Mann sieht sein starkes Ich als Spiegelbild
12.10.2022    Madeline Sieland
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Die Welt ist derzeit kein schöner Ort. Daher sorgt der Konsum von Nachrichten vor allem für eines: Die konstanten Bad News über Krieg, Pandemie, Inflation, Energieknappheit und Klimawandel schlagen auf die Stimmung. Und zwar massiv. So zeigt eine Befragung der Texas Tech University, dass übermäßiger Nachrichtenkonsum zu körperlichen Symptomen wie Erschöpfung, Verdauungsbeschwerden, Kopf- und Rückenschmerzen führen kann. Auf mentaler Ebene werden Stress, Angst und Panikattacken ausgelöst. Es besteht die Gefahr, sich in den täglichen Nachrichten zu verlieren und nicht mehr abschalten zu können.

Und alles, was jemanden privat beschäftigt – egal ob es die weltpolitische Lage, familiäre oder gesundheitliche Probleme sind –, nimmt auch Einfluss auf den Job. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man die Gedanken, die darum kreisen, bei der täglichen Arbeit nicht mehr ausblenden kann und die Qualität leidet.

Veränderung im Verhalten erkennen

„In unseren Beratungen zeigt sich bundesweit ganz deutlich, dass psychische Belastungen stark zugenommen haben“, sagt Reinhild Fürstenberg, Gründerin des Fürstenberg Instituts. „Vor allem Depressionen, Ängste und Suchtprobleme sind häufiger geworden.“ Daran habe zum einen die Coronapandemie ihren Anteil. „Zudem blicken wir aufgrund der aktuellen Krisen nicht mehr so fröhlich und optimistisch in die Zukunft.“

Erschöpfungsgrund Nummer eins ist aber der Job. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Beratung Auctority fühlt sich knapp die Hälfte der Beschäftigten müde, ausgelaugt und motivationslos. Als Ursachen wurden Leistungs- und Zeitdruck sowie die schiere Menge nicht zu schaffender Aufgaben genannt. Haben Beschäftigte das Gefühl, sie werden vom Arbeitgeber „verbrannt“ und sind dadurch chronisch erschöpft, folgt früher oder später entweder die Kündigung oder aber ein längerer krankheitsbedingter Ausfall. Fürstenberg empfiehlt Führungskräften daher, das Gespräch mit Angestellten zu suchen, sobald Verhaltensveränderungen länger als zwei Wochen anhalten.

Teamgesundheit in den Fokus nehmen und eine offene Feedbackkultur pflegen

Feststellen kann diese Veränderungen allerdings nur, wer seine Mitarbeitenden gut kennt und regelmäßig mit ihnen im Austausch ist. Gerade in Zeiten von hybrider Arbeit ist das eine Herausforderung. Denn wenn man sich nicht ständig sieht, lassen sich Probleme leichter verstecken. Psychische Erkrankungen sind zudem ein besonders sensibles Thema. Sie werden vielfach noch immer tabuisiert oder als Leistungsschwäche ausgelegt. Im beruflichen Umfeld offen darüber zu sprechen fällt schwer. So haben 34 Prozent der Beschäftigten das Gefühl, innerhalb ihres Teams nicht dazu ermutigt zu werden, offen über Stress und Ängste zu sprechen. Das zeigt eine YouGov-Umfrage im Auftrag von Gympass, einem Anbieter von Firmen-Flatrates für Fitnessstudios.

In den Augen von Axel Singler, Experte für Team-Performance bei Haufe Talent, deutet das vor allem auf eines hin: Um die Teamgesundheit ist es nicht gut bestellt. „Dass alle Mitar­beitenden körperlich und psychisch gesund sind, gilt als Grundvoraussetzung“, so Singler. „Bei der Teamgesundheit geht es jedoch obendrein um das gesunde Miteinander und die Zusammenarbeit des gesamten Teams, denn dies stellt einen der wichtigsten Faktoren für die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens dar.“

Denn: Es geht den einzelnen Mitarbeitenden nur so gut wie dem Team, in dem sie täglich tätig sind. Und nur wenn alle fit sind und an einem Strang ziehen, kann dieses Team gute Arbeit leisten und zum Unternehmenserfolg beitragen. Um das sicherzustellen, empfiehlt Singler Führungskräften, eine wertschätzende Feedbackkultur zu etablieren, einen von Vertrauen geprägten Führungsstil zu pflegen und das Wir-Gefühl durch gemeinsame Aktivitäten zu stärken.

Axel Singler im Interview: „Reflexion muss gefördert werden“

Zur Person

Axel Singler von Haufe Talent

Axel Singler

ist Geschäftsführer von Haufe Talent. Singler transformierte den zuvor demokratisch strukturierten Geschäftsbereich der Haufe Group in eine agile Netzwerkorganisation und setzt sich intensiv mit Talent-Experience und Team-Performance auseinander

Geht es im beruflichen Kontext um mentale Gesundheit, steht in der Regel die Gesundheit eines Individuums im Fokus. Warum sollten Führungskräfte aber auch die Gesundheit eines gesamten Teams nicht aus dem Blick verlieren?

Axel Singler: Unsere Welt wird immer dynamischer und weniger vorhersehbar. Spätestens mit Ausbruch der Coronapandemie ist allen klar geworden, wie schnell das die Realität beeinflussen kann. Die Arbeitswelt muss komplexen Vorgängen und Veränderungen schon lange entgegentreten und das Motiv des Einzelkämpfers – egal ob an der Spitze eines Unternehmens oder als Spezialist in einem Aufgabenbereich – hat ein für alle Mal ausgedient. Wer heute und morgen erfolgreich sein will, wird dies nur mit maximaler Kollaboration schaffen. Das gilt für jedes Individuum sowie für komplette Organisationen.

Das Gefüge, in dem jedoch die tägliche Arbeit ihre Wirkung entfaltet, ist das Team. Aus diesem Grund sollten wir genau hier ansetzen, wenn wir uns die Frage nach der Gesundheit stellen. Dass alle Mitarbeitenden körperlich und psychisch gesund sind, gilt dabei als Grundvoraussetzung. Bei der Teamgesundheit geht es jedoch obendrein um das gesunde Miteinander und die Zusammenarbeit des gesamten Teams, denn es stellt einen der wichtigsten Faktoren für die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens dar.

Inwieweit beeinflussen sich die Gesundheit des Einzelnen und die Teamgesundheit gegenseitig?

Singler: Betrachten wir die klassische Krankmeldung, so wirkt sich ein krankes Mitglied auf die Performance des Teams aus. Die anderen müssen mehr leisten. Ein oder zwei Wochen ist es hin und wieder möglich, einen Ausfall auszugleichen. Geht die Zeit der Krankheit jedoch länger oder wird chronisch, wird das fürs Team zum Problem.

Andersherum kann sich ein ungesundes Team auf die Gesundheit des Einzelnen auswirken. Spannungen, Konflikte, Unklarheiten und Überforderung können sich seelisch und physisch auf Mitarbeitende niederschlagen. Zusätzlich zu gesundheitlichen Aspekten betrachtet die Teamgesundheit Bereiche wie Motivation, psychologische Sicherheit, Rollen- und Aufgabenklarheit oder die Art und Weise, wie in Teams interagiert wird. Lassen sie spielerische Elemente zu, oder arbeiten sie nach Vorschrift Aufgaben ab? Vertrauen sich Teammitglieder gegenseitig? Kennen alle ihr gemeinsames Ziel und was sie dazu beitragen? All diese Fragen zielen ab auf wichtige Faktoren von gesunden Teams.

Was deutet auf Probleme im Teamgefüge hin? 

Singler: Eine klassische Faustformel gibt es nicht, aber eine ganze Reihe von Warnzeichen: erhöhte Fehlzeiten, mangelnde Disziplin – etwa Unpünktlichkeit bei Meetings –, geringes Durchhaltevermögen, ein unfreundlicher Umgangston, übersteigerte Empfindlichkeiten, Niedergeschlagenheit und Wegfall von Humor, erschöpfte Stimmung, Unzuverlässigkeit, mangelnde Hilfsbereitschaft sowie stille Teamrunden. All das sind Phänomene, bei denen Führungskräfte, aber auch einzelne Teammitglieder hellhörig werden sollten. Denn eines gilt für ein kollaboratives Mindset: Verantwortlich für den Erfolg und die Gesundheit des Teams ist nicht die Führungskraft allein, sondern alle Teammitglieder tragen dafür Verantwortung.

Welche Faktoren beeinflussen die Teamgesundheit positiv, welche eher negativ? 

Singler: Als negativ lassen sich fehlende Unterstützung und Vertrauen im Team benennen. Kommen dann noch unklare Verantwortlichkeiten und intransparente Kommunikation dazu, kann das schnell zum Pulver­fass werden. Um dem positiv entgegenzuwirken, sollte ein Team für sich Rahmenbedingungen schaffen, bei denen Wertschätzung und respektvoller Umgang an oberster Stelle stehen. Zielklarheit und Transparenz in alle Richtungen sind ebenso wichtig wie ­gemeinsame Teamregeln und das aktive Auflösen von Konflikten. Nicht zuletzt geben Rituale – im fachlichen und persönlichen Kontext – Routine und Vertrauen. Das bildet die Basis für das, was wir oft als Teamkultur bezeichnen.

Die Frage ist allerdings, wie man überhaupt herausfindet, wo man als Team in puncto Teamgesundheit steht. Dies geht nur mit gemeinsamer Reflexion – und das ist der Teil, der unserer Meinung nach künftig stärker in Unternehmen gefördert werden muss.

Welcher Führungsstil ist empfehlenswert, damit in Teams bestmöglich gearbeitet werden kann?

Singler: Für die Führungskultur lässt sich klar sagen, dass Vorgesetzte eher als Mentor statt als Kontrolleur agieren sollten. Das Empowerment und Enablement ihrer Teams regelmäßig zu bestärken und zu unterstützen, Offenheit und gegenseitiges Vertrauen im Team vorzuleben, transparente Kommunikation und regelmäßiges Reflektieren: Das ist das, was Teams mit kollaborativem Mindset benötigen, um erfolgreich zu sein. Dieses Führen durch Vorbildfunktion zahlt sich aus: Gesunde Teams schaffen nicht nur gesunde Teammitglieder, sondern sorgen auch für mehr Produktivi­tät, Resilienz und Mitarbeiterzufriedenheit.

12.10.2022    Madeline Sieland
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