Illu einer Karriere-Frau; um dem Führungskräftemangel zu begegnen, sollten Unternehmen auf mehr Frauen setzen
10.01.2023
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Von Januar bis September 2022 schrieben Organisationen hierzulande ein Drittel mehr Führungspositionen aus als noch im Vorjahreszeitraum. Angesichts dieser Entwicklung führt für Organisationen kein Weg an mehr Diversität in ihren Führungsgremien vorbei.

Dazu zählt neben einer Internationalisierung auch, stärker auf das Potenzial von weiblichen Führungskräften zu setzen. Denn wie der „Women in the Workplace“-Report von LeanIn.Org und McKinsey zeigt, gibt es dahingehend noch viel Luft nach oben. Rund 50 Prozent des aktuellen Fach- und Führungskräftemangels könnten laut der Studie durch personelle Vielfalt ausgeglichen werden. Damit sind sowohl Frauen als auch andere bisher benachteiligte Gruppen gemeint.

Warum gibt es einen Führungskräftemangel?

Wesentliche Ursachen für den Führungskräftemangel sind

  • neue Anforderungsprofile angesichts verkürzter Innovationszyklen,
  • extreme Unsicherheiten aufgrund globaler Krisen und aktueller makroökonomischer Herausforderungen,
  • der demographische Wandel sowie
  • ein neues Wertesystem jüngerer Generationen.

In Kombination haben diese Faktoren dazu geführt,

  • dass neue Führungskräfte die altersbedingte Lücke nicht in vollem Umfang schließen können.
  • dass traditionelle Hierarchien und von Status geprägte Führungsmuster in modernen Organisationen an ihre Grenzen stoßen.
  • dass Persönlichkeiten, die von ihrer Einstellung, ihren Kompetenzen und Erfahrungen her theoretisch komplexen Führungsaufgaben gerecht werden könnten, solche Positionen häufiger als nicht mehr attraktiv erachten.

Erschwerend kommt hinzu, dass durch die Rezession die ohnehin hohe mentale Belastung nochmals steigt.

Zahl der weiblichen Führungskräfte stagniert

Der Wille zur Führung nimmt also ab; zugleich ist eine zukunftsweisende Führung stärker gefragt denn je, um Organisationen und unser Land durch die größte Krise seit Jahrzehnten zu navigieren. 2021 prophezeite die Strategieberatung BCG, dass Deutschland bis 2030 rund 341.000 Top-Executives fehlen werden. Wie lässt sich diese Lücke also schließen? Ein Blick auf die empirisch valide belegte „Leaky Pipeline“ lohnt sich in diesem Fall.

Obwohl statistisch gesehen mehr Frauen höhere Bildungsabschlüsse erzielen, dominieren Männer immer noch in den Führungsriegen. Und die Lage verschärft sich sogar noch: Trotz der aktuellen Personalengpässe stagniert die Quote von weiblichen Führungskräften weiterhin. In den USA haben noch nie so viele weibliche Führungskräfte ihre Stelle aufgegeben wie 2021. Für jede Frau, die in die Führungsebene aufsteigt, verlassen zwei weitere diese wieder – so die Ergebnisse des „Women in the Workplace“-Reports. In Deutschland sieht die Situation nicht besser aus.

Es lohnt sich, dem Phänomen der „Leaky Pipeline“ auf den Grund zu gehen, um zu verstehen, an welchen Stellschrauben für mehr Diversität in Führungsgremien gedreht werden muss.

Konservative Rollenbilder sind noch immer zu weit verbreitet

Zum einen haben wir ein gesamtgesellschaftliches Problem: Konservative Rollenbilder sind fest in den Köpfen verankert. In der Erziehung und Schulbildung werden seit Jahrzehnten stereotypische Geschlechterrollen weitergegeben. Selbst klassische Kinderbücher strotzen laut einer Studie von vier Psychologen noch immer vor Geschlechter-Stereotypen. Kurzfristig hilft uns ein neues Rollenverständnis in der frühkindlichen und schulischen Erziehung allerdings nicht weiter. Hier können und müssen wir langfristig ansetzen.

Die konservativen Rollenbilder spiegeln sich auch in der Verteilung von Care- und Erwerbsarbeit wieder. Es ist noch immer keine Seltenheit, dass die Verantwortung von Vätern sich auf die Rolle des Versorgers beschränkt und Müttern die Aufgabe der Care-Arbeit zusätzlich zur Erwerbsarbeit zuteilwird.

Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung wenden Väter von Zweijährigen wöchentlich im Schnitt zweieinhalb Stunden für die Kinder und knapp eine Stunde für die Hausarbeit auf – insofern sie maximal zwei Monate Elternzeit genommen haben. Bei den Müttern dieser Kinder sind es in der Summe etwa neun bis elf Stunden wöchentlich. Die Werte nähern sich erst etwas an, wenn auch Väter länger Elternzeit nehmen – was in Deutschland allerdings selten der Fall ist.

Elternzeit gleichmäßig verteilen

Kind und Karriere – das ist auch 2023 noch ein Entweder-oder. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung erwirtschaften Mütter in ihrem Leben durchschnittlich 40 Prozent weniger Einkommen als kinderlose Frauen; bei drei oder mehr Kindern sind es sogar bis zu 70 Prozent weniger.

Hier muss sich endlich etwas ändern – nicht nur in den Köpfen der Gesellschaft, sondern auch in den Unternehmen. Es sollte darum gehen, nicht nur Frauen bei der Integration der Elternzeit in ihre Karrierepläne zu begleiten. Es sollte eben auch darum gehen, die Entscheidung von Vätern, länger als die üblichen zwei Monate in Elternzeit zu gehen, zu unterstützen und damit den Wiedereintritt beider Parteien in das Berufsleben zu erleichtern.

Maßnahmen, um mehr Frauen von Führungsaufgaben zu überzeugen

Um das Potenzial weiblicher Führungskräfte zu heben, müssen Organisationen die noch immer vorherrschenden Strukturen und Verständnisse von Führung aufbrechen. Es geht heute nicht mehr darum, Führungspersönlichkeiten zu suchen, die rund um die Uhr erreichbar sein müssen, Überstunden leisten und für abendliche Präsenz-Meetings jederzeit abrufbar sind. Für die meisten weiblichen Kandidatinnen, insbesondere für Mütter, sind solche Anforderungen schlichtweg nicht tragbar. Organisationen, die sich an diese Führungsmuster klammern, verlieren in der Folge viele Frauen von vornherein aus ihrem Kandidatinnenpool.

Kultureller Wandel ist auf allen Ebenen gefragt. Beginnen müssen wir mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, Remote-Work, Unternehmenssprache, Möglichkeiten zum Job-Sharing und Teilzeit. Es punkten jetzt die Unternehmen, die sich modern und attraktiv eben gerade gegenüber Frauen und selbstverständlich auch anderen bisher benachteiligten Gruppen positionieren.

Am Ende müssen wir alle tradierten Rollenbilder und unser Verständnis von Führung, Leistung und Arbeitszeitmodellen immer wieder hinterfragen und an die heutige und künftige Realität anpassen, um mittel- bis langfristig als Wirtschaftsstandort zukunftsfähig zu bleiben und die Talent-Pipeline langfristig zu füllen.

Zur Person

Martina van Hettinga von i-potentials

Martina van Hettinga

ist geschäftsführende Gesellschafterin bei i-potentials, der führenden Executive Search Boutique der digitalen Wirtschaft in der DACH-Region. Als Unternehmerin, Investorin und Beirätin hat sie zahlreiche wachstumsorientierte digitale Start-ups und KMU aufgebaut

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