In Deutschland herrscht nicht nur ein Fach-, sondern auch ein Führungskräftemangel. Inwiefern kann Interim-Management ein Ansatz sein, dieser Herausforderung zu begegnen?
Tilo Ferrari: Die Standarderklärung der HR-Abteilungen für den drohenden Personalmangel ist im War for Talents begründet. Unternehmen versuchen, anderen Firmen mit immer mehr Zugeständnissen im Gehalt und sonstigen Leistungen die knappe Ressource „Mitarbeitende“ abzuwerben. Gleichzeitig gibt es das ungeschriebene Gesetz, potenzielle Angestellte, die 50 Jahre oder älter sind, abzuwerten. Daran ändert leider auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nichts. Es führt nur dazu, dass öffentlich niemand über diesen Missstand spricht. Dabei sollten wir genau das tun. Denn wir müssen jeden noch so kleinen personellen Strohhalm ergreifen. Unzählige Menschen, die die unsichtbare Grenze 50 plus überschritten haben, wollen sich weiter als Arbeitskräfte engagieren.
Viele müssen nicht mehr arbeiten, suchen jedoch nach Herausforderungen. Diese Menschen möchten nach wie vor Teil der arbeitenden Gesellschaft sein – nur eben nicht in einer klassischen Anstellung. Und genau hier liegt die Chance für das Interim-Management oder – wie ich es bezeichne – #generationinterim.
Hochspezialisierte Interim-Manager sind flexibel einsetzbar und übernehmen befristete Aufgabenstellungen. Firmen und ihre HR-Abteilungen, die die #generationinterim richtig interpretieren, können sie als Lösungsansatz im War for Talents aufbauen. So entstünde eine Personalstrategie, mit der es gelingt, junge und erfahrene, interne und externe Mitarbeitende zu verbinden. Der Staat sollte die #generationinterim als Chance erkennen, dem demographischen Wandel arbeitsmarktpolitisch etwas entgegenzusetzen. Er sollte akzeptieren, dass das Gleichbehandlungsgesetz allein es nicht richten wird.
In welchen Situationen beziehungsweise bei welchen Aufgaben können Interim-Manager besonders gut unterstützen? Und gibt es Ihrer Erfahrung nach auch Aufgaben, die nichts für Interim Manager sind?
Ferrari: Interim-Management ist in der Regel nicht für rein operative Tätigkeiten geeignet. Dies ist eher Spielfeld der Zeitarbeit. Interim-Management entfaltet seine volle Stärke in Veränderungssituationen. Das können intern veranlasste Projekte oder extern herbeigeführte Aufgabenstellungen sein, die etwa durch Firmenzusammenschlüsse oder Übernahmen entstehen. Manchmal ist es so, dass eine Fach- oder Führungskraft im Unternehmen ausfällt und kurzfristig zu ersetzen ist. Oder es braucht spezielle fachliche Expertise, um ein akutes Problem zu lösen. Die Bedarfssituationen sind vielfältig, doch sie verbindet eines: In der Regel entsteht der Bedarf kurzfristig und ist zeitlich begrenzt.
Welche Chancen eröffnen sich durch den Einsatz von Interim-Managern, welche Probleme und Herausforderungen kann der befristete Einsatz von externen Fach- und Führungskräften aber auch mit sich bringen?
Ferrari: Wer als CEO, CHRO oder Unternehmen den demografischen Wandel ignoriert, wird später Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen müssen. Unternehmen aller Art benötigen Personal. Fehlt es, kann die Firma nicht mehr wachsen; sie schrumpft im schlimmsten Fall sogar. Unternehmen, die erkennen, dass externe Mitarbeitende in Fach- und Führungsaufgaben ein strategisch relevanter Erfolgsfaktor sind, werden besser abschneiden als jene, die diese Entwicklung ignorieren. Das Zauberwort heißt Flexible Workforce Management. Es bedeutet, eigene und fremde Fach- und Führungskräfte zu einer Belegschaft zu verbinden. Unternehmen wie Novo Nordisk aus Dänemark haben das bereits verstanden und gelten völlig zurecht als Vorreiter.
Die große Herausforderung liegt darin, internes und externes Personal in der Projektarbeit zu verweben, sodass die komplette Belegschaft ihre maximale Produktivität entfaltet. Es geht nicht mehr nur darum, als Externer zuzuarbeiten, sondern mit den Festangestellten zu einer Einheit zu verschmelzen, die gemeinsam das definierte Ziel erreicht. Agil organisierte Firmen haben es hier leichter als klassisch hierarchisch aufgestellte Unternehmen.
Über welche Skills sollten Interim-Manager verfügen, damit sie in unterschiedlichsten Unternehmen eingesetzt werden können?
Ferrari: Neben fachlicher Expertise sollten sie vor allem eine gewisse Dienstleistungsmentalität mitbringen. Interim-Manager bleiben ja immer Externe. „Ich komme, um zu gehen“ – das ist ein von Interim-Managern vielzitierter Spruch. Sie müssen die Fähigkeit haben, sich schnell – oft sehr schnell – in neue Situationen einzuarbeiten und sich auch dann gut zurechtzufinden, wenn die Situation vor Ort chaotisch ist.
Welche Rolle spielt der Cultural Fit von Interim-Manager und temporärem Arbeitgeber für den Erfolg des Einsatzes?
Ferrari: Den Cultural Fit erachte ich als eher zweitrangig. Interim-Manager übernehmen einen zeitlich befristeten Auftrag. Sie müssen sich schnell einarbeiten, aber nicht mit der Organisation verschmelzen. Wichtig ist, dass Interim-Manager ein gutes Gespür für „Kulturelles“ haben und „zwischen den Zeilen“ lesen können – also, dass sie empathisch sind und emotionale Intelligenz besitzen. Beides ist für mich wichtiger als der Cultural Fit. Ich gebe aber zu, dass die Grenzen fließend sind.
Wie stellt man sicher, dass Mitarbeitende einen Interim-Manager mit offenen Armen empfangen, anstatt ihm ablehnend gegenüberzutreten?
Ferrari: Das ist eine sehr gute Frage. Oft ist ein gutes Onboarding des Interim-Managers entscheidend für den Erfolg einer Mission. Dabei ist der Interim-Manager keinesfalls eine Bedrohung, sondern ein Bonus für die gesamte Organisation. „Ich komme, um zu gehen“ sollte hier zum Mantra werden. Mitarbeitende müssen wissen, dass der Interim-Manager nach Abschluss der Mission die Firma wieder verlässt. Insofern ist er keine Gefahr für die eigene Karriere im Unternehmen. Im Gegenteil: Interim-Manager können sogar Karriere-Booster sein. Denn in der Regel geben sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen gern weiter. Daneben sehe ich – ganz pragmatisch – die HR-Abteilung in der Pflicht, das Onboarding von Externen mit der gleichen Sorgfalt zu organisieren, wie sie es bei neuen Festangestellten tut.
Inwieweit ist die Deutsche Interim selbst vom Fachkräftemangel betroffen und was tun Sie als Geschäftsführer dagegen?
Ferrari: Glücklicherweise geht der Fachkräftemangel momentan an uns vorbei. Das kann sich natürlich ändern, denn Recruiting stellt alle Unternehmen vor Herausforderungen – früher oder später. Ich denke, uns kommt zugute, dass wir nicht nur von Flexible Workforce Management reden. Wir leben das Konzept. Bei uns arbeiten Festangestellte und Freiberufliche nahtlos zusammen. Und das funktioniert hervorragend. Dass wir durchschnittlich 30 Prozent pro Jahr wachsen, kommt schließlich nicht von ungefähr.
Sie haben bereits mehrere Auszeichnungen erhalten. Wie unterscheidet sich die Auszeichnung „Arbeitgeber der Zukunft“ vom Deutschen Innovationsinstitut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung von anderen Auszeichnungen?
Ferrari: Jede Auszeichnung steht für einen besonderen fachlichen Schwerpunkt. Die Preise, die wir bisher verliehen bekommen haben, galten der Deutschen Interim AG als gesamtes Unternehmen. Die Auszeichnung „Arbeitgeber der Zukunft“ hingegen würdigt unsere eigenen Bemühungen, ein schlagkräftiges Team zusammenzustellen. Darum freuen wir darüber uns ganz besonders. Denn der Preis zeigt, dass wir auf dem absolut richtigen Weg sind.