Der Termin beginnt philosophisch. „Die Schönheit der wirklichen Dinge“ – so der Slogan der Leuchtturm Gruppe. Und dann dieses Gebäude am Hamburger Hafen: drei Stockwerke Beton-Klinker-Mix. Vom Türrahmen blättert der Lack, die Rollläden im Erdgeschoss heruntergelassen, Graffitis überziehen die unteren Meter Fassade. Schönheit ist hier wohl eine der letzten Assoziationen. Und doch passt die Außenstelle perfekt zur Firmenphilosophie.
„Ja, wirklich schön ist das Gebäude nicht“, sagt Geschäftsführer Axel Stürken. „Aber es hat viel Bedeutung für uns, weil sich hier jahrelang die Druckwerkstatt unserer Marke Bethge befand. Ich kann Ihnen noch zeigen, wo genau die Maschinen standen. Es ist Teil unserer Geschichte – deshalb passt es so gut zu uns.“
Auf die Frage, was denn das schönste Stück in seinem Besitz sei, holt Max Stürken, jüngerer Bruder und ebenfalls Geschäftsführer, sein Portemonnaie heraus. Das dunkelbraune Leder hat leichte Kratzer und ist innen etwas heller als außen. „Das ist mehr als 20 Jahre alt und stammt aus unserem Torquato-Sortiment.“ Irgendwann sei das Außenleder vom ständigen Gebrauch kaputt gewesen, aber die eigene Ledermanufaktur in Tunesien konnte die Hülle austauschen. Der alte innere Kern blieb. „Ich war echt froh, dass das geklappt hat, denn ich hänge total daran und freue mich jedes Mal, wenn ich es in die Hand nehme.“ Also geht es eher um Qualität statt Schönheit?
„Auch das beinhaltet unser Credo“, ergänzt Axel Stürken. „Wir meinen damit nicht nur die optische, ästhetische Ebene. Für uns bedeutet Schönheit auch, etwas lange benutzen zu können. Etwas, das dadurch eine eigene Geschichte bekommt.“ Und Geschichte gibt es im Unternehmen reichlich.
Die Leuchtturm Gruppe - von Briefmarkensammeln bis Journaling
Hätte eine Künstliche Intelligenz (KI) die Aufgabe, ein erfolgreiches Familienunternehmen auf Basis eines ehrlichen Kaufmanns zu generieren, käme dabei wohl die Leuchtturm Gruppe heraus. 1917 gründet Paul Koch in Aschersleben den Kabe-Verlag, spezialisiert auf Sammelalben. Doch das Unternehmen wird zum Spielball der Geschichte: Verkauf in den 1930ern, Weltkrieg, später Verstaatlichung in der DDR und schließlich der Neuaufbau in Göppingen. Koch startet parallel einen zweiten Anlauf und gründet 1948 in Hamburg den Leuchtturm Albenverlag. Der wird bis zur Zusammenführung der beiden 1997 mit Kabe verbunden bleiben.
Aber einen Schritt zurück: 1962 tritt Kurt Stürken bei Leuchtturm ein. Zehn Jahre später wird er Gesellschafter und Partner. Er macht die Marke zu einem international erfolgreichen Unternehmen mit Dependancen in New York (1967), Kanada (1972) und heute insgesamt fünf weiteren Ländern. Stürken hat vier Söhne: Felix, Axel, Max und Moritz. Die drei jüngeren sind im Familienunternehmen tätig – und auch das bekommt Zuwachs. Die Leuchtturm Gruppe übernimmt Traditionsmarken wie Semikolon und Bethge; 2000 gründet sie mit Torquato einen eigenen Handel für eben jene schönen Dinge. Acht Marken und 600 Mitarbeitende gehören mittlerweile zur „Familie“.
Max und Axel Stürken, die aktuellen Hauptgesellschafter, haben Erfolg. Seit 2000 ist das Unternehmen nach eigenen Angaben mit zweistelligen Renditen profitabel. Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Jahresumsatz fast verdreifacht, von 40 auf 110 Millionen Euro. Hero-Produkt ist das Notizbuch der Marke Leuchtturm1917. 2023 haben sie mehr als fünf Millionen der farbigen Alltagsbegleiter verkauft.
Denken mit der Hand
„Es ist ein kleines Produkt, aber es entspricht einem großen Bedürfnis“, sagt Max Stürken über den bekannten Bestseller. 250 Seiten, Fadenheftung, zwei Lesebänder, dickes Papier, der Bezug aus umweltfreundlichem Material. Dazu eine große Farbauswahl, jedes Jahr kommen vier neue Töne dazu, plus Sondereditionen. Aber mal ehrlich: Macht es wirklich einen Unterschied, darin etwas zu notieren oder in einem Collegeblock? „Technisch macht das keinen Unterschied“, antwortet Axel Stürken ruhig. „Wir machen ja auch kein Hehl daraus, dass es andere Notizbücher gibt, die ihren Zweck erfüllen. Den Unterschied macht die Botschaft, die wir kommunizieren: Etwas in ein Leuchtturm-Buch zu schreiben ist wie Denken mit der Hand. Das sind mehr als Notizen.“ Es gibt den Worten Bedeutung, erhöht ihren Wert.
Gerade in der heutigen digitalen Welt gebe es ein großes Bedürfnis, analog etwas festzuhalten – mithilfe eines greifbaren Objekts. Denn das Leben, die Welt selbst seien nun mal physisch und analog. „Ich lebe mit diesem Buch“, sagt Max Stürken und streicht über den tannengrünen Einband der DIN-A4-großen Version vor sich auf dem Tisch. „Die Bücher begleiten mich seit Jahren privat und beruflich. Ich bewahre jedes in einem Regal auf, versehen mit einem Aufkleber des jeweiligen Zeitraums.“ Und damit liegt er im Trend. Journaling, Bulleting, Achtsamkeit sind gerade bei jüngeren Menschen Maßnahmen für mehr Halt und Orientierung in einer zunehmend digitalen (Arbeits-)Welt. „Das ist ein wachsender Markt“, sagt Axel Stürken, „sowie ein sehr attraktives Geschäft. Und wir sehen überhaupt keine Verlangsamung.“
Ein Leuchtturm mit vielen guten Lichtern
Doch auch die anderen Marken wachsen und gedeihen. Die ursprünglichen Leuchtturm-Sammelprodukte machen noch immer zehn Prozent des Umsatzes aus, Torquato ein Drittel. „Wir haben für jede Marke ein eigenes tolles Team und eine verantwortliche Person, die sich selbst als Unternehmer sieht“, so Axel Stürken. „Wir fungieren eher als Co-Partner. Sonst wäre das nicht möglich, weil wir einfach überall zu nah dran wären.“ Sein Bruder Max nennt „Familie“ als wichtigsten Unternehmenswert. „Wir haben eine sehr persönliche Art, auf das Geschäft zu gucken und auch Entscheidungen zu treffen. Wir achten bei Mitarbeitenden nicht nur darauf, ob sie formal die Voraussetzungen mitbringen, sondern auch, ob sie zu uns und unserer Art passen.“ Zum Beispiel? „Wir legen sehr viel Wert auf Humor. Und da gibt es ja sehr viele unterschiedliche Arten.“ Fast so viele wie Notizbuch-Farben bei Leuchtturm.