Zurich-Chef Carsten Schildknecht im Interview

„Technologieoffenheit ist wichtig“

Es gibt Themen, vor denen kann niemand die Augen verschließen. Mit der Digitalisierung und einer nachhaltigen Arbeitsweise etwa müssen sich alle Branchen auseinandersetzen, um am Puls der Zeit zu bleiben. Das Versicherungsunternehmen Zurich will zu einem der nachhaltigsten Unternehmen weltweit werden. Dr. Carsten Schildknecht, CEO der Zurich Gruppe Deutschland, erklärt, wie das gelingen soll.

09.12.2021

Carsten Schildknecht

ist seit 2018 CEO der Zurich Gruppe Deutschland. Zuvor hatte er verschiedene Positionen in  der Finanz- und Automobil­branche inne

Nachhaltigkeit ist – das zeigen die 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen – ein weites Feld. Was verbinden Sie persönlich mit dem Begriff Nachhaltigkeit?

Carsten Schildknecht: Die Geschwindigkeit, mit der der Klimawandel voranschreitet, macht deutlich, dass die Lücke zwischen Klima-Rhetorik und faktischem Klimaschutz geschlossen werden muss. Es ist effektiver, sich in tatsächlich nachhaltigem Handeln zu überbieten als im Formulieren von Weltuntergangsszenarien. Wir brauchen eine Kultur, die Technologie­offenheit pflegt – keine, die Bürger in ihrer Individualität, Kreativität und Schaffenskraft einengt und in ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung entmündigt.

Was kann und muss die Versicherungswirtschaft tun, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten?

Schildknecht: Wir sehen unseren Einfluss in vier Rollen, in denen wir beim Thema Klimaschutz wirksam werden können: als Unternehmen und Arbeitgeber, als Investor und Berater, als Versicherer und Risikomanager sowie als Teil der Gesellschaft. Als Unternehmen und Arbeitgeber sind wir schon seit 2014 klima­neutral, aber eine besonders große Hebelwirkung beim Thema Nachhaltigkeit sehen wir in unserer Rolle als Investor und Berater. Wir besitzen ein Investitions- und Sicherungsvermögen in Milliardenhöhe – und es macht einen wesentlichen Unterschied, worin wir dieses Vermögen investieren. Der Klimagipfel in Glasgow hat gezeigt, dass die Politik einen klaren Rahmen für künftige Klimamaßnahmen wie die Bepreisung von Kohlen­stoff vorgeben muss. Nur so wird es gelingen, Klimaschutz global zu denken, längerfristig zu planen und die Kosten für Klimaneutralität fair aufzuteilen.

Ihre Nachhaltigkeitsstrategie klingt erst einmal ambitioniert. Sie wollen das Vertrauen in eine digitale Gesellschaft fördern, eine nachhaltige Arbeitswelt schaffen und einen überproportionalen Beitrag zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels leisten. Aber wie? 

Schildknecht: Diese Ziele korrespondieren mitei­n­ander. Indem wir Arbeitsprozesse digitaler machen, auf Papier verzichten und Mitarbeitenden alternative Mobilitäts- und Flexoffice-Angebote machen, zahlen wir nicht nur auf unsere Attraktivität als moderner Arbeitgeber, sondern auch auf alle unsere Nachhaltigkeitsziele ein. So sind wir im operativen Geschäft bereits klimaneutral. Durch konkrete Maßnahmen und ambitionierte Zwischenziele werden wir dann spätestens bis 2050 in unseren Versicherungsprodukten und Anlagevermögen klima­neutral werden. Das umfasst beispielsweise auch den Ausbau nachhaltiger Angebote für Privat- und Firmenkunden und den Ausbau unserer bereits führenden Position im Bereich fondsgebundenen Lebensversicherungen durch die Stärkung von ESG-Kriterien. Im sozialen Bereich unterstützen wir verschiedene gemeinnützige Nachhaltigkeitsinitiativen. In Summe hat dies bereits dazu geführt, dass wir kürzlich im Zielke-CSR-Rating mit Gold ausgezeichnet wurden.

Peter H. Diamandis und Steven Kotler beschreiben in ihrem Business-Bestseller „The future is faster than you think“ die Auswirkungen des beschleunigten digitalen Wandels auf Branchen und Geschäftsmodelle. In welcher Technologie sehen Sie aktuell den größten Treiber des Wandels in der Versicherungswirtschaft? 

Schildknecht: Die gesamte Industrie ist in einem „perfekten Sturm“. Kundenverhalten ändert sich, digita­le ­Angebote und Services entstehen, neue Wettbewerber treten auf. Es gibt Themen, die noch immer weitgehend unterschätzt werden – zum Beispiel Künstliche Intelligenz. Auf der anderen Seite wurden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Bedeutung der persönlichen Beratung massiv überschätzt. Heute zeigt sich, dass Totgesagte oft länger leben, denn die Menschen sind auf erstklassige Beratung angewiesen und fragen diese auch nach. So sehen wir beispielsweise die steigende Bedeutung hybrider und integrierter digitaler Angebots- und Serviceplattformen. Kunden informieren sich zwar im Internet, suchen dann aber oft persönliche Beratung. Wir sorgen dafür, dass die Kunden diese Angebote auf den digitalen Kanälen gut und schnell erreichen. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass unsere Vertriebspartner auch beim persönlichen Beratungsgespräch optimal mit digitalen Lösungen unterstützt werden. Entscheidend dabei ist die vertriebliche Nutzung von Daten entlang der Customer-Journey, um Kunden noch gezielter auf dem richtigen Kanal mit dem richtigen Angebot zum richtigen Zeitpunkt erreichen zu können. Am Ende wählt der Kunde!

Was prägt ihr Verhältnis zu InsurTechs? Betrachten Sie diese eher als Konkurrenz oder als Partner?

Schildknecht: Am Beispiel der digitalen Versicherungsmakler hat man viel lernen können. Ein an sich vielversprechendes Geschäftskonzept ist letztlich an den zu hohen Akquisitionskosten für Neukunden gescheitert. Viele der digitalen Makler haben ihr Geschäftsmodell weiterentwickelt und versuchen nun, zum Plattform- beziehungsweise Serviceanbieter für Versicherer zu werden. Das ist eine spannende Entwicklung im Markt, deren Potenzial wir nutzen. Wir sehen InsurTechs nicht als Gefahr für unser Geschäftsmodell, sondern eher als Ideengeber mit spezifischem Know-how. So sind wir bei der Zurich Gruppe Deutschland mit der Übernahme des Start-ups dentolo zunächst in den Markt der digitalen Zahnzusatzversicherung eingestiegen und jüngst in die Tierkrankenhaftpflichtversicherung. Mit der Nutzung dieses Ökosystems sind wir seit dem Markteintritt Ende 2019 sehr erfolgreich.

Digitale Konferenzen, Meetings und Beratungsgespräche sind Teil unseres Alltags geworden und dürften dies in einem gewissen Ausmaß auch künftig bleiben. Wie wichtig ist und bleibt der persönliche Kontakt gerade in Ihrer Branche?

Schildknecht: Wir alle merken, dass die virtuellen Formate auf Dauer wider die Natur des Menschen sind. Wir sind soziale Wesen, suchen den persönlichen Austausch, die Nähe und eine Rückmeldung – auch nonverbal. All das ist über digitale Konferenzen nur schlecht zu erreichen. Die Coronapandemie hat natürlich viele digitale Prozesse beschleunigt. Und zweifellos wurden hier auch viele Trends gesetzt, die über ein Ende der Pandemie Bestand haben werden – beispielsweise die Reduzierung von Dienstreisen, was auch aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten vorteilhaft ist. Dennoch wird der persönliche Kontakt der Mitarbeitenden untereinander und zu unseren Kunden und Partnern immer eine besondere Qualität haben.

Wird sich die zunehmende Digitalisierung auch in den Tarifen niederschlagen? Wird es beispielsweise einerseits teurere Tarife geben, bei denen der Kontakt zu „echten“ Beratern gewährleistet ist, und andererseits günstigere „online only“-Tarife?

Schildknecht: Die Beratung der Kunden zur Anbahnung eines Vertrags macht nur einen relativ kleinen Anteil am Gesamtpreis aus. Der Anteil der nachgelagerten Prozesse – zum Beispiel der Vertriebsaufwand, das Marketing und die Aufnahme von Schäden – sind größer. Der Effekt von Optimierungen dieser Prozesse durch die Digitalisierung ist jedoch unabhängig vom Vertriebsweg und würde nicht zu maßgeblichen Unterschieden in den Preisen führen. Vor allem geht es auch um Qualität in der Beratung, weshalb wir die Verbandsinitiative „gut beraten“ gegründet haben. Damit stellen wir nicht nur die Weiterbildung sicher, sondern wir erhöhen aus eigener Initiative heraus die Transparenz.