Wer sich für ein neues Auto interessiert, blättert nur noch selten in farbigen Hochglanzbroschüren und studiert Preislisten in Papierform, die er sich zuvor bei Händlern der jeweiligen Marken in der näheren Umgebung besorgt hat. Auch der Gang in den Showroom, das Probesitzen, das Gespräch mit dem Verkäufer und vielleicht sogar die kurze Probefahrt: All das könnte in Zeiten der Digitalisierung zu einer Art Auslaufmodell werden. Hat die alte, die analoge Welt des Autokaufs keine Zukunft mehr? Verdrängt der Online-Kauf den klassischen Autohändler?
Zurückhaltung auf Käuferseite
Beide Vertriebsformen werden noch viele Jahre parallel existieren, sind sich Experten sicher. Zwar ist der Handel von der Transformation der Automobilindustrie direkt betroffen, doch auf der anderen Seite auch enorm anpassungsfähig. Branchenkenner schätzen, dass 2030 erst etwa 50 Prozent der Autos digital verkauft werden. Heute liegt die Quote bei lediglich fünf Prozent. Käufer stehen dem Online-Verkauf also noch recht zurückhaltend gegenüber. „Einer von uns durchgeführten Umfrage zufolge präferieren in Deutschland nur 31 Prozent der Kunden den reinen Online-Fahrzeugkauf“, sagt Dr. Klaus Schmitz, Partner bei der Strategieberatung Arthur D. Little.
Schon heute startet der Autokauf aber so gut wie immer in der digitalen Welt. Man sucht nach dem gewünschten Modell im Internet, informiert sich, konfiguriert, vergleicht Preise – und macht sich im nächsten Schritt auf den Weg ins Autohaus. Denn das haptische Produkterlebnis wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Gleiches gilt für die fachliche Beratung des Verkäufers.
Tesla ist Online-Trendsetter
Immer mehr Autohersteller bieten dennoch neben dem klassischen auch den reinen Online-Verkauf an. Als Trendsetter gilt Tesla. Die kalifornische Marke setzt auf Direktvertrieb. Online aussuchen – und bestellen. Ein Fahrzeug von Tesla ist in nur wenigen Minuten konfiguriert. Das funktioniert sogar auf dem Smartphone.
Volvo hat den Online-Verkauf mit seinem elektrischen SUV-Coupé C40 im vorigen Jahr gestartet. Der Kunde kann zwischen Kauf und Abo wählen.
Mercedes ermöglicht Kauf, Leasing oder Abo ebenfalls online. Bislang gilt dies allerdings nur für die rein elektrischen EQ-Baureihen. Konventionelle Fahrzeuge lassen sich ebenso digital erwerben. Doch handelt es sich hier bloß um vorkonfigurierte Modelle, die irgendwo in Deutschland beim Händler stehen.
So lief es bislang auch bei Volkswagen. Auf den Webseiten wurden nur bei Händlern gelagerte Fahrzeuge angeboten. Seit diesem Frühjahr gibt es den Online-Handel erstmals auch für individuell konfigurierbare Modelle. VW gehört damit nach eigener Aussage zu den ersten großen Volumenmarken, die diesen Service anbieten. Den Auftakt machen die elektrischen SUV-Modelle ID.4 und ID.5; der Kompaktwagen ID.3 soll folgen. Über PC, Tablet oder Smartphone wird der Vertrag digital authentifiziert. Ebenso möglich ist der Abschluss eines Leasingvertrags. Dieser neue Vertriebsweg solle den klassischen Handel aber nicht ersetzen, heißt es aus Wolfsburg.
Parallel mit dem Online-Autokauf reduzieren die Hersteller die Ausstattungs- und Variantenvielfalt. Preislisten schrumpfen, der Trend geht hin zu speziell zusammengestellten Paketen. Dies vereinfacht die Logistik und senkt die Vertriebskosten. Auch der Kunde profitiert: Wenn nur wenige Optionen zur Auswahl stehen, reichen ein paar Klicks, und das Wunschfahrzeug ist konfiguriert.
Digitalisierung als Chance
Klassische Autohäuser sind bemüht, sich auf die geänderten Rahmenbedingungen einzustellen und ihre Geschäftsmodelle den neuen Kundenanforderungen anzupassen. „Wenn man es richtig macht, ist die Digitalisierung keine Bedrohung, sondern eine Chance“, so Schmitz. „Entscheidend ist eine zeitgemäße Strategie.“
Dazu gehört, dass man über möglichst alle Kommunikationskanäle hinweg reagieren kann und zum Beispiel Online-Terminvereinbarungen für Probefahrten möglich macht. Auch sollten veränderte Mobilitätswünsche wie Shared Mobility berücksichtigt werden. Und nicht zuletzt ist eine bessere Ansprache der jüngeren Zielgruppe wichtig. Gerade die internetaffinen jüngeren Autofahrer kaufen häufig dort, wo sie den besten Preis bekommen – und das ist immer öfter ein reiner Online-Händler.
Das Autohaus als Erlebnisstätte
Um die Attraktivität zu halten, so empfehlen Experten, sollten Autohäuser daran arbeiten, ihr Image zu verbessern. Heißt: weg vom biederen Verkaufsraum, hin zu einer Art Erlebnisstätte. Mit Augmented-Reality-Brillen ließen sich beispielsweise verschiedene Ausstattungsvarianten beim Probesitzen in einem Fahrzeug optisch präsentieren. Dass klassische Autohäuser schon bald nicht mehr existieren, bezweifeln Branchenkenner.
„Ich denke nicht, dass es mittelfristig keine Händler mehr gibt, denn die Autobauer brauchen die Autohäuser. Sie sorgen für Umsatz, verkaufen Originalersatzteile und bieten Service an“, sagt Stefan Bratzel, Autoexperte am Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. „Es geht nicht ohne stationäre Showrooms und Werkstätten. Ein Auto kann man nicht komplett online warten.“
Zu Problemen für die Autohäuser könnte es jedoch mit dem Hochlauf der Elektromobilität kommen. Geld wird oft erst dann verdient, wenn der Kunde zum Service kommt. Vor allem vom Ölwechsel wird profitiert, den gibt es aber bei einem Elektroauto nicht mehr. Alle zwei Jahre muss bloß die Bremsflüssigkeit gewechselt werden. Der Rest ist Sichtkontrolle, bis auf den Austausch des Mikrofilters für den Innenraum. Auch die Bremsen kommen bei einem E-Fahrzeug nur selten zum Einsatz, halten entsprechend länger. Denn verzögert wird hauptsächlich mit der E-Maschine.
Neue Strategie: Händler-Allianzen
Ein neues Szenario zeichnet sich ab, je mehr die Gewinnmargen schrumpfen: Autohändler schließen sich zusammen, um Größenvorteile zu nutzen und mehr finanzielle Mittel für Investitionen in die Zukunft zu haben. Diese Händler-Allianzen werden zunehmend versuchen, eine eigene Marke aufzubauen, diese online und offline als Plattform zu etablieren und sich als Anbieter verschiedener Marken von den Herstellern unabhängiger zu machen. In diesen „Fahrzeug-Supermärkten“ kann der Neuwagenkunde Produkte und Preise markenübergreifend vergleichen. Er findet damit die gewohnte Transparenz aus der digitalen Welt an einem physischen Ort wieder.
Die Hersteller gestalten ihr Vertriebsmodell ebenfalls neu und nehmen direkten Einfluss auf die Autohäuser. „Diese wandeln sich von klassischen Weiterverkäufern zu Vermittlern mit Provision“, sagt Schmitz. Vorteil für den Hersteller: Er kann Preise und Rabatte direkt steuern und bekommt die Hoheit über die Kundendaten, die zuvor der Händler hatte. Eine Umfrage von PricewaterhouseCoopers hat gezeigt, dass sich fast zwei Drittel der Konsumenten vorstellen können, ihr nächstes Auto direkt beim Hersteller zu erwerben.