Im Schnitt dauert es aktuell 130 Tage, bis eine offene Stelle mit einer neuen Fachkraft besetzt wird. Die Situation hat sich in den letzten Monaten zugespitzt und mittlerweile die meisten Branchen erreicht – egal ob Fachkräfte oder Arbeitskräfte gesucht werden.
Besonders betroffen sind laut der Agentur für Arbeit folgende Branchen:
- Verkehr und Logistik (außer Fahrzeugführung)
- Verkaufsberufe
- medizinische Gesundheitsberufe
- Metallerzeugung sowie -bearbeitung und Metallbau
- Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe
- Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe
Gründe für den Fachkräftemangel und weiteres politisches Vorgehen
Trotz all der aktuellen Krisen bleibt die Hauptursache für das Fehlen von Fachkräften der demografische Wandel: Bis 2030 werden in Deutschland rund sechs Millionen Arbeitnehmende fehlen. Dieser Gap liegt unter anderem am Ungleichgewicht der Renteneintritte im Vergleich zu den Arbeitsmarkteintritten junger Menschen.
In der Politik wurde das Problem ebenfalls identifiziert und man versucht, aktiv dagegenzuwirken. Langfristige Strategien sind wichtig, da dieser Trend nicht aufzuhalten ist. So sollen Initiativen beispielsweise die Hürden für gelernte wie auch ungelernte ausländische Arbeitskräfte reduzieren und Deutschland zu einem Einwanderungsland machen.
Was hat es mit dem Stellenabbau auf sich?
Warum aber kommt es hierzulande aktuell vielfach zu Stellenabbau, wenn doch Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen?
Hier kommen zunächst kurzfristige Faktoren ins Spiel, die für ungewöhnliche Ausschläge sorgen. Dazu gehören hauptsächlich die Inflation, die steigenden Energie- und Strompreise, Lieferengpässe, nachgelagerte Pandemieeffekte sowie die anhaltende Kriegssituation. Je nach Branche fallen diese Punkte mehr oder weniger stark ins Gewicht.
Während der Coronapandemie setzten beispielsweise viele Tech-Companies auf den Hype um E-Commerce und bauten in dem Bereich großzügig Personal auf. Heute haben sich die Shopping-Gewohnheiten wieder normalisiert – und die neu eingestellten Mitarbeitenden werden nicht mehr benötigt.
Ebenfalls von Stellenabbau betroffen sind Unternehmen, die sich an Endverbraucherinnen und -verbraucher richten und auf deren Konsumlust angewiesen sind. Doch vor allem aufgrund der steigenden Lebenserhaltungskosten geben die Menschen weniger Geld für Luxusartikel und Freizeitaktivitäten aus. Auch Lieferdienste, die während der Pandemie überdurchschnittlich genutzt wurden, haben nun weniger Kundschaft zu verzeichnen.
In Deutschlands industriellen Kernbranchen ist die Sorge vor einer Rezession derzeit einer der größten Bremsfaktoren. Viele Unternehmen reagieren abwartend und verschieben wegweisende Entscheidungen ins Frühjahr 2023.
Für den angespannten, vom War for Talents geprägten Arbeitsmarkt bedeutet dies alles kurzfristig eine minimale Entspannung, die insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen eine Chance zur Gewinnung relevanter Fach- und Arbeitskräfte darstellt.
Offenheit für Quereinsteiger
Es gibt allerdings auch Möglichkeiten, um die Risiken des Fachkräftemangels und von Entlassungen so gering wie möglich zu halten. Eine Option ist die Überführung von Fachkräften in andere Bereiche. Dazu sollten Unternehmen offen für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sein und im Idealfall auch das Onboarding auf deren Bedürfnisse anpassen und beschleunigen. Mittlerweile gibt es außerdem immer mehr Anbieter von Weiterbildungen zu Programmierung, um dem IT-Fachkräftemangel gezielt entgegenzuwirken.
Neben Qualifizierung, Weiterbildung und Transformation ist es ebenfalls wichtig, sprachliche sowie bürokratische Hürden zu überwinden, um sich mittel- und langfristig ein leistungsstarkes Team im Unternehmen zu sichern.
Krisensicherheit als Anreiz für Bewerber
Für Personalerinnen und Personaler heißt das, dass jetzt der richtige Moment zum Handeln ist. Statt lange Strategien zu planen, sollten sie versuchen, die kurzfristig freiwerdenden Fachkräfte vom Markt zu holen. Vor allem für den Mittelstand bieten die aktuellen Branchenverschiebungen eine Chance, da sich potenzielle Bewerberinnen und Bewerber derzeit eher für solide Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber entscheiden. Mit Krisensicherheit als größtem Anreiz lässt sich also langfristig punkten.
Grundsätzlich gilt: In jeder Krise liegt auch eine Chance. Da es voraussichtlich immer wieder zu diesen kurzfristigen Arbeitsmarkt-Effekten in bestimmten Branchen kommen wird, sind Unternehmerinnen und Unternehmer gefragt, flexible Strategien zu entwickeln und kurzfristige Arbeitsmarkt-Effekte positiv für das eigene Unternehmen zu nutzen.