Kolumne

Gleichberechtigung

Warum Solidarität Frauen nach vorn bringt

Anstatt dass Frauen sich in einer männerdominierten Welt gegenseitig unterstützen, machen und halten sie sich noch zu oft gegenseitig klein. „So wird das nichts mit der Gleichberechtigung“, sagt Jenny Gruner und wünscht sich mehr Solidarität unter Frauen.

15.12.2022

Jede kennt es, das Neiden der Leistung einer Frau durch andere Frauen. Eine Beförderung, mehr Sichtbarkeit, ein Lob für eine Frau – und sofort geht das Getuschel los. Wer hat nicht schon mal den einen oder anderen bissigen Kommentar abbekommen oder ist über die Gerüchte über einen selbst – bis hin zum Mobbing – gestolpert? Stutenbissigkeit hat viele Gesichter. Dabei ist Neid eine Todsünde – und der Vergleich des Glücks Tod.

Kolumne von Jenny Gruner

Gegeneinander statt miteinander

Eigentlich gelten Frauen eher als empathisch und teamfähig. Das stimmt auch – bis sie mit anderen Frauen zusammenarbeiten. Dann geht meiner Erfahrung nach immer noch zu häufig der Zickenkrieg los, und Frauen werden zu Feindinnen. Sie versuchen den Wert der Konkurrentin durch Lügen, Sticheleien und Unter­stellungen zu mindern. Das Ziel: die Isolation der Rivalin.

Eine Beobachtung, die auch die Wissenschaft immer wieder macht. Statt uns in einer männerdominierten Welt zu unterstützen, machen und halten wir uns gegenseitig klein. So wird das aber nichts mit Gleichberechtigung, Gleichstellung und Diversität.

Wohlweislich sollten wir für unser eigenes Wohlbefinden die Finger davon lassen und anderen Frauen nichts neiden oder nachtragen. Sicherlich: Nicht jedes Mal artet es so aus wie oben beschrieben, und es gibt auch mehr und mehr Erfolgsgeschichten von Frauen untereinander. Trotzdem kommt Stutenbissigkeit immer noch viel zu häufig vor. Die Gründe dafür gilt es zu verstehen, wenn wir daran etwas ändern wollen.

Woher kommt Rivalität unter Frauen? 

Eigentlich wird Frauen nachgesagt, sanft und verständnisvoll zu sein und für Harmonie zu sorgen. Doch geht es um Karriere, Aussehen oder Alter, werden sie zu Rivalinnen. Während Männer eher aggressiv im Wettbewerb agieren und ihren Rang ausfechten, gehen Frauen subtiler vor und punkten passiv-aggressiv. Doch warum ist das so? 

Illustration von Jenny Gruner
Jenny Gruner ist Director Global Digital Marketing bei Hapag-Lloyd und baut in dieser Funktion ein digitales skalierbares Vermarktungs-Modell in 144 Ländern auf. Ein tiefes Kundenverständnis ist für sie dabei elementar, um neben globalen Anforderungen auch auf die lokalen Bedürfnisse eingehen zu können. Die Enkelin eines Kapitäns ist überzeugt, dass eine solch tiefgreifende Transformation nur mit allen zusammen an Bord gelingt – und es dafür einen Kulturwandel innerhalb des Unternehmens bedarf

Nun, wir Frauen wurden in eine männerdominierte Welt geboren. Entsprechend müssen wir für unseren Erfolg die männliche Perspektive einnehmen, da Männer den Ton angeben. Ergo müssen sich Frauen dem männlichen System anpassen. Frauen machen also ihren eigenen Wert von der Sichtweise der Männer abhängig und konkurrieren auf Basis dieser Norm.

Beim Blick zurück zeigt sich zudem, dass Frauen über viele Jahrzehnte in einer starken männlichen Abhängigkeit standen. Erst seit 1958 dürfen Frauen beispielsweise ohne die Erlaubnis ihres Mannes einem Job nachgehen. Dieses Erbe ist nicht gerade zuträglich, wenn es darum geht, im Berufsalltag für sich und ihre Ziele einzustehen und den eigenen weiblichen Weg zu gehen – unabhängig von Männern.

Frauen fehlt Erfahrung im Umgang mit Konkurrenzsituationen

Das endet dann darin, dass Frauen in ranghohen Positionen andere Frauen in rangniederen Positionen nicht oder nur selten unterstützen. Dieses Vorgehen der Bienenkönigin, die vornehmlich männliche Attribute herauskehrt, führt teils sogar zum Leugnen von Geschlechterdiskriminierung und damit zur Aufrechterhaltung unfairer Strukturen für Frauen. Eine mögliche Folge daraus: Jede fünfte Frau in Deutschland hat lieber einen Mann als Chef, wie YouGov ermittelt hat. 

Außerdem wurden Frauen über Generationen hinweg nach dem Motto „Sei bescheiden und rein wie das Veilchen“ sozialisiert. Aufgrund dieser Erziehung, sich gegenseitig zu unterstützen und nett zu sein, konnten Frauen den Umgang mit Konkurrenzsituationen nicht lernen. Entsprechend wissen Frauen eher, wie sie Gefühle unterdrücken und nicht anecken, sondern gefallen. Dafür unterstützt es passiv-aggressive Verhaltensweisen: lästern, Intrigen spinnen, Konkurrenz persönlich nehmen. 

Halten wir fest: Die Rivalität unter Frauen ist historisch gewachsen. In unserem bestehenden Gesellschaftssystem wurden wir entsprechend geprägt, haben es so gelernt und uns zu sehr an Männern orientiert. Wenn wir daran etwas verändern wollen, gilt es, das System zu ändern. 

Mehr Solidarität unter Frauen fördern

Um mehr Solidarität zu fördern, müssen wir Frauen endlich damit aufhören, uns gegenseitig im Weg zu stehen. Das schwächt uns; damit überlassen wir den Männern das Spielfeld. Zunächst einmal heißt es, sich selbst zu hinterfragen: Reagiere ich in Konkurrenzsituationen mit anderen Frauen ebenfalls stutenbissig? Vergleiche ich mich mit anderen Frauen und begegne ihnen dann neidisch? Bin ich zu anderen Frauen hart und unterstütze sie nicht?

Wenn eine oder mehrere Fragen mit Ja beantwortet wurden, dann liegt das Problem bei einem selbst. Das fühlt sich sicherlich nicht gut an, heißt aber auch, dass man es selbst in der Hand hat, dies zu ändern.

Dann sollten wir die Energie, die wir für das destruktive Verhalten aufwenden, in etwas Positives umwandeln. Mit dem Finger auf andere zu zeigen bedeutet auch immer, dass mindestens drei Finger auf einen selbst zeigen. Was macht mich also so unsicher, dass ich so reagiere? Welcher Anteil in mir möchte gesehen und wertgeschätzt werden? Wer sich selbst mag, vergleicht sich nicht unbedingt und kann andere einfacher so akzeptieren, wie sie sind. Und nur wer sich selbst entwickelt, kann auch andere entwickeln und fördern. Um also eine selbstbewusste Frau zu werden, müssen wir uns zuerst selbst bewusst machen, wie und warum wir uns so verhalten.

Voneinander lernen und profitieren

Gemeinsam sind wir stärker. Ergo sollten Frauen sich unterstützen und sich gegenseitig fördern. Das kann in Form von Empfehlungen für Jobs oder ­Projekte geschehen. Im Rahmen von Mentoring können Frauen ebenfalls voneinander lernen und profi­tieren. 

Applaudiert füreinander, wenn eine Frau den nächsten Schritt auf der Karriereleiter macht! Es geht darum, den eigenen Erfolg zu nutzen, um sich dann auch für die Belange der Mitstreiterinnen einzusetzen. Wir sollten uns alle viel häufiger ehrliche Komplimente machen und einander sagen, wenn uns etwas beeindruckt hat.

Kurz: Wir müssen uns den Rücken stärken, zuhören und Erfahrungen teilen. In all den Punkten, die es noch zu verbessern gilt – Gender-Pay-Gap, Kinderbetreuung oder Sexismus –, wird die Zusammenarbeit unter Frauen schneller Lösungen hervorbringen. Wir brauchen also funktionierende Netzwerke. 

Hilfreich ist auch, eine neue Sicht auf das Thema Konkurrenz zu bekommen. Statt sich persönlich angegriffen zu fühlen, kann es als Anerkennung der eigenen Leistung und als Möglichkeit, sich zu messen, gesehen werden. Daran kann jede Frau nur wachsen, besser werden und so schneller an ihre Ziele kommen. Die Konkurrentin kann so das Beste aus mir herausholen.

Nur gemeinsam verändern wir die Welt 

Statt uns dem System anzupassen, müssen wir das System an uns anpassen. Mithilfe von Solidarität der Frauen untereinander werden wir weibliche Werte wie Empathie, Mitgefühl und Gemeinschaft stärker in die Arbeitswelt bringen und unseren ganz eigenen weiblichen Karriereweg erschließen können. 

Doch das geht nicht im Alleingang, sondern nur mit allen gemeinsam – Frauen und Männern. Von den Männern können wir zum Beispiel lernen, anders mit Konkurrenz umzu­gehen und in Netzwerken zu agieren. Aber auch Männer können von den oben genannten Werten profitieren, ihren Anteil am System erkennen und Änderungen herbeiführen. Dann werden unsere Gesellschaft und unsere Unternehmen diverser, chancengerechter, nachhaltiger und wirtschaftlich erfolgreicher sein.