichen Examen. So könne die Kommunikation zwischen Arzt und Patient verbessert werden – zum Wohle des Betroffenen. Denn: „In der Medizin kommt es oftmals zu einer Massenabfertigung. Diese negative Drift muss unbedingt gestoppt werden“, so Weißenberger.

Technologien in der Dentalmedizin

Je digitaler, desto besser

Dr. Jörn Thiemer

ist seit 25 Jahren Inhaber einer Praxis für Implantologie. Anfang 2022 wurde er Chief Dental Officer bei zahneins

Schneller, unkomplizierter, angenehmer sollen Zahnbehandlungen durch die Digitalisierung werden. Zahnarzt Dr. Jörn Thiemer über den Status quo in dem Sektor.

Ein schönes Lächeln ist ein Aushängeschild. Und doch gehen viele Menschen eher ungern zum Zahnarzt. Geht es nach Dr. Jörn Thiemer, ändert sich das – Digitalisierung und technologischem Fortschritt sei Dank – schon bald.

Thiemer ist Zahnarzt, seit 25 Jahren Inhaber einer Praxis für Implantologie in ­Bochum und seit Jahresbeginn zudem Chief Dental Officer bei zahneins. Das mittelständische Unternehmen wurde von Zahnärztinnen und Zahnärzten mit dem Ziel gegründet, einen Praxenverbund aufzubauen. Aktuell hat die Gruppe rund 3.000 Mitarbeitende an 80  Standorten.

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Mehr im Video! Schauen Sie sich jetzt das gesamte Interview mit Dr. Jörn Thiemer beim BIG BANG HEALTH 2022 an


Was ist der größte Unterschied zwischen einem Praxenverbund wie zahneins und der klassischen Zahnarztpraxis?
JTWir wollen uns differenzieren, indem wir technologisch weiter sind. So können wir Patientinnen und Patienten das Gefühl geben, bei uns besser, vielleicht sogar günstiger versorgt zu werden. Ein Vorteil des Verbunds ist natürlich auch, dass wir bei Herstellern andere Anforderungen stellen können. Zum Beispiel, dass sie digitale Produkte genau auf unsere Gruppe zuschneiden. Und wenn wir große Mengen abnehmen, ergibt das natürlich auch einen Preisvorteil, den wir weitergeben können.
Zahnarzt- oder Hausarztpraxis: Wer ist offener für Digitalisierung? Und wer setzt noch auf Faxgeräte?
JTFaxgeräte gibt es bei uns auch noch, aber eher wegen der Zulieferer, bei denen an jedem Katalog nach wie vor ein Faxformular hängt. Die tun sich noch schwer mit der Umstellung. Die Praxen dagegen sind eigentlich schon ziemlich weit, weil in der Dentalmedizin generell sehr viel mit Technik funktioniert und viele in dem Feld technikaffin sind. Die Digitalisierung ist schon sehr früh Bestandteil unserer Behandlung gewesen.
Welche Entwicklung der letzten zehn Jahre brachte in der Dentalmedizin eine wirkliche Neuerung?
JTNeben dem digitalen Röntgen ist das sicher der Scanner, der die Abdrücke von Zähnen ersetzt. Statt der unangenehmen Prozedur mit Abdruckmasse im Mund haben wir jetzt innerhalb von 30 Sekunden eine Aufnahme des Mundraums. So kann eine ­Restauration teils sofort in nur einer Sitzung gemacht werden.
Und was können wir mit Blick auf die Zukunft noch erwarten?
JTKünstliche Intelligenz wird eine große Rolle spielen. Sie unterstützt uns jetzt schon bei der Karies-Diagnostik. Wo früher geröntgt werden ­musste, können wir heute mit speziellen Kameras Karies viel einfacher finden. Oder im Bereich der Knochenersatz­materialien: Früher mussten wir mühsam Knochen aus dem Becken entnehmen und dieses in den Kiefer verpflanzen. Das Material kommt heute schon aus dem 3-D-Drucker.
Wird der Zahntechniker sich denn einen anderen Job suchen müssen, wenn alles aus dem 3-D-Drucker kommt?
JTDiese Bedenken gab es vor Jahren mal. Aber Zahntechniker werden in ihrem Beruf nun eher zu Digitalexperten. Das heißt, sie konstruieren nicht mehr mit Gips und fräsen auch nicht mehr per Hand. Sie bekommen die Daten eines Patienten irgendwo aus Deutschland und verarbeiten sie am Computer zu Kronen oder Brücken.
Kann die Digitalisierung auch Menschen mit einer Zahnarzt-Phobie helfen?
JTJa, denn ich glaube, dass bei vielen Menschen der Geruch, den man mit dem Zahnarzt verbindet, Ängste schürt. In dem Moment, in dem immer mehr Prozesse digitalisiert werden, fällt vieles weg. Fertigen wir digitale Bilder des Mundraums an, müssen wir keine Abdrücke mehr machen. Der Geruch der Masse und das unangenehme Gefühl im Mund bleiben Patientinnen und Patienten erspart. Außerdem wird die Arbeit effizienter. Und so sind dann vielleicht nur noch zwei statt fünf Besuche für die Behandlung eines bestimmten Problems notwendig.
Ist es vorstellbar, dass Roboter Teile der Zahnbehandlung, zum Beispiel das Bohren, übernehmen, weil sie viel genauer arbeiten können als Menschen?
JTDen Versuch gab es vor bestimmt 15 Jahren schon einmal. Das war wahnsinnig teuer, nicht ausgereift, und es hat sich letztendlich nicht durchgesetzt. Es kam sogar vor, dass Ärzte, die so ein Gerät hatten, nach ein paar Versuchen wieder davon abgekommen sind. Sie haben vielleicht den Patienten vorher das Gerät gezeigt, es aber weggeschoben, wenn der Patient in Narkose lag. Es gibt heute die Möglichkeit, mit dreidimensionalen Schablonen zu arbeiten, die auf Grundlage von digitalen Voruntersuchungen erstellt wurden. Wenn diese digitalen Analysen künftig so gut sind, dass sie die Nervenstränge bis auf einen Zehntel Millimeter genau abbilden, können wir sicherlich auch irgendwann mit Robotern arbeiten. Ich gebe allerdings zu: Ich wäre nicht der Erste, der sich von einem Roboter behandeln lassen würde.
Und wie sieht es mit Entwicklungen in der Pharmaindustrie aus? Ist es realistisch, dass wir zum Beispiel Karies oder Parodontose bald einfach mit der Einnahme von Medikamenten behandeln können?
JTAlso zum jetzigen Zeitpunkt ist das eine Utopie. Aber natürlich entwickeln sich aus solchen Fantasien reale Dinge. Es ist durchaus denkbar, dass es in Zukunft Tabletten gegen das alles gibt. Es gibt auch Visionen beim Thema Zahnfüllungen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn man – statt ein Implantat aus Titan einzusetzen – gentechnisch veränderte Zellen einbringt, aus denen dann einfach neue Zähne wachsen? Zugegeben, diese Idee hat es über das Stadium der Experimente mit Mäusen noch nicht hinaus geschafft. Aber es wird gewaltig daran geforscht.
Schauen wir ins Ausland: Gibt es in den USA oder in Israel Entwicklungen, die Sie genauer verfolgen?
JTIsrael ist ein gutes Beispiel. Dieser Roboter, von dem ich eben sprach, kam ursprünglich aus Israel. Es gibt kein Land, das im Bereich der Robotik weiter ist. Die USA sind vor allem in rein digitalen Entwicklungen weit vorn. In Deutschland wird zwar viel ausprobiert, aber in den USA wird sehr viel innovativer und vielleicht auch mit mehr Wagnis investiert. Und was man zudem sagen muss: Die bürokratischen Hürden sind in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
JTSeit Kurzem kann man alle Anträge an die Krankenkassen digital übermitteln – was wirklich ein großer Fortschritt ist. Aller­dings muss man trotzdem das Originaldokument in Papierform zehn Jahre lang aufbewahren. Das füllt nun weiter Aktenschränke in der Praxis – einfach nur, weil wir es immer schon so gemacht haben.
Medizinforschung

Wie wir alle länger gesund bleiben können

Der Pharmakonzern Bayer blickt bereits auf eine 158-jährige Geschichte am Gesundheitsmarkt zurück. Darauf wird sich aber nicht ausgeruht: Mit Kooperationen und innovativen Forschungsansätzen sowie dank der Digitalisierung sollen Therapien nun noch deutlich verbessert und zugänglicher gemacht werden.

Vor 125 Jahren war es die aus heutiger Sicht simple Synthese von Acetylsalicylsäure, die die Schmerzmittelnutzung revolu­tionierte und Medizingeschichte schrieb. Zwar haftete dem Wirkstoff der Salicylsäure zuvor schon jahrhundertelang der Ruf einer heilenden Wirkung an. Doch erst die Arbeit des jungen Chemikers Dr. Felix Hoffmann in einem Wuppertaler Labor der Firma Bayer im Jahr 1897 sorgte für die Geburtsstunde von Aspirin – dem Standardarzneimittel gegen Kopfschmerzen oder Erkältungen.

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Mehr im Video! Schauen Sie sich jetzt die gesamte Keynote von Dr. Daniel Steiners an. Er ist seit April 2022 Geschäftsführer bei Bayer Vital, dem Arzneimittelvertrieb von Bayer in Deutschland. Beim BIG BANG HEALTH 2022 sprach er darüber, was für Fortschritte in der Medizinforschung sorgen wird

Sind Gentherapien die Zukunft?

Inzwischen ist Bayer im Pharmabereich längst ein weltweit agierender Konzern mit zahlreichen Produkten und einem Milliardenumsatz. Doch auch heute muss sich die Gesundheitsversorgung großen Herausfor­derungen stellen: Die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt in Deutschland beläuft sich nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes für Männer auf 78,5 und für Frauen auf 83,4 Jahre. Damit hat sich die Lebenserwartung seit dem 19. Jahrhundert rasant entwickelt und gegenüber den 1870er-Jahren mehr als verdoppelt.

Einer der wichtigsten Gründe für die gestiegene Lebenserwartung ist der medizinische Fortschritt. Bei drohender Überbevölkerung, Ressourcenknappheit, Klimawandel, Kriegen und Armut steht nicht weniger als der gesicherte Zugang zur Gesundheit auf dem Spiel. Daher gilt es, die Möglichkeiten der Technologien der Moderne voll auszuschöpfen sowie Fortschritte in Forschung und Entwicklung effizienter für den Kampf gegen scheinbar unheilbare Krankheiten einzusetzen. Bei Bayer ist man beispielsweise überzeugt, dass Zell- und Gentherapien und digitalen Technologien hier eine Schlüsselrolle zukommt.

Gesundheit für alle fördern

„Wir haben bei Bayer die Vision ,Health for All, Hunger for None‘ – eine Vision, dass Gesundheit für alle in der Welt möglich sein kann“, sagte Dr. Daniel Steiners, Geschäftsführer von Bayer Vital, dem deutschen Arzneimittelvertrieb der Divisionen Pharma­ceuticals und Consumer Health der Bayer AG, auf dem BIG BANG HEALTH-Festival in Essen. Damit diese ambitionierten Vorhaben am Gesundheitsmarkt umgesetzt werden können, müssen aber die Rahmenbedingungen in Deutschland innovationsfreundlicher gestaltet werden. Das aber wird mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gerade infrage gestellt.

Viele Krankheiten wurden jahrzehntelang als „hartnäckig“ abgestempelt. Das bedeutet, dass die Medizin den Patienten über die Behandlung der Symptome hinaus oftmals nicht weiterhelfen konnte. Neuartige Technologien in Form von Zell- und Gentherapien hingegen könnten für Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz, degenerativen Erkrankungen wie etwa der Parkinson-Krankheit oder genetischen Erkrankungen wie beispielsweise Huntington in Zukunft einen signifikanten Unterschied machen.

„Zell- und Gentherapien zielen darauf ab, die Ursache einer Erkrankung zu adressieren und sie dadurch zu verhindern, zu behandeln oder möglicherweise auch rückgängig zu machen“, erklärt Steiners, der davon überzeugt ist, dass Zell- und Gentherapien das Potenzial haben, die Gesundheitsversorgung durch bahnbrechende Innovationen zu verändern. „Unser Engagement hat das Ziel, ihr Versprechen in konkrete Behandlungen für Patientinnen und Patienten umzusetzen“, ergänzt Steiners. Zwingend notwendig dafür seien aber brancheninhärente sowie interdisziplinäre Kooperationen zwischen den Beteiligten am Gesundheitsmarkt. Allein tüfteln funktioniere nicht mehr.

BioTech-Firmen als starke Partner

Bei Bayer zeigt sich diese Haltung laut Steiners unter anderem in Investitionen in innovative Bio­Tech-Firmen. Diese könnten nun unter dem Dach von Bayer ihre Expertise im Bereich Zell- und Gentherapie voll einbringen und mit versierten Technologien ihre Arbeit vorantreiben: „Seit 2019 haben wir mehr als 2,5 Milliarden Euro in diese Bereiche investiert – etwa in die Übernahmen von BlueRock Therapeutics und AskBio, zwei innovativen BioTech-Firmen.“

Als weiteren Meilenstein sieht der Health-Experte die Partnerschaft mit Mammoth Biosciences, einem Spezialisten im Bereich der Genscheren-Technologie. Jennifer Doudna, Mitbegründerin von Mammoth, erhielt für die Erfindung dieser Technologie 2020 den Nobelpreis für Chemie gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier. Die Zusammenarbeit fokussiert sich künftig auf die Weiterentwicklung des Gene-Editing. Ziel ist es, das Genom so zu verändern, dass Herz- oder Stoffwechselkrankheiten, Alzheimer, Krebs oder Parkinson besser therapierbar sind und vielleicht eines Tages sogar rückgängig gemacht werden können.

Effizienzgewinne durch Dateneinsatz

So unverzichtbar dieser Weg auch erscheinen mag, so aufwendig sind die Prozessabläufe derzeit noch in der Praxis. Laut Steiners schaffe es aktuell „weniger als ein Prozent der Projekte von der frühen Forschung bis zur Marktzulassung“. Und nicht selten verschlingen die langjährigen Arbeiten Millionen bis Milliarden an Forschungs- und Entwicklungsgeldern. „Auch hier braucht es die Kraft von Partnerschaften, um Technologie für Datenanalysen und -auswertungen, etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder der digitalen Gesundheit, aufzubauen“, erklärt Steiners.

So ließen sich beispielsweise Daten zum demografischen Wandel, zu generationsspezifischen Lebensgewohnheiten und chronischen Krankheitsverläufen miteinander abgleichen und gezielter auf die entsprechenden medikamentösen Bedürfnisse oder Therapieverfahren anwenden. Dank digitaler Transformation sind (fast) keine Grenzen gesetzt. Neben den Effizienz­gewinnen in der Gesundheitsversorgung erwartet Steiners zudem, dass dadurch die Arbeitsbelastung in den Kliniken und Praxen sinken wird. So wäre das Personal entlastet; die Patientinnen und Patienten ­wären dennoch umfassend versorgt. Bayers Vision „Health for All“ nähme damit erste Formen an…




Videocredit: Getty Images/selected-takes

Bildcredits: Big Bang Health/Caroline Schlüter, Big Bang Health/Michael Schwettmann, Getty Images/seb_ra

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