Whistleblower-Richtlinie soll Hinweisgeber schützen
24.05.2022    Olivia Schlumm
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Die Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht am 17. Dezember 2021 hat die Bundesregierung zwar verpasst. Aber vom Tisch ist das Thema nicht: Im April legte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) einen neuen Entwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz vor. Dieser Gesetzesentwurf geht über die EU-Vorgaben hinaus und umfasst sowohl die Privatwirtschaft, als auch den öffentlichen Sektor. Es wird erwartet, dass das Gesetz im Herbst in Kraft tritt.

Ziel der Whistleblower-Richtlinie ist es, Angestellte, die auf Missstände hinweisen, vor Repressalien wie Abmahnung, Kündigung, Mobbing oder Benachteiligung bei weiteren Karriereschritten zu schützen. Unternehmen ab einer gewissen Größe und Behörden sind dazu verpflichtet, intern rechtskonforme Möglichkeiten zu schaffen, über die Verstöße gemeldet werden können.

Doch was ich nun für Unternehmerinnen und Unternehmer konkret zu tun, um sich auf das Inkrafttreten des Gesetzes in Deutschland vorzubereiten? Rechtsanwalt Johannes von Rüden erklärt, wie die Vorgaben praktisch umgesetzt werden können.

Zur Person

Rechtsanwalt Johannes von Rüden

Johannes von Rüden

ist als Rechtsanwalt spezialisiert auf Strafverteidigung, Wettbewerbsrecht, Compliance-Management-Systeme und das Hinweisgeberschutzgesetz. Sein Jura-Studium hat er an der Eberhard Karls Universität Tübingen und der Humboldt Universität zu Berlin absolviert

Warum war die Einführung einer Whistleblower-Richtlinie nötig? Welches Ziel wird vonseiten der EU damit verfolgt?

Johannes von Rüden: Whistleblower unterlagen in den vergangenen Jahren immer wieder Repressalien, wenn sie auf Missstände oder Gesetzesverstöße hingewiesen haben. In harmlosen Fällen wurden sie schlicht nicht ernst genommen. In anderen Fällen wurden sie wegen anderer vermeintlicher Verstöße plötzlich abgemahnt oder ihnen wurde gar gekündigt. Zum Teil wurden Familien und Karrieren zerstört; einen bekannten Whistleblower will wohl niemand mehr einstellen. All diese Erfahrungen trugen nicht unbedingt dazu bei, dass Whistleblower ihren Mut gepackt haben und sich bei Missständen an ihren Arbeitgeber oder an Behörden gewandt haben. Die Europäische Union setzt mit der Whistleblower-Richtlinie ein deutliches Zeichen: Menschen, die auf Missstände hinweisen, genießen besonderen Schutz und nehmen einen wichtigen Auftrag der Gesellschaft wahr.

Welche Mindestanforderungen müssen Unternehmen laut der Whistleblower-Richtlinie umsetzen? Was sind also die zentralsten Vorgaben der Richtlinie?

von Rüden: Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern werden in Zukunft Meldekanäle bereithalten und betreiben müssen, damit potenziellen Whistleblowern ein Meldeweg für ihre Mitteilungen zur Verfügung steht. Diese Kanäle müssen sicher konzipiert sein. Dazu muss das Unternehmen eine Person bestimmen, die die Meldungen sichtet oder an die sich Whistleblower wenden können. Die verantwortliche Person muss gesondert geschult werden, alle Inhalte vertraulich behandeln und darf bei der Bearbeitung der Meldungen an keine Weisungen des Managements gebunden sein. Meldungen müssen innerhalb einer fest vorgegebenen Zeit bearbeitet werden und entsprechende Zwischenbescheide an den Hinweisgeber versendet werden. Wegen diesen hohen Anforderungen lässt es die Europäische Union ausdrücklich zu, dass Unternehmen auch Dritte als Dienstleister mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben betrauen können.

Da die alte Bundesregierung die EU-Richtlinie nicht bis zum Stichtag im Dezember 2021 in deutsches Recht umsetzen konnte, gelten in Deutschland aktuell die Vorgaben der EU. Inwieweit unterscheidet sich der aktuelle Gesetzesentwurf aus dem Bundesjustizministerium von der EU-Richtlinie?

von Rüden: Solange es kein deutsches Umsetzungsgesetz gibt, sind Unternehmen nicht dazu verpflichtet, Meldekanäle bereitzuhalten. Whistleblower können sich vor Gericht jedoch bereits jetzt unmittelbar auf das Repressalienverbot aus der Whistleblower-Richtlinie berufen.

Der aktuelle Gesetzentwurf weicht noch sehr deutlich von den Vorgaben der Europäischen Union, aber auch vom Koalitionsvertrag ab. So erwähnt die Gesetzbegründung ausdrücklich den Fall der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch. Ihr Fall ging bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie hatte auf extreme Überforderungen im Pflegebereich hingewiesen, der weder ein strafrechtlich- noch bußgeldrelevantes Verhalten begründete. Gleichwohl machte sie auf einen Missstand aufmerksam, dessen Erörterung im Interesse der Öffentlichkeit stand. Sie wäre aktuell nicht vom Hinweisgeberschutzgesetz geschützt.

Auch die Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen wäre nach dem aktuellen Entwurf nicht geschützt, weil sie zwar auf moralisch verwerfliche Werbestrategien von Meta hingewiesen hat, diese aber noch nicht rechtlich relevant waren.

Zuletzt deckte ein Whistleblower Verstöße einer Bremer Wohnungsbaugesellschaft bei der Vergabe von Wohnungen auf, die eindeutig gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen haben. Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgesetz können nur zu Schadensersatzansprüchen der Betroffenen führen, ziehen aber keine Bußgelder nach sich. Daher wäre auch dieser Whistleblower nicht geschützt. Der Entwurf muss daher noch an einigen Stellen überarbeitet werden. Und: Nach dem aktuellen Entwurf dürfen Konzerntöchter mit mehr als 50 Mitarbeitern ein einheitliches Meldesystem mit der Konzernmutter teilen. Das ist klar richtlinienwidrig und kann ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik nach sich ziehen.

Wie wird verhindert, dass Mitarbeitenden, die Missstände melden, dafür vom Arbeitgeber sanktioniert werden?

von Rüden: Der Begriff der Sanktionen ist in der Whistleblower-Richtlinie sehr weit gefasst und umfasst jede direkte oder indirekte Benachteiligung. Hierbei muss es sich nicht immer um eine Kündigung handeln. Wer etwa bei Schulungen, Gehaltserhöhungen oder Versetzungen übergangen wird, wird sich künftig mit Schadensersatzansprüchen gegen den Arbeitgeber wehren können. Im Fall von Mobbing kann der Whistleblower mit dem einstweiligen Rechtsschutz dagegen vorgehen. Wichtig ist, dass eine sogenannte Beweislastumkehr gilt: Erfährt der Whistleblower Nachteile, wird widerleglich vermutet, dass ein Zusammenhang zwischen dem Whistleblowing und der Repressalie besteht. Es liegt dann am Arbeitgeber, das Gegenteil zu beweisen. Das kann bei Kündigungen, bei denen bisher keine Begründung notwendig war, in Zukunft zum Problem werden.

Wie müssen Whistleblower vorgehen, um tatsächlich auch nach den Regeln der Richtlinie arbeitsrechtlich geschützt zu sein? Welche Fehler gilt es also zu vermeiden?

von Rüden: Gerade bei anonymen Meldungen müssen Hinweisgeber im Zweifelsfall darlegen können, dass sie eine Meldung abgegeben haben. Erst dann erfahren sie den Schutz des Hinweisgeberschutzgesetzes. Die Hinweisgeber sollten die vorgegebenen Kanäle verwenden und nicht etwa voreilig an die Medien herantreten. Dies kann zum Verlust von Schutzrechten führen. Wir bieten potenziellen Whistleblowern daher Beratungsgespräche an, um derartige Rechtsverluste zu verhindern. Es bleibt abzuwarten, ob der Staat dort nachziehen wird.

Laut dem deutschen Gesetzesentwurf sind Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden zur Schaffung von anonymen Meldekanälen verpflichtet sowie Behörden und Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern. Doch was ist mit kleineren Unternehmen, die ja einen großen Teil der deutschen Wirtschaft ausmachen? Inwieweit werden Mitarbeitende, die dort Missstände feststellen und melden wollen, geschützt?

von Rüden: Auch Whistleblower, die bei Unternehmen arbeiten, die unter dem Schwellenwert liegen, genießen den vollen Schutz der Hinweisgeberrichtlinie vor Sanktionen. Der einzige Unterschied liegt nur darin, dass die Arbeitgeber nicht verpflichtet sind, interne Meldekanäle einzurichten. Beim Bundesjustizministerium wird aber eine externe Meldestelle eingerichtet, an die sich Hinweisgeber wenden können, deren Unternehmen keine Meldekanäle bereithalten müssen. Das Bundesjustizministerium wird Eingangsbestätigungen zur Verfügung stellen müssen, die im Fall einer gerichtlichen Abwehr gegen Repressalien vorgelegt werden können.

Was gilt es beim Aufbau eines internen Hinweisgebersystems zu beachten? Und mit welchem Aufwand und welchen Kosten ist dabei zu rechnen?

von Rüden: Unternehmen sollten sich gut überlegen, ob sie eine interne oder eine externe Lösung nutzen möchten. Gerade kleinere Unternehmen mit rund 100 Mitarbeitern kann die Errichtung einer Hinweisgeberstelle vor komplexere Herausforderungen stellen. Daher raten wir gerade in diesen Bereichen dazu, die Aufgabe des Hinweisgeberbeauftragen auszulagern und von erfahrenen Fachleuten betreuen zu lassen. WhistlePort ist ein derartiges System, dass sich innerhalb weniger Minuten in eine existierende Compliance-Strategie integrieren lässt. Die Bearbeitung der eingehenden Meldungen übernehmen bei uns angestellte Rechtsanwälte, die mit den Entwicklern eng zusammenarbeiten und die Plattform betreuen und weiterentwickeln. Ein derartiges Modell kann es schon für 148 Euro monatlich geben. Weitere Kosten entstehen nur, wenn Meldungen eingehen, die genauer untersucht werden müssen.

Was glauben Sie: Wird die Whistleblower-Richtlinie tatsächlich mehr Angestellte dazu bringen, auf Missstände hinzuweisen?

von Rüden: Whistleblower haben bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass sie den Mut besitzen, auf Missstände hinzuweisen. Diejenigen, denen bisher der Mut fehlte, das richtige zu tun, werden sich in Zukunft möglicherweise dazu ermuntert sehen, auf Missstände hinzuweisen. Experten rechnen tatsächlich damit, dass nach dem Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes vermehrt erstzunehmende Meldungen eingehen werden.

24.05.2022    Olivia Schlumm
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