Entgeltgleichheit

Der Weg bis zur Gleichbehandlung ist noch weit

Allen Debatten um Gleichberechtigung und Regelungen wie dem Entgelttransparenzgesetz zum Trotz: Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist hierzulande immer noch groß. Nun soll auch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts dabei helfen, diese Lücke zu schließen und den Weg zur Entgeltgleichheit zu ebnen.

06.03.2023

Dass ein Mann ein höheres Gehalt fordert und auch bekommt, ist kein Grund, um weibliche Angestellte zu benachteiligen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat kürzlich noch einmal klar gemacht, dass Frauen exakt so zu vergüten sind wie ihre männlichen Kollegen, wenn sie die gleiche Arbeit verrichten.

Vor dem BAG geklagt hatte eine Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb, da ein fast zeitgleich eingestellter männlicher Kollege ein höheres Grundgehalt erhielt – obwohl beide die gleiche Arbeit machten.

Entgeltgleichheit ist ein Muss

In der Urteilsbegründung heißt es: „Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch nach Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege. Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege, begründet die Vermutung nach § 22 AGG, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist.“

So sieht beispielsweise das Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (EntgTranspG) ganz klar ein Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts vor. Und es beinhaltet ein Entgeltgleichheitsgebot: Gleichwertige Arbeit muss auch gleich vergütet werden.

Was bedeutet das neue BAG-Urteil?

In der Praxis heißt das: Handelt ein Mann bei Gehaltsgesprächen eine höhere Vergütung aus als eine weibliche Angestellte, muss der Arbeitgebende ihr dennoch das gleiche bezahlen. Passiert das nicht, handelt es sich um eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

Die Folge: Die weibliche Angestellte kann gerichtlich einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) geltend machen. Daher sollten Arbeitgebende spätestens jetzt zumindest überprüfen, ob sie dem Grundsatz der Entgeltgleichheit nachkommen.

Damit es tatsächlich zu einer Klage kommen kann, muss allerdings das Gehalt der Kollegen bekannt sein. Und was das angeht, sind die Hürden gemäß § 10 bis § 16 EntgTranspG hoch: Der Auskunftsanspruch setzt unter anderem voraus, dass im Betrieb mehr als 200 Beschäftigte arbeiten und dass mehr als sechs Personen eine vergleichbare Tätigkeit ausüben.

Equal Pay Day sensibilisiert für die Lohnlücke

Veröffentlicht wurde das BAG-Urteil (Az. 8 AZR 450/21) kurz vor dem Equal Pay Day, einem Aktionstag, der auf die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern aufmerksam machen soll. Begangen wird er an dem Tag, bis zu dem Frauen rechnerisch unentgeltlich arbeiten – in Deutschland ist das dieses Jahr am 7. März der Fall.

Laut neuesten Angaben des Statistischen Bundesamts haben Frauen hierzulande 2022 pro Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger verdient als Männer. In Europa liegt der Gap bei nur rund 13 Prozent.

Während Männer einen durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von 24,26 Euro haben, sind es bei Frauen nur 20,05 Euro. Selbst bei vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien wie Männer verdienen Frauen im Schnitt sieben Prozent weniger. Besonders gravierend sind die Lohnunterschiede im Kultursektor: Dort liegt der Gender Pay Gap teils bei mehr als 30 Prozent.

Die eigene Zukunft selbst in die Hand nehmen

„Deutschland hat einen der größten Gender Pay Gaps in Europa. Soll sich das ändern, müssen wir Frauen selbsttätiger werden“, sagt Sandra Deichsel, Strategy Lead für Deutschland beim Berufsverband Project Management Institute.

Mit Blick auf Karrieremöglichkeiten im Projektmanagement sagt Deichsel: „Wir wissen, dass vor allem jene Projekte ihre Ziele erreichen, die auf heterogene Teams setzen. Frauen leisten dazu einen entscheidenden Beitrag, weil sie häufig in besonderem Maß empathisch und sozial kompetent sind, was zum Beispiel in der Moderation von Konflikten enorm wichtig ist. Qualifizieren sich Frauen gezielt für Rollen im Projektmanagement weiter, die sogenannte Power Skills erfordern, haben sie hervorragende Chancen, auch in Sachen Gehalt angemessen wertgeschätzt zu werden und die Situation von Frauen allgemein zu verbessern.“

Ab 30 Jahren stagniert das Gehalt von Frauen

Laut einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) entsteht der Gender Pay Gap erst im Alter zwischen 30 und 40 Jahren. Während Frauen und Männer in den ersten Berufsjahre noch ähnlich viel verdienen, sorgt die Phase der Familiengründung dafür, dass plötzlich eine Lohnlücke klafft.

„Mit der Geburt eines Kindes haben Frauen deutlich häufiger als Männer familienbedingte Erwerbsunterbrechungen und arbeiten deutlich häufiger in Teilzeit. Beides beeinflusst auch den Stundenlohn negativ“, heißt es in der DIW-Analyse. Die Folge: Ab einem Alter von 30 Jahren steigen die Gehälter von Frauen kaum noch, während bei Männern bis zum Alter von 40 Jahren ein hohes Lohnwachstum zu verzeichnen ist.

Schließt sich durch Druck von Investoren der Gender Pay Gap?

„Die bisherige Erfahrung zeigt, dass dieser Missstand auf freiwilliger Basis viel zu langsam behoben wird. Ohne verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen tut sich kaum etwas“, sagt Andreas von Angerer, Head of Impact bei Inyova, einer Plattform für digitales Impact Investing. „Daher zählt die EU den Gender Pay Gap zu den Principle Adverse Impacts – den wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren, über die im Rahmen der EU-Offenlegungsverordnung berichtet werden muss. Damit wird die finanzielle Gleichstellung von Frauen in Unternehmen zu einem wichtigen Nachhaltigkeitsfaktor bei Investment-Entscheidungen.“

Der Haken an der Sache ist die fehlende Transparenz. Zwar gibt es Daten zum Frauenanteil in den obersten Führungsetagen und im Aufsichtsrat. Doch Infos zum mittleren Management und der Gesamtbelegschaft fehlen. Und zu Gehaltsunterschieden äußert sich kaum jemand offen.

Laut einer Analyse der Investmentgesellschaft Arjuna Capital und des Aktionärsvertreters Proxy Impact legen nur elf Unternehmen ihre durchschnittlichen geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede offen – darunter Mastercard, Bank of New York Mellon, American Express, Citigroup und AcadeMedia, ein nordeuropäischer Bildungsanbieter.

Politik ist in der Pflicht, Entgeltgleichheit weiter zu fördern

„Neben Datenerhebung und Transparenz sind starke Durchsetzungsmechanismen für Beschäftigte erforderlich wie es sie zum Beispiel in Dänemark und Großbritannien gibt, um das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu verringern“, so von Angerer. „Beschäftigte müssen sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene über eine ausreichende Verhandlungsmacht verfügen, um ihre Rechte durchzusetzen.“ Doch das sei nur möglich, wenn mehr Frauen Positionen mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen innehaben.

Um das zu ermöglichen, ist auch die Politik in der Pflicht. In der DIW-Analyse heißt es: „Wenn die Politik das Ziel der Chancengleichheit für Frauen und Männer am Arbeitsmarkt ernsthaft verfolgen will, sollte sie an der Aufteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit in der kritischen Lebensphase der Familiengründung ansetzen.“

Dafür machen die drei für die Analyse verantwortlichen DIW-Forscherinnen folgende Vorschläge:

  • eine Reform des Elterngelds: Die Partnermonate sollten schrittweise bis auf 50 Prozent, also jeweils sieben Monate erhöht werden. Zugleich sollte die Lohnersatzrate sinken, wenn eine Person mehr als sieben Monate Elternzeit nimmt. So wäre ein Ungleichgewicht bei der Elternzeit mit finanziellen Einbußen verbunden.
  • eine Reform des Ehegattensplittings, da dieses in seiner aktuellen Form negative Erwerbsanreize für verheiratete Frauen bietet
  • sozialversicherungsfreie Minijobs nur noch für Schüler, Studierende und Rentner zulassen

„Diese Maßnahmen hätten nicht nur wichtige gleichstellungspolitische Wirkungen, sondern sie wären auch wirksame Mittel, um dem Arbeitskräftemangel entgegen zu treten“, heißt es in der DIW-Analyse.