Gastbeitrag

Gastbeitrag von OMR-Chef Philipp Westermeyer

Marketing 2030: Auf fünf Bausteine kommt es an

Mehr als 70.000 Menschen werden am 9. und 10. Mai zum OMR-Festival in die Hamburger Messehallen pilgern. Inhaltlich im Fokus: die neuesten Digital- und Marketing-Trends. Darüber diskutieren auf diversen Bühnen die Stars der Internet- und Marketing-Szene. Der Macher hinter dem Festival ist Philipp Westermeyer. Im exklusiven Gastbeitrag schreibt er über ein immer größer werdendes und sich schnell veränderndes Spielfeld: Marketing.

08.05.2023

Von all den BWL-Disziplinen, die es gibt, ist das Marketing vielleicht die inhaltlichste und kreativste. Das hat mich von Anfang an fasziniert. Es gibt einerseits Regeln und Ziele, und doch ist nicht klar, wie wir sie erreichen können oder müssen. Das Spielfeld ist groß, es eröffnet viele Mög lichkeiten und bietet jedem eine Menge Freiheiten.

Marketing bedeutet auch: einen Trend rechtzeitig erkennen, eine Idee haben, etwas tun, womit niemand gerechnet hat und worüber die Leute reden. Aber früher wurde Kreativität anders gelebt als heute. Das Spielfeld waren vor allem die Anzeige in der Zeitung oder in einem Magazin und Werbung im Fernsehen.

Heute sind wir fast alle im Netz. Wozu führt das?

Es war einmal ein Tauschgeschäft für Werbetreibende

Schauen wir zurück in die jüngere Vergangenheit: Vor 20 Jahren läutete Google das Zeitalter des Klickverkaufs ein. Wer früh dabei war, schnell verstand, was Suchmaschinen leisten und wie sie funktionierten – in Deutschland war das zum Beispiel der Online-Händler Zalando –, wurde reich. Ähnlich lief es bei Check24 oder Idealo. Facebook folgte Google mit einem ähnlichen Modell für Werbetreibende: Du gibst mir Geld, ich gebe dir die passenden Kundinnen und Kunden.

Wer mitmachte, hatte Erfolg. Ich bin sicher, dass es Unternehmen wie Zalando, Check24 oder Idealo heute in der Form nicht gäbe, wenn sie nicht frühzeitig die Chance genutzt hätten, die ihnen die damalige Situation rund um ihr Marketing im Netz bot.

Natürlich haben sehr, sehr viele Brands diesen Weg danach ebenfalls eingeschlagen, heute tun es fast alle, aber die Regeln sind schon wieder andere. Für manche Firmen sind diese Regeln des Marketings – oder sagen wir ruhig: der Wertschöpfung in der digitalen Welt – eine Chance. Für andere sind sie existenzbedrohend.

Wer am meisten bietet, bekommt den Kunden

Die Geschäftsmodelle von Google und Facebook sind kein Geheimnis mehr, das es zu lüften gilt; sie bieten auch kein Erfolgsrezept wie früher. Alle nutzen sie – doch, und das ist der entscheidende Punkt: Die Modelle der großen Plattformen begünstigen massiv vor allem sie selbst. Das ist gut nachvollziehbar weil wirtschaftlich logisch. Und dennoch hat es viele Konsequenzen. [

Aus Verkäufen sind inzwischen Auktionen geworden: Wer am meisten bezahlt, bekommt den Kontakt. Wenn also alle auf dieselbe Weise aktiv sind und sich zu Höchstpreisen die Kundenkontakte gegenseitig wegkaufen, wirkt sich das am Ende negativ auf die Marge aus. Bei der maschinellen Auktion gibt es keine Verhandlungsmasse und keine Mengenrabatte mehr. Es spielt also keine Rolle, wer du bist – ob der Volkswagen-Konzern oder die kleine Werkstatt um die Ecke.

Vor allem aber sind Werbetreibende häufig gezwungen, im Auktionsverfahren an ihre wirtschaftlichen Schmerzgrenzen zu gehen, um Kundinnen und Kunden so lange einzukaufen, wie es sich so gerade eben noch lohnt. Gute Margen sehen anders aus. Die Marge wird gewissermaßen über die Auktion an Google, Facebook, Amazon oder TikTok weitergegeben, um von potenziellen Kundinnen und Kunden noch irgendwie gesehen zu werden.

Worauf kommt es bei Kundengewinnung und -bindung künftig an?

Das klingt erst mal deprimierend: In Zukunft steigern weder der gelungene TV-Spot noch die schlaue Printanzeige noch das maschinelle Targeting auf Google, Facebook oder Instagram die Wertschöpfung einer Marke aus dem Marketing entscheidend. Diese Pfade zu den Kundinnen und Kunden sind alle bekannt, ineffizient und breit ausgetreten.

Ich sehe auch kein neues Facebook und schon gar kein neues Google oder Amazon am Horizont; es gibt heute natürlich TikTok, aber das Modell ist dasselbe.

Das alles bedeutet eine enorme Herausforderung fürs Marketing. Denn zwei Fragen werden damit besonders wichtig. Erstens: Wie schaffe ich es, Kundinnen und Kunden, die ich bereits teuer eingekauft habe, dann wenigstens lange zu halten? Und zweitens: Wie erreiche und gewinne ich zumindest ab und an neue Kundinnen und Kunden?

Der Versuch einer Antwort darauf enthält fünf Bausteine:

  1. Kundenbeziehung 2.0
  2. Die Bedeutung von Vertrauen
  3. Die Weiterempfehlung
  4. Preissensibilität
  5. Marke wird Medium

1. Wichtiger denn je: Die Kundenbeziehung

Red Bull ist ein Unternehmen, das seit Ende der 1980er-Jahre Getränke verkauft. Eines Tages kamen sie in Österreich auf die grandiose Idee, außerdem ein Veranstalter von Sportveranstaltungen zu werden. Im Laufe der Jahre hat die Marke damit Millionen neuer Kundinnen und Kunden auf sich aufmerksam gemacht. Sie mussten dazu nicht mal das eigentliche Produkt trinken. Die Menschen verbinden sich auch so mit der Marke: Sie leben deren Lifestyle, sie gehen zu Red-Bull-Veranstaltungen, und sie treiben Sportarten, die Red Bull erfunden hat.

Oder nehmen wir Nespresso. Auch dort hatten sie eines Tages eine sehr gute und richtungweisende Marketingidee. Sie sagten sich: Wir gehen einen anderen Weg als andere, wir verschenken ein Produkt (nahezu). Nämlich die Kaffeemaschine. Und dann nehmen wir einen Haufen Geld für das eigentliche, dazu passende Produkt: die Kaffeekapsel.

Das ist schon Jahre her, war aber der Auftakt zu einer neuen Ära des Marketings.

Die 2020er-Jahre werden diesen Trend fortsetzen. Unternehmen müssen lernen, eigene Ideen zu haben, sich immer wieder neu zu erfinden. Tun sie das nicht, werden sie schrumpfen und schließlich verschwinden.

Sie brauchen vor allem: eine authentische Beziehung zu ihren Kundinnen und Kunden. Und dazu gehört: der Kontakt zu den Kundinnen und Kunden. Firmen müssen diese Kontakte einsammeln, sie pflegen, sie müssen sie auf verschiedensten Wegen schaffen und aufbauen. Dafür werden sie viele interessante Ideen brauchen – weil sie nicht mehr besonders effektiv Neugeschäft über Google Ads akquirieren können.

Und wo pflegt man Kontakte am besten? Zum Beispiel vor Ort.

Ladenflächen, wie es sie etwa in der Hamburger Innenstadt oder den Hackeschen Höfen in Berlin gibt, werden bald noch gefragter sein. Denn sie bieten Unternehmen die Chance, besonders vielen Menschen niedrigschwellig Produkte an die Hand zu geben.

Was bedeutet niedrigschwellig? In den Super- oder Flagshipstores der Zukunft geht es nicht vorrangig darum, Produkte zu verkaufen, sondern sie den Kundinnen und Kunden zu zeigen. Sie sich anfühlen zu lassen. Also: ein Image zu kreieren. Diese Stores werden auch sehr nützlich sein, um Mailadressen zu generieren.

Adressen sind eine der wichtigsten Währungen: Wie sonst erreicht man Kundinnen und Kunden, ohne dafür Geld ausgeben zu müssen?

Ja, es mag sein, dass die heute 16-Jährigen Mails nicht nutzen, weil sie über Messenger kommunizieren. Aber auch die 16-Jährigen werden älter. 2030 sind sie 23 Jahre alt. Sie werden bis dahin anfangen, Reisen zu buchen, Anträge bei Behörden zu stellen, sich per Mailadresse auf verschiedenen Portalen anmelden, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Sie werden erste Jobs antreten und dort am ersten Tag eine Mailadresse zugeteilt bekommen. Sie werden früher oder später also alle auf diesem Weg erreichbar sein. Unternehmen müssen sie dann nur überzeugen, ihnen das zu erlauben.

Die Kraft der Mailadresse dürfen wir nicht unterschätzen in einer Welt, in der es sich nicht mehr lohnt, Kontakte zu kaufen, sondern in der Kontakte gewonnen und gepflegt werden müssen.

2. Die Bedeutung von Vertrauen

Zurück auf Anfang: In den Urzeiten der Fernsehwerbung wurden uns Werbefiguren präsentiert, die es so gar nicht gab. Klementine wusch mit Ariel, hieß aber Johanna. Herr Kaiser verkaufte uns Versicherungen der Hamburg-Mannheimer, wurde aber im Laufe der Jahre von drei verschiedenen Darstellern präsentiert. Und die Zahnarztfrau? Ein Model, das Zahnbürsten oder -pasta anbot.

Früher funktionierte das. Vom Marketing getrieben und mangels Alternativen, sind Menschen anschließend in die Läden gegangen und haben gesagt: „Das kenne ich aus dem Fernsehen, jetzt sehe ich es hier, und das kaufe ich jetzt.“ Heute funktioniert das nicht mehr – vor allem nicht bei jungen Menschen. Die wollen nicht erklärt bekommen, was sie gut zu finden haben; an ihnen sind in den vergangenen Jahren dank TV und Internet Milliarden von Werbebotschaften abgeprallt, die sie umerzogen und abgeklärt gemacht haben.

Kundinnen und Kunden werden zwar auch 2030 gekauft oder getargeted oder bedrängt werden können. Das wird sich aber nicht mehr so lohnen wie in den 2010er-Jahren. Die Kundinnen und Kunden der Zukunft möchten etwas anderes: Sie wollen vertrauen können. Eine echte Beziehung zum Produkt haben. Sie möchten gehegt und gepflegt, also unaufdringlich und authentisch an Marken herangeführt werden. Das ist eine riesige Herausforderung.

Immer mehr Top-Markenartikler werden sich künftig deshalb solche Fragen stellen: Wie bleibe ich unter den neuen Bedingungen eine „Love Brand“? Wie sorge ich zum Beispiel als Müller-Milch dafür, dass ich wahrgenommen werde, wenn Aldi sein Eigenprodukt günstiger anbietet? Was tue ich als Premium-Waschmaschinenhersteller, wenn Kundinnen und Kunden in der Suchmaschine nur noch die Kästchen „Niedrigster Preis“ und „Schleuderdrehzahl“ anklicken?

3. Review: Das Marketingtool der Zukunft

Zu einem immer wichtigeren Werkzeug des Marketings werden Reviews, also Bewertungsportale, oder auch Influencerinnen und Influencer. Starke Marken werden 2030 auf diesem Gebiet ihr Handwerk beherrschen. Heute passiert hier eindeutig zu wenig; diese Seiten werden oft unterschätzt. Dabei müssen sich Unternehmen längst fragen: Wie fokussiere ich mich darauf, dass vernünftige Bewertungen für meine Marke entstehen? Wie werde ich im Netz als das sichtbar, was ich bin?

Viele Brands akzeptieren heute allenfalls, dass es solche Seiten gibt, nutzen sie aber zu wenig, geschweige denn: gestalten sie mit. Dabei haben Review-Portale längst die Funktion übernommen, die früher etwa das gedruckte Test-Magazin erfüllte oder die Verkäuferin im Ladengeschäft, wenn sie sagte: „Hier habe ich ein besonders günstiges Produkt – und das dort drüben ist teuer, aber schon etwas ganz Besonderes. Und zwar aus folgenden Gründen...“.

Diesen Part übernehmen künftig immer häufiger Bewertungsseiten, Foren, Influencerinnen und Influencer auf Social Media oder YouTube. Das wird, ich wiederhole mich gern: sehr unterschätzt. Nehmen wir nur auf dem Gebiet Software das Unternehmen G2.com. Oder im Reisesegment Holidaycheck. Selbst für Mitarbeitenden gibt es das: Kununu.

Jeder Sektor hat also seine digitale Bewertungsinstanz. Meist sind das übrigens sehr erfolgreiche Geschäfte, denn auch sie verwalten den Kontakt mit den Kundinnen und Kunden.

Eher überschätzt wird meiner Meinung nach das Metaverse, wenn man damit die VR-Brille und das Abtauchen in eine andere Welt meint. Daran glaube ich nicht. Wenn ich eine Brille aufsetze, wird mir schlecht davon, bin ich also „motion sick“, ich kriege Bauchschmerzen. Aber ja, in Bereichen wie Gaming, wo sich Jugendliche in andere Welten begeben und beim Spielen den Trailer des neuen Films sehen, der auf Netflix anläuft, da gibt es heute schon Metaversen.

4. Die Bedeutung des Preises

Wir haben in den letzten Jahren viele, immer schnellere Innovationszyklen erlebt, weil Angebote kostenlos waren: Social Media, Google, Nachrichtenseiten oder Podcasts werden von Milliarden Menschen genutzt, sie gewannen schnell Kundinnen und Kunden. Keine moderne IoT-Waschmaschine und kein Tesla kann so schnell adaptiert werden, denn die Kosten des Kaufs, der Nutzung, also der Adaption, sind viel höher als bei den Social-Media-Plattformen oder bei Google.

Der unfassbar schnelle Erfolg dieser Plattformen war auch möglich, weil der Preis für die Nutzung durch Endkundinnen und -kunden schlicht null ist. Man sieht hier aus einer anderen Sicht, welche Relevanz (sehr) geringe Preise haben.

Marketing ist auch 2030 ganz sicher noch eine Preisfrage. Menschen werden künftig in immer mehr neuen Bereichen lieber erst mal das günstige Basisprodukt haben wollen, das sie dann je nach Bedarf mit Funktionen gegen Aufpreis aufladen. Beim Banking erleben wir das schon, in der Musikindustrie (Spotify) hat es sich durchgesetzt, und es trifft selbst große Player wie die Autoindustrie.

Beispiel: Ich kaufe 2030 ein Elektroauto und kann es dann mit WLAN oder mit Fahrgeräuschen oder einfach einfügbaren Systemen upgraden, wenn ich möchte. Oder: Ich kaufe gar kein Auto, sondern miete/share es, was zum Beispiel die Sixt-App heute schon anbietet. Für Fahrten zum Supermarkt nutze ich dann einen Smart oder VW up; bei Bedarf hole ich mir am Wochenende das BMW-Cabrio. Oder ich nutze ein Leihfahrrad. Auch über App. Idealerweise alles über dieselbe App.

Was ich 2030 eher nicht tue: mir für 60.000 Euro ein neues Auto kaufen, dessen Wert in den ersten zehn Minuten nach der Anschaffung um zwölf Prozent sinkt.

Ein weiteres aktuelles Beispiel dazu: die sehr erfolgreiche Marke Yfood. Sie bietet effiziente Mahlzeiten zum Trinken und tritt damit gegen Döner und Big Mac an. Das Unternehmen ist inzwischen auf rund 100 Millionen Euro Umsatz gewachsen, alle wollen Yfood haben. Aber warum wollen sie das? Und wer sind die Kundinnen und Kunden?

Eine der ganz konkreten Zielgruppen sind Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer. Sie fragen sich jeden Tag sehr genau: „Ich habe jetzt Hunger – soll ich mir für fünf, sechs Euro einen Döner an der Raststätte holen? Oder haue ich mir für 3,60 Euro eine Pulle rein, spare dabei Zeit, Geld und ernähre mich obendrein auch noch gesünder?“

Die Bedeutung des Preises wird manchmal etwas vernachlässigt; auch weil diejenigen, die sich mit Marketing beschäftigen, privat vielleicht selbst nicht immer ganz preissenibel denken müssen. Bekannt gemacht hat Yfood in der Zielgruppe der Trucker übrigens unter anderem ein Nischeninfluencer: „Sascha LKW“.

5. Marken werden zu Medien

Neben Preissensibilität, Ideenreichtum und Kundenerstkontakt spielt 2030 auch das Thema Content eine relevantere Rolle. Produktmarken werden immer häufiger auch als Medienmarken agieren. Das Unternehmen Thomann war und ist hier ein Vorreiter. Mit seinen ausführlichen Produktbeschreibungen, -berichten und -videos im eigenen Shop bietet es schon seit Jahren Amazon die Stirn: Thomann ist Europas größtes Musikhaus.

Selbst Online-Broker erstellen inzwischen eigene redaktionelle Angebote, ebenso wie Online-Modeshops auf der eigenen Seite Influencerinnen und Influencer einsetzen. Sportwettenanbieter produzieren eigene Inhalte, weil sie sagen: Bevor ich Anzeigen auf einer Sportseite schalte, kaufe ich lieber die ganze Seite.

Dieser Trend wird sich verstärken; viele Branchen werden dem Beispiel folgen. Gut möglich, dass in Zukunft selbst etablierte Medienmarken immer häufiger von Produzenten übernommen werden.

Ob eine Marke wie „Computer Bild“ 2030 von Saturn oder vielleicht eher von notebooksbilliger.de, einem der größten deutschen Webshops überhaupt, der gerne übersehen wird, gekauft und betrieben wird? Heute eine steile These, morgen durchaus denkbar.

Und wie geht's weiter?

Niemand kann genau sagen, was Marketing im Jahr 2030 bedeutet. Vermutlich wird man an Hochschulen weiterhin das Konzept der „4P“ erklären, um Menschen theoretisch an das Thema heranzuführen. Und von den „P“ – also dem Preis, dem Place, dem Produkt, der Promotion – wird sicher nach wie vor der Preis eine Rolle spielen. Das kann kaum anders sein, auch wenn es immer wieder ungewöhnliche Preis-Phänomene gibt: Noch nie haben zum Beispiel so viele Jugendliche Luxus-Modemarken gekauft wie heute.

Der Place, also der Ort, an dem der Verkauf stattfindet, wird sich weiter verändern und noch mehr ins Netz verschieben. Aber auch hier gibt es Bewegung. Die Frage ist, ob nicht mittlerweile jede Generation ihren eigenen Ort im Netz findet. Bei Klamotten nutzen die Älteren Zalando und die Jüngeren AboutYou oder auf Social Media die Älteren Instagram, die Jüngeren TikTok, die Älteren N26, die Jüngeren Trade Republic und so weiter. Es wird spannend sein, das zu beobachten.

Die Promotion, also die Art der Bewerbung, wird sich verändern, darüber habe ich oben geschrieben. Und ganz sicher wird das Produkt eine noch viel wichtigere Rolle spielen. Niemand kauft mehr mittelgute Sachen, bloß weil sie im Fernsehen zu sehen waren. Stattdessen muss das Produkt selbst für sich werben oder weitere Käufe und Käuferinnen und Käufer anziehen. Viel mehr als heute werden Produkte im Abo zu kaufen sein (was allerdings eine andere Geschichte ist).

Künftig besonders relevant: Empathie

Unabhängig aber von der ganzen Theorie und Deutung ist mein Gefühl: Es kommt ein Element dazu, das alle „P“ beeinflusst und alles entscheidet. Dieses Element kommt vielleicht überraschend, ich bin aber überzeugt: Empathie wird der Schlüssel.

Empathie ist eine der wichtigsten „Fähigkeiten“ der Zukunft. Schon heute fehlt sie an allen Ecken und Enden. Wenn Tausende Mitarbeitende für die erfolgreichsten Digitalunternehmen der Welt Essen ausfahren, Hass-Posts bearbeiten oder Handys zusammensetzen, aber nur den Mindestlohn bekommen, während gleichzeitig Unternehmerinnen und Unternehmer innerhalb von Tagen Milliarden an Wert dazugewinnen oder vernichten, wird das mehr Fragen aufwerfen als bislang.

Erfolgreich durch die Wirtschafts- und die Kommunikationswelt zu navigieren wird angesichts von Verwerfungen, Krisen und Ungleichheiten viel mehr Empathie benötigen als heute. Oder anders gesagt: Die Erwartungen der Menschen an Firmen und die Möglichkeiten, diese Erwartungen zu benennen, sind massiv gewachsen. Niemand kann künftig dauerhaft ein positives Gefühl für eine Marke oder ein Produkt erzeugen, der in seinem Handeln und Kommunizieren nicht empathisch ist.

Klar: Man kann mit Empathie alleine nicht an die Börse gehen. Aber wir werden 2030 eine Menge mehr davon brauchen, und sie wird einen Unterschied ausmachen.

Philipp Westermeyer

ist Gründer und Geschäftsführer von OMR – die führende europäische Plattform für die globale Digitalwirtschaft, die Inhalte, Events und Technologie umfasst. Das jährliche OMR-Festival zählt zu den weltweit größten Events der Digitalbranche. Die OMR-Tochter „Podstars“ produziert über 100 Podcast-Formate