Symbolbild zum Thema Führungskräfte in der Digitalwirtschaft zeigt Frau, deren Schatten die Muskeln anspannt
22.08.2022
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Der Venture-Capital-Markt ist im ersten Quartal 2022 aufgrund der Auswirkungen des Ukrainekriegs, der steigenden Inflationsrate und einer Zinswende signifikant eingebrochen: Die Finanzierungssummen in Start-ups gingen nach dem Rekordjahr 2021 um 20 Prozent zurück; auch die Zahl der Finanzierungsrunden reduzierte sich laut Start-up Barometer der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young um sieben Prozent.

Crunchbase-Daten zufolge lagen die Finanzierungen für europäische Start-ups in allen Phasen im zweiten Quartal bei insgesamt 23,7 Milliarden US-Dollar – ein Rückgang um 38 Prozent gegenüber dem Höchststand von 38 Milliarden US-Dollar im Vorjahr.

Hat der Mittelstand am Ende doch den längeren Atem?

So hart die Zeiten für viele Start-ups und Scale-ups derzeit sein mögen – zumindest, wenn sie gerade die nächste Finanzierungsrunde abschließen müssen –, so ergeben sich doch auch Chancen für den Mittelstand.

Denn im Gegensatz zum Start-up, das für gewöhnlich Wachstum durch Venture-Capital finanziert und häufig monatlich Verluste einfährt, wirtschaftet der Großteil der Mittelständler Monat für Monat profitabel. Die größte Bedrohung ist für die meisten Mittelständler nicht so sehr das Platzen einer Kapitalrunde, sondern vielmehr die Disruption in ihren angestammten Märkten – oder in den kommenden Jahren vor allem der massive Fachkräftemangel.

Gerade in den vergangenen Jahren konkurrierte der Mittelstand im immer schnelleren Wettlauf um Innovationen nicht nur mit den Digitalsparten der Konzernwelt, sondern auch mit Scale-ups, in die seit Ausbruch der Pandemie so viel Kapital geflossen ist wie nie zuvor.

Sparen – oder investieren?

Der Mittelstand steht nun vor einer wichtigen Entscheidung:

  • Entweder gilt es, angesichts der drohenden Rezession die Kosten zu senken, sich auf das Bestandsgeschäft zu fokussieren und den Profitabilitätskurs auch auf die Forschungs- und Entwicklungsabteilung und die Innovationsbereiche zu übertragen, um massiv Kosten zu sparen.
  • Oder aber die Krise wird als Chance begriffen, um mittel- bis langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Fällt die Wahl auf ersteres, kann kurzfristig die Liquidität verbessert werden. Perspektivisch rutscht das Unternehmen aber in eine Abwärtsspirale: Unzufriedene, überarbeitete Mitarbeitende sind weniger produktiv, verlassen im Zweifel das Unternehmen (und das in Zeiten des Fachkräftemangels!) und das Unternehmen tritt in Sachen Innovation weiter auf der Stelle.

Aufgrund fehlender Investitionen steigen die Kosten für interne Prozesse, die nicht mehr modernisiert werden. Und schlussendlich wird im schlimmsten Fall der eigene Dienst oder das eigene Produkt ohne Weiterentwicklung irgendwann vom Markt verschwinden.

Strategischer Weitblick in Krisenzeiten

Deshalb gilt: Der strategische Weitblick darf gerade in Krisensituationen nicht verloren gehen. Genau in diesen Zeiten braucht es eine unternehmerisch geprägte „Jetzt erst recht“-Mentalität. Gerade in Deutschland, wo in den vergangenen Jahrzehnten Wohlstand häufig mit Modernität und Innovationsfähigkeit verwechselt wurde, hat sich im Bereich Demografie und digitaler Transformation zu lange nichts getan – und das merken wir jetzt in der Krise am stärksten.

Nun bietet sich für Unternehmen die Chance, um aufzuholen, was verpasst wurde, oder aber um den bereits eingeschlagenen Weg gen Innovation und Zukunft zu intensivieren.

Denn selten war der Return-on-Investment besser: Bis zum Frühjahr 2022 fiel es gerade mittelständischen Unternehmen in der Peripherie schwer, die besten digitalen Talente des Landes für ihre eigene Mission zu begeistern. Konzerne, Mittelständler und Scale-ups buhlten gleichermaßen um Kandidatinnen und Kandidaten, die bereits erfolgreich digitale Geschäftsmodelle aufgebaut hatten und dazu noch Erfahrung im Consulting oder im Konzern vorweisen konnten.

Eine im April veröffentlichte Gehaltsanalyse aus unserem Hause ergab, dass die Vergütung von Führungskräften mit Digitalexpertise von 2011 bis 2021 im Schnitt jährlich um zehn Prozent gestiegen ist. Gehälter jenseits der 500.000-Euro-Marke sind für diese begehrten Führungskräfte keine Seltenheit mehr. Zudem sind das urbane Flair und die gestalterischen Möglichkeiten in extrem gut finanzierten Scale-ups oft überzeugender für die besten Talente aus der Digitalbranche.

Antizyklisches Handeln sichert Innovations- und Zukunftsfähigkeit

Auch wenn Unternehmen weiterhin intensiv um digitale Führungspersönlichkeiten konkurrieren und der Markt weiter von der Nachfrage getrieben ist, entspannt sich die zuletzt überhitzte Lage aktuell zumindest etwas.

Für kapitaleffiziente und umsatzstarke Mittelständler ergibt sich dadurch ein Momentum, um sich mithilfe der digitalen Talente des Landes noch stärker zukunftsfähig aufzustellen. Jetzt ist antizyklisches Handeln gefragt – und die Fähigkeit, die aktuelle makroökonomische Lage als Chance und nicht als Bedrohung zu begreifen. Ein Optimismus, der übrigens Kern des Mindsets der Kandidatinnen und Kandidaten ist, die der Mittelstand in der aktuellen Zeit für sich gewinnen kann.

Der Mittelstand hat die Chance zu beweisen, dass Tradition und Zukunft eine symbiotische Beziehung pflegen – dass profitorientiertes Verwalten und zukunftsfähiges Gestalten in ein und derselben Organisation also funktionieren. Damit dies gelingt, müssen Mittelstand und Persönlichkeiten aus der Digitalwirtschaft in Zeiten des Umbruchs ihre Kräfte bündeln.

Zur Person

Martina van Hettinga von i-potentials

Martina Van Hettinga

ist geschäftsführende Gesellschafterin bei i-potentials, der führenden Executive Search Boutique der digitalen Wirtschaft in der DACH-Region. Als Unternehmerin, Investorin und Beirätin hat sie zahlreiche wachstumsorientierte digitale Start-ups und KMU aufgebaut

Kolumnen, Kommentare und Gastbeiträge auf DUP-magazin.de geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion.
22.08.2022
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