Kreislaufwirtschaft

„Bei Recycling sollte man nicht auf Perfektion warten“

Für jedes verkaufte Handy recycelt Vodafone mit dem niederländischen Unternehmen Closing the Loop ein Altgerät von afrikanischen Mülldeponien. Nach knapp zwei Jahren haben sie rund 1,5 Millionen Telefone für fachgerechtes Recycling gesammelt – 1,2 Millionen weitere sollen folgen. Sind solche Kooperationen ein vielversprechender Ansatz oder bloß eine Fußnote im aussichtslosen Kampf gegen Elektronikschrott?

Illustration eines Mannes, der eine Weltkugel reinigt als Symbol für Recycling

19.08.2024

Einem UN-Bericht zufolge produzierte die Menschheit 2022 über 60 Millionen Tonnen Elektroschrott, bis 2030 könnten es jährlich 82 Millionen sein. Der Großteil der aussortierten Elektronikgeräte verschwindet auf riesigen Mülldeponien in ärmeren Ländern ohne sichere Recyclingsysteme, wie Ghana oder Kamerun. Das wollen Vodafone und Closing the Loop mit ihrem Projekt „One for One“ verändern. Sie recyceln mithilfe eines lokalen Netzwerks in Ghana Millionen alter Handys fachgerecht. Andrea Scholz von Vodafone und Closing-the-Loop-Gründer Joost de Kluijver sprechen über ihre Kooperation, die Systemfrage des Recyclings und Optimismus trotz enormer Mengen an Elektroschrott.

Andrea Scholz, Vodafone

Andrea Scholz

verantwortet bei Vodafone die Themen Nachhaltigkeit sowie Circular Economy im Privatkundenbereich und ist Projektlead für „One for One

Joost de Kluijver, Gründer von Closing the Loop

Joost de Kluijver

hat das Unternehmen Closing the Loop vor zwölf Jahren gegründet. Zuvor war er in der Tech-Industrie sowie in verschiedenen NGOs tätig

DUP UNTERNEHMER-Magazin: Die Menge an jährlich anfallendem Elektroschrott übertrifft das Gewicht der chinesischen Mauer. Ist es zu spät, dieses Problem zu lösen?

Andrea Scholz: Die Aufgabe fußt auf einem Dilemma: Einerseits profitiert die Menschheit seit Jahren von den technologischen Innovationen. Andererseits hat uns die überwältigende Menge des produzierten Elektroschrotts längst eingeholt. Offensichtlich haben wir Menschen diesen Kreislauf nicht bis zum Ende gedacht. Das müssen wir dringend nachholen, und als Vodafone wollen wir Teil einer Lösung sein. Joost de Kluijver: Diese Statistiken mögen für viele weit weg erscheinen. Vergleiche mit dem Gewicht der chinesischen Mauer entsprechen nicht unbedingt den täglichen Erfahrungen der Menschen. Stattdessen kann sich die unrealistische Vorstellung verfestigen, dass Industrie und Politik die Macht haben, solch komplexe Probleme sofort zu lösen. Ein echter Wandel erfordert jedoch einen schrittweisen Übergang zu einem Kreislaufsystem, von dem alle profitieren. Um die Unterstützung der Menschen für den Wandel zu gewinnen, ist es entscheidend, sie in den Prozess einzubeziehen und sie nicht mit Ultimaten zu konfrontieren oder ihnen gar die Schuld für das Problem zu geben.

Benötigen große Player wie Vodafone NGOs oder Startups, um etwas zum Besseren zu verändern?

Scholz: Unternehmen wie Closing the Loop sind in vielerlei Hinsicht eine Inspiration. Aufgrund der Struktur ist es für größere Unternehmen oftmals schwieriger, ohne Expertise von außen etablierte Arbeitsweisen aus einem anderen Blickwinkel neu zu denken. Dank des Projekts „One for One“ haben wir zum Beispiel die Möglichkeit, Millionen Telefone aus afrikanischen Ländern zu recyceln. Für jedes verkaufte Handy wird ein Altgerät in Ghana eingesammelt und fachgerechtem Recycling zugeführt. Dieser zirkuläre Ansatz schafft nicht nur ein Gleichgewicht, sondern hilft auch den Menschen vor Ort, verlässlich und vor allem sicher Geld zu verdienen. Ohne das lokale Netzwerk von Closing the Loop wäre diese Art der Kooperation für uns nicht möglich gewesen.

In deutschen Haushalten lagern noch rund 200 Millionen alter Handys – was hindert die Deutschen am Recycling?

Scholz: Das hat erst mal ganz banale Gründe: Viele Menschen bewahren ihre alten Smartphones als Ersatzgerät auf. Andere fürchten, dass die Daten auf ihren Altgeräten beim Recycling in fremde Hände fallen. Und wiederum andere sehen bei einem derart kleinen Gerät keinen Mehrwert. Unsere Aufgabe ist es, Anreize zu schaffen, dass Menschen etwas verändern wollen, indem sie die in Deutschland vorhandenen Angebote wie Inzahlungnahme, Reparatur und Recycling verstärkt nutzen.

Ist die Frage des Elektroschrotts nicht eine des Massenkonsums, den Rabatt-Tage wie Black Friday befeuern?

de Kluijver: Menschen genießen das Gefühl, sich etwas kaufen zu können. Und die Industrie will an diesen Rabatt-Tagen Geld verdienen – aber nicht den Planeten zerstören. Natürlich resultieren aus diesem Massenkonsum negative Folgen. Doch der Trend geht längst in die Richtung von nachhaltigen Konzepten und Firmen mit sozialem und ökologischem Bewusstsein. Projekte wie „One for One“ zeugen davon, dass auch grüne Initiativen finanziell und gesellschaftlich erfolgreich sein können. Unsere Aufgabe ist es, grüne Dienstleistungen künftig noch attraktiver zu gestalten und einfacher zugänglich zu machen. Dann erledigt sich auch die Diskussion über derartige Rabatt-Tage.

Wie groß ist der Unterschied zwischen Recycling in Ghana und Europa?

de Kluijver: In Europa sind die Kapazitäten, Gesetzgebung und Geschäftsmodelle für industrielles Recycling perfekt ausgebaut. In afrikanischen Ländern müssen sich diese Strukturen erst langsam etablieren. Aber das Netzwerk an Menschen, externen wie lokalen Organisationen und Behörden ist schon vielfältiger geworden, wodurch ein zentrales Interesse am Aufbau eines wirtschaftlichen und ökologischen Abfallsystems zunimmt. Gleichzeitig gibt es endlich mehr Akzeptanz für die informellen Sammler. Während diese früher noch zu Unrecht dämonisiert wurden, weil sie den Abfall zum Teil verbrannt haben und dadurch schädliche Stoffe freigesetzt wurden, sind sie heute unverzichtbare Partner in der lokalen Infrastruktur. Das zeigt wieder mal: Wir müssen die Menschen in Umbruchphasen als Teil der Lösung integrieren, ihnen Chancen und Arbeitsplätze beschaffen und sie gleichzeitig für eine ordnungsgemäße Entsorgung des Elektroschrotts begeistern.

Überwiegt angesichts der riesigen Müllberge der Frust oder doch der Mut, dass sich das noch aufhalten lässt?

de Kluijver: Frustration gehört zu meinem Alltag – leider. Ich sehe so viele kluge Menschen in der Tech-Industrie, die lieber auf eine Gesetzgebung warten, statt ihren Grips selbst in innovative Lösungsansätze zu investieren. Aber man sollte beim Recycling von Elektroschrott nicht auf Perfektion warten. Mut macht mir die leidenschaftliche Arbeit, die ich täglich bei unseren lokalen Partnern in Afrika und auch in interdisziplinären Partnerschaften zwischen Startups, Unternehmen wie Vodafone oder Forschungsinstituten sehe. Dieser Anspruch, sich nicht mit dem Status quo zufriedenzugeben, lässt den Frust verfliegen. Scholz: Geduldig sein zu müssen frustriert mich manchmal. Aber tiefgreifende Systemwandel benötigen einfach Zeit. Ich bin seit zwei Jahren in meiner Rolle bei Vodafone und merke täglich, wie viel sich in der Branche positiv verändert. Auch Partnerschaften wie die mit Closing the Loop beweisen mir, dass sich unsere Ideen zu einem nachhaltigeren System aus der Theorie in die Praxis übertragen lassen. Obwohl es ein Prozess ist, habe ich das Gefühl, dass sich etwas bewegt – und das macht mir Mut!