Wie Fortschritt unser Leben verlängert
Ist es möglich, Krankheiten zu behandeln, bevor sie überhaupt entstehen? Welche Forschungsansätze könnten in der Praxis schon bald Leben retten? Und welche Rolle spielt eigentlich der Mensch – also die Ärztin oder der Arzt – in einem Gesundheitswesen, in dem immer innovativere Technologien in der Behandlung zum Einsatz kommen? Beim BIG BANG HEALTH-Festival zeigten Expertinnen und Experten, wie die Medizin von Morgen funktioniert.
Krebs früher auf der Spur
Das könnte uns weiterbringen – davon ist Professor Jochen A. Werner, Chef der Universitätsmedizin Essen, nach der Vorstellung einer Studie beim BIG BANG HEALTH-Festival überzeugt. Gemeint ist Forschung des interdisziplinären Teams von Professor Ralf Smeets, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), zu einer Kombination von Bluttests und bildgebenden Verfahren bei der Früherkennung von Krebs.

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Herkömmliche Screenings entdecken Mehrheit der Erkrankungen nicht
3,7 Prozent der Teilnehmenden an der von Smeets’ geleiteten Studie zeigten beim Bluttest „PanTum Detect“ auffällig hohe Werte. Um den damit angezeigten Krebsverdacht näher zu untersuchen, wurden danach MRT oder PET/CT durchgeführt – die „Goldstandards in der Tumordiagnostik“, wie Smeets betont. Der vorgeschaltete Bluttest kann, so das Ergebnis der Studie, Hinweise auf gefährliche Gewebeveränderungen geben, bevor diese vollständig zu bösartigem Krebs entartet sind. Damit können sich die Heilungschancen enorm erhöhen. Diese sind in der Regel umso größer, je früher ein Tumor erkannt wird.
Aber: Wie Smeets betont, werden aktuell 55 Prozent der gängigen Krebsarten durch herkömmliche Screenings nicht aufgedeckt. Diese Lücke in der Vorsorge will der von der Zyagnum AG aus Darmstadt entwickelte Test nun verkleinern. Er zeigt Tumorgefahren an, bevor Patientinnen oder Patienten überhaupt Beschwerden spüren. Und zwar für eine Reihe von Krebsarten: Lungen-, Leber- oder Hirnkarzinome sind nur einige Beispiele. Damit hätten Mediziner ein „Tool für die Prävention“ in der Hand, um diese stärken zu können. Daher biete sich die „sinnvolle Ergänzung“ der Krebsvorsorge durch das neue Doppelverfahren an, so Smeets.
Geringer Aufwand, geringere Kosten
Durch eben dieses Doppelverfahren mit vorgeschaltetem Bluttest, den Versicherte der HanseMerkur bereits nutzen können, würden die hohen Kosten für bildgebende Verfahren und die damit einhergehende Strahlenbelastung der Patientinnen und Patienten nur bei einem konkreten Tumorverdacht entstehen.
Ein solches Vorsorgeprogramm sei „ein moderner, minimalinvasiver Weg“, sagt Smeets. Er rechnet mit großem Interesse für den Krebs-Scan unter Patientinnen und Patienten. Möglich sei der Test demnächst bei einem Netzwerk von Partnerärzten im ganzen Bundesgebiet bei der Blutabnahme – „wenn man will“.
Folke Tedsen von der HanseMerkur über Medizin-Innovationen, die dem Menschen nutzen:








Der Mensch macht den Unterschied
Den Menschen nicht vergessen – das ist das Credo, nach dem der Mediziner Professor Dietrich Grönemeyer arbeitet. In der heutigen Zeit, in der das Leben auf Geschwindigkeit ausgerichtet ist, bedarf es in der Medizin aus seiner Sicht vor allem eines: sich Zeit zu nehmen – Zeit für die Diagnostik, die Therapie und vor allem für die Person hinter der Krankheit.
Dany Michalski ist eine dieser Personen. 2011 bekam sie erstmals die Diagnose Brustkrebs; 2021 kam der Krebs zurück. Sie ist jemand, der die Therapie hinterfragt und genau verstehen möchte. „Ich habe meinem Arzt Christian Weißenberger Fragen gestellt, die hat niemand zuvor gestellt“, sagt die 46-jährige Moderatorin und lacht.
Technik ist in der Therapie nicht alles
Laut Robert Koch-Institut erkranken jährlich etwa 500.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs, allein 70.000 von ihnen an Brustkrebs. Krebs ist eine Systemerkrankung. „Er greift nicht nur die Systeme Körper, Geist und Seele an, sondern auch den Job, die Familie, den Freundeskreis“, sagt Carsten Witte, Psycho-Onkologe im Zentrum für Strahlentherapie in Freiburg.
Doch zugleich gilt inzwischen zum Glück auch: „Die fortschrittlichen Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten der Strahlentherapie bieten derzeit so gute Chancen in der Behandlung von Krebserkrankungen wie noch nie“, sagt Dr. Christian Weißenberger, Leiter des Zentrums für Strahlentherapie in Freiburg. Die Medizintechnikunternehmen seien sehr innovativ und brächten vielfältige und gute Hilfsmittel hervor, die aber allein keine Medizin gestalten können.

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Erst der echte Mensch im weißen Kittel kann aus den Behandlungsmöglichkeiten eine erfolgreiche Therapie mit Ausblick auf Genesung gestalten. Denn was neben der Hightech-Medizin nicht vergessen werden darf, ist die Menschlichkeit. „Um erfolgreich behandeln zu können und die Patientin respektive den Patienten zurück in ein gesundes Leben zu führen, bedarf es einer liebevollen Medizin“, sagt Grönemeyer.
Schlüsselfaktor Kommunikation
Die bleibe aber oft auf der Strecke. Gründe dafür sind nicht nur Personalmangel. Auch Subventionierungen im Medizinbereich und fehlende Kommunikationskompetenzen beeinträchtigen die Behandlung. „Eine rhetorische Ausbildung im Medizinstudium fehlt“, so Witte. Dabei braucht es einen Austausch auf Augenhöhe mit dem Arzt unbedingt, um die Patient-Journey so positiv wie möglich zu gestalten.
„Die Vorbereitung auf die psychische Belastung und die therapeutische Begleitung während der Krebstherapie sind sehr wichtig“, sagt Witte und plädiert für eine Rhetorik-Pflichtprüfung im mündlichen Examen. So könne die Kommunikation zwischen Arzt und Patient verbessert werden – zum Wohle des Betroffenen. Denn: „In der Medizin kommt es oftmals zu einer Massenabfertigung. Diese negative Drift muss unbedingt gestoppt werden“, so Weißenberger.
Je digitaler, desto besser
Ein schönes Lächeln ist ein Aushängeschild. Und doch gehen viele Menschen eher ungern zum Zahnarzt. Geht es nach Dr. Jörn Thiemer, ändert sich das – Digitalisierung und technologischem Fortschritt sei Dank – schon bald.
Thiemer ist Zahnarzt, seit 25 Jahren Inhaber einer Praxis für Implantologie in Bochum und seit Jahresbeginn zudem Chief Dental Officer bei zahneins. Das mittelständische Unternehmen wurde von Zahnärztinnen und Zahnärzten mit dem Ziel gegründet, einen Praxenverbund aufzubauen. Aktuell hat die Gruppe rund 3.000 Mitarbeitende an 80 Standorten.

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Wie wir alle länger gesund bleiben können
Vor 125 Jahren war es die aus heutiger Sicht simple Synthese von Acetylsalicylsäure, die die Schmerzmittelnutzung revolutionierte und Medizingeschichte schrieb. Zwar haftete dem Wirkstoff der Salicylsäure zuvor schon jahrhundertelang der Ruf einer heilenden Wirkung an. Doch erst die Arbeit des jungen Chemikers Dr. Felix Hoffmann in einem Wuppertaler Labor der Firma Bayer im Jahr 1897 sorgte für die Geburtsstunde von Aspirin – dem Standardarzneimittel gegen Kopfschmerzen oder Erkältungen.

Mehr im Video! Schauen Sie sich jetzt die gesamte Keynote von Dr. Daniel Steiners an. Er ist seit April 2022 Geschäftsführer bei Bayer Vital, dem Arzneimittelvertrieb von Bayer in Deutschland. Beim BIG BANG HEALTH 2022 sprach er darüber, was für Fortschritte in der Medizinforschung sorgen wird
Sind Gentherapien die Zukunft?
Inzwischen ist Bayer im Pharmabereich längst ein weltweit agierender Konzern mit zahlreichen Produkten und einem Milliardenumsatz. Doch auch heute muss sich die Gesundheitsversorgung großen Herausforderungen stellen: Die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt in Deutschland beläuft sich nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes für Männer auf 78,5 und für Frauen auf 83,4 Jahre. Damit hat sich die Lebenserwartung seit dem 19. Jahrhundert rasant entwickelt und gegenüber den 1870er-Jahren mehr als verdoppelt.
Einer der wichtigsten Gründe für die gestiegene Lebenserwartung ist der medizinische Fortschritt. Bei drohender Überbevölkerung, Ressourcenknappheit, Klimawandel, Kriegen und Armut steht nicht weniger als der gesicherte Zugang zur Gesundheit auf dem Spiel. Daher gilt es, die Möglichkeiten der Technologien der Moderne voll auszuschöpfen sowie Fortschritte in Forschung und Entwicklung effizienter für den Kampf gegen scheinbar unheilbare Krankheiten einzusetzen. Bei Bayer ist man beispielsweise überzeugt, dass Zell- und Gentherapien und digitalen Technologien hier eine Schlüsselrolle zukommt.
Gesundheit für alle fördern
„Wir haben bei Bayer die Vision ,Health for All, Hunger for None‘ – eine Vision, dass Gesundheit für alle in der Welt möglich sein kann“, sagte Dr. Daniel Steiners, Geschäftsführer von Bayer Vital, dem deutschen Arzneimittelvertrieb der Divisionen Pharmaceuticals und Consumer Health der Bayer AG, auf dem BIG BANG HEALTH-Festival in Essen. Damit diese ambitionierten Vorhaben am Gesundheitsmarkt umgesetzt werden können, müssen aber die Rahmenbedingungen in Deutschland innovationsfreundlicher gestaltet werden. Das aber wird mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gerade infrage gestellt.
Viele Krankheiten wurden jahrzehntelang als „hartnäckig“ abgestempelt. Das bedeutet, dass die Medizin den Patienten über die Behandlung der Symptome hinaus oftmals nicht weiterhelfen konnte. Neuartige Technologien in Form von Zell- und Gentherapien hingegen könnten für Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz, degenerativen Erkrankungen wie etwa der Parkinson-Krankheit oder genetischen Erkrankungen wie beispielsweise Huntington in Zukunft einen signifikanten Unterschied machen.
„Zell- und Gentherapien zielen darauf ab, die Ursache einer Erkrankung zu adressieren und sie dadurch zu verhindern, zu behandeln oder möglicherweise auch rückgängig zu machen“, erklärt Steiners, der davon überzeugt ist, dass Zell- und Gentherapien das Potenzial haben, die Gesundheitsversorgung durch bahnbrechende Innovationen zu verändern. „Unser Engagement hat das Ziel, ihr Versprechen in konkrete Behandlungen für Patientinnen und Patienten umzusetzen“, ergänzt Steiners. Zwingend notwendig dafür seien aber brancheninhärente sowie interdisziplinäre Kooperationen zwischen den Beteiligten am Gesundheitsmarkt. Allein tüfteln funktioniere nicht mehr.
BioTech-Firmen als starke Partner
Bei Bayer zeigt sich diese Haltung laut Steiners unter anderem in Investitionen in innovative BioTech-Firmen. Diese könnten nun unter dem Dach von Bayer ihre Expertise im Bereich Zell- und Gentherapie voll einbringen und mit versierten Technologien ihre Arbeit vorantreiben: „Seit 2019 haben wir mehr als 2,5 Milliarden Euro in diese Bereiche investiert – etwa in die Übernahmen von BlueRock Therapeutics und AskBio, zwei innovativen BioTech-Firmen.“
Als weiteren Meilenstein sieht der Health-Experte die Partnerschaft mit Mammoth Biosciences, einem Spezialisten im Bereich der Genscheren-Technologie. Jennifer Doudna, Mitbegründerin von Mammoth, erhielt für die Erfindung dieser Technologie 2020 den Nobelpreis für Chemie gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier. Die Zusammenarbeit fokussiert sich künftig auf die Weiterentwicklung des Gene-Editing. Ziel ist es, das Genom so zu verändern, dass Herz- oder Stoffwechselkrankheiten, Alzheimer, Krebs oder Parkinson besser therapierbar sind und vielleicht eines Tages sogar rückgängig gemacht werden können.
Effizienzgewinne durch Dateneinsatz
So unverzichtbar dieser Weg auch erscheinen mag, so aufwendig sind die Prozessabläufe derzeit noch in der Praxis. Laut Steiners schaffe es aktuell „weniger als ein Prozent der Projekte von der frühen Forschung bis zur Marktzulassung“. Und nicht selten verschlingen die langjährigen Arbeiten Millionen bis Milliarden an Forschungs- und Entwicklungsgeldern. „Auch hier braucht es die Kraft von Partnerschaften, um Technologie für Datenanalysen und -auswertungen, etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder der digitalen Gesundheit, aufzubauen“, erklärt Steiners.
So ließen sich beispielsweise Daten zum demografischen Wandel, zu generationsspezifischen Lebensgewohnheiten und chronischen Krankheitsverläufen miteinander abgleichen und gezielter auf die entsprechenden medikamentösen Bedürfnisse oder Therapieverfahren anwenden. Dank digitaler Transformation sind (fast) keine Grenzen gesetzt. Neben den Effizienzgewinnen in der Gesundheitsversorgung erwartet Steiners zudem, dass dadurch die Arbeitsbelastung in den Kliniken und Praxen sinken wird. So wäre das Personal entlastet; die Patientinnen und Patienten wären dennoch umfassend versorgt. Bayers Vision „Health for All“ nähme damit erste Formen an…
Videocredit: Getty Images/selected-takes
Bildcredits: Big Bang Health/Caroline Schlüter, Big Bang Health/Michael Schwettmann, Getty Images/seb_ra