Medizintechnik-Unternehmen Ottobock

Georgia Näder von Ottobock: „Man muss lernen, auch mal Nein zu sagen“

Aufsichtsratsposten beim Weltkonzern Ottobock, eigenes Start-up gegründet und Masterstudium abgeschlossen: Im Alter von 25 Jahren hat Georgia Näder bereits viel erreicht. Hier erklärt sie, ob sie sich als junge Führungskraft ernst genommen fühlt, warum Momente des Zweifelns so wichtig sind und was sie gerne schon am Anfang ihrer Karriere gewusst hätte.

02.03.2023

Georgia Näder

ist Vice President of Futuring Mediterranee & Business Transition bei Ottobock und Gründerin des Food-Start-ups Maluwa Superfoods

Sie sind mit 20 Jahren in den Aufsichtsrat von Ottobock berufen worden. Haben Sie sich anfangs ernst genommen gefühlt?

Georgia Näder: Viele Mitarbeitende haben mir von Beginn an Vertrauen entgegengebracht. Von außen ist es manchmal schwer zu verstehen, wie eng man mit einem Familienunternehmen verbandelt ist. Schon morgens beim Frühstück wurde über die Firma gesprochen, und es hörte abends beim Schlafengehen erst auf. Ich scherze deshalb gern, dass ich 25 Jahre Ottobock-Erfahrung in mir trage. Aber im Ernst: Ich hatte zwar keine langjährige Berufserfahrung, aber mein Wissen über Ottobock hat das aufgewogen.

Ihr Vater Hans Georg ist Eigentümer der Ottobock-Firmengruppe. War Ihnen von Anfang an klar, dass auch Sie selbst eine führende Rolle im Familienunternehmen übernehmen werden?

Näder: Meiner Schwester und mir stand immer frei, ob wir uns im Familienunternehmen einbringen möchten oder nicht. Für mich war früh klar, dass ich meine Zukunft bei Ottobock sehe – vor allem, nachdem ich immer mehr Zeit mit den Menschen verbracht habe, denen unsere Produkte im Alltag helfen. Ich habe viele emotionale Momente miterlebt und Geschichten erzählt bekommen, die einem klar machen, wie wichtig Mobilität und Gesundheit für die Freiheit und Qualität des alltäglichen Lebens sind und welch positiven Beitrag wir als Unternehmen leisten können. Das macht mich glücklich und stolz.

Was hat Ihnen Ihr Vater vor dem Einstieg bei Ottobock geraten?

Näder: Mein Vater hat mich sehr geprägt, wofür ich sehr dankbar bin – vor allem für sein Vertrauen und die Freiheit, die er mir immer gelassen hat. Das ist nicht selbstverständlich in Unternehmerfamilien. Vor allem hat er mir geraten, keine Scheu vor neuen Herausforderungen und Vertrauen in mich zu haben. Selbst wenn man auf die Nase fällt: wieder aufstehen, weitermachen und sich dabei nicht zu ernst nehmen. Gleichzeitig ermahnt er mich auch häufiger, gut auf mich selbst zu achten, wenn das Tempo hoch ist. Den Tipp gebe ich dann auch gerne zurück.

Neben Ihrer Tätigkeit bei Ottobock und der Gründung Ihres Start-ups Maluwa Superfoods haben Sie noch Ihren Master in Business Administration and Innovation in Healthcare abgeschlossen. Wie haben Sie diesen Dreiklang mit Anfang 20 bewältigt?

Näder: Das frage ich mich rückblickend auch manchmal. Ich glaube, das Wichtigste sind eine gute Organisation, die richtige Prioritätensetzung und vor allem Zeitmanagement, um alles unter einen Hut zu bekommen. Mein Kalender ist unerlässlich; ohne ihn bin ich total aufgeschmissen. Ich hatte schon oft das Gefühl, für die einzelnen Themen mehr Zeit investieren zu wollen und manchmal war ich auch hin und her gerissen zwischen den Aufgaben. Es bedurfte viel Disziplin und Energie. Und man muss lernen, auch mal Nein zu sagen.

Inwiefern hat Ihnen Ihr Start-up Maluwa Superfoods dabei geholfen, sich auf die komplexen Aufgaben bei Ottobock vorzubereiten?

Näder: Wir sind mit Maluwa ganz am Anfang gestartet. Viele Dinge, die bei Ottobock schon Jahrzehnte etabliert sind, mussten wir von Grund auf neu machen. Die Bandbreite reichte von Meetings mit der Lebensmittelbehörde über das Design der Website, regulatorischen Vorgaben und Preiskalkulationen bis hin zum Vertrieb. Ich hätte niemals gedacht, dass ich in meinem Leben mal so viel über Bio-Zertifizierungen oder Vorgaben für Lebensmitteletiketten wissen würde.

Welche konkreten Erkenntnisse haben Sie in dieser Zeit gewonnen?

Näder: Dass mir letztlich klar ist, dass sich jedes Problem irgendwie lösen lässt. Das ist als mein größtes Learning mittlerweile tief in mir verankert. Wir hatten tatsächlich viele Momente, bei denen ich dachte, „ok, das war‘s jetzt“. Aber diese Momente des Zweifelns kennt sicherlich jeder Unternehmer. Doch wenn man lösungsorientiert und positiv denkt, findet man zusammen auch immer eine Lösung. Und oft braucht man dafür nur wenige Mitarbeitende und kaum Budget. Alle müssen sehr „hands on“ und flexibel sein. Aber wenn man gemeinsam Herausforderungen überwindet, dann ist das total gut für den Zusammenhalt im Team.

Haben Sie ein Beispiel für einen derart existenzbedrohenden Moment, an dem Sie von einem Scheitern ausgingen?

Näder: Ein Konkurrent tauchte eines Tages auf – mit dem gleichen Produkt, einem sehr ähnlichen Branding und demselben Namen. Das war ein Schock und wäre zum Problem geworden, wenn wir Maluwa nicht frühzeitig als Marke angemeldet hätten. Zum Glück stellte sich aber heraus, dass sich die gründliche Vorbereitung vor dem Launch gelohnt hat und wir unser Produkt so verteidigen konnten.

Über welche Fähigkeiten muss ein junger Mensch als Führungskraft in einem Weltkonzern verfügen?

Näder: Eine Führungskraft muss zuhören können, sollte Mitarbeitenden Stabilität und Freiraum bieten. Vertrauen in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten zu haben ist für junge Führungskräfte noch schwieriger als für erfahrenere – aber da wächst man hinein. Anfangs habe ich Menschen bewundert, die auf jede Frage direkt eine Antwort hatten. Mittlerweile weiß ich, dass das gar nicht nötig ist. Viel wichtiger ist es, die richtigen Fragen zu stellen und Menschen mit verschiedenen Perspektiven zu Wort kommen zu lassen.

Sehen Sie in dieser Hinsicht einen Unterschied zwischen dem Verhalten junger Frauen und Männer?

Näder: Männer wirken in ihrem Auftreten häufig dominanter als Frauen. Das hängt aber eher mit der Sozialisation und dem männlichen Rollenverständnis in Gruppen zusammen als mit den fachlichen Fähigkeiten. Frauen wirken oft zurückgenommener, sind nicht so laut, und sie wägen Entscheidungen besser ab. Umso wichtiger ist es, allen Menschen mit Respekt zu begegnen und ihnen vor allem zuzuhören. Diversität in Geschlecht, Alter und kulturellem Background ist unverzichtbar. In diversen Teams können wir verschiedene Blickwinkel miteinander teilen, Konzepte neu denken und am Ende gemeinsam die beste Entscheidung treffen.

Sie sind nun 25 Jahre alt und haben schon mehr erreicht, als die meisten Menschen in einem ganzen Leben schaffen. Was sind Ihre persönlichen Ziele für die Zukunft?

Näder: Aktuell habe ich vor allem berufliche Ziele – und die Themenvielfalt ist groß. Nach meinem Gefühl geht es gerade erst richtig los. Wenn ich in den nächsten 25 Jahren meines Lebens genauso viel erleben und lernen kann wie in den ersten, dann habe ich gute Hoffnung, dass ich mein persönliches Ziel erreiche: den Spaß an meiner Arbeit nicht zu verlieren.

Rückblickend: Was hätten Sie gerne bereits am Anfang Ihrer beruflichen Karriere gewusst?

Näder: Da fallen wir vier konkrete Dinge ein. Erstens: In schwierigen Situationen nicht zu verzweifeln und sie als Chance zu sehen. Das sind die Momente, in denen man am meisten lernt und wächst. Zweitens: Dass es vollkommen in Ordnung ist, Hilfe anzunehmen und man nicht alles alleine machen muss beziehungsweise gar nicht sollte. Drittens: Dass die meisten Probleme und Konflikte durch mangelnde Kommunikation entstehen und auch nur durch Gespräche wieder zu lösen sind. Und viertens: Dass ein gesundes Mindset wichtiger ist als Erfahrung, denn die kommt mit der Zeit sowieso. Aber fragen Sie mich gerne in fünf bis zehn Jahren nochmal.

Was sind Ihre Visionen für Ottobock?

Näder: In der Vergangenheit standen ausschließlich Produkte im Fokus. Heute agieren wir nach dem Motto „product centric to human centric“. Wir sehen Innovation und Technologie als Mehrwert für unsere Anwenderinnen und Anwender. Meine Vision ist, dass wir noch mehr Menschen weltweit empowern, damit sie mit allen Freiheiten – besonders im Bereich der Mobilität – und gestärktem Selbstvertrauen das Leben leben können, das sie sich wünschen. Ich möchte, dass wir eine Firma sind, die das Leben feiert. Gerade tun wir das mit unserer globalen Kampagne „Life is epic!“.