Sneaker zum Jackett, Gründer zweier Food-Start-ups, keine 40 Jahre alt. Schublade auf, Tobias Zimmer rein, Schublade zu. Es wäre zu einfach, den Unternehmer nach diesem ersten Eindruck zu bewerten. Denn da sind auch noch der Firmensitz in Osnabrück, der Kombi auf dem Parkplatz und das Herzensthema Mittelstand. 2021 gründete er Tradineo. Die Holding übernimmt mittelständische Unternehmen, die allein keine Nachfolge finden, gibt wenn nötig etwas Nachhilfe in Sachen Digitalisierung und findet eine geeignete Geschäftsführung; gern in Form einer Minderheitsbeteiligung. Tradineo behält dabei die Mehrheitsanteile. Im Talent-Pool befinden sich inzwischen 100 potenzielle Nachfolgeunternehmer und -unternehmerinnen, die langfristig auch die Option zur kompletten Übernahme haben.
Mittelstand
Alles neo? Wie Tradineo Unternehmensnachfolge neu denkt
Raus aus der Klischee-Kiste. Tobias Zimmer sucht mit Tradineo die richtigen Menschen am richtigen Ort zur richtigen Zeit – und setzt sich dabei mit so manchen Vorurteilen auseinander.
27.02.2024
Tobias Zimmer
ist Gründer und CEO von Tradineo, My Choco und Coffee-Bike
Ihre Zielgruppe sind Mittelständler – nehmen die nicht schnell Reißaus bei Begriffen wie „Start-up“ und „digital“?
Tobias Zimmer: Ich erlebe eher das Gegenteil. Viele Mittelständler und Mittelständlerinnen finden es toll, wenn junge Leute gründen und eigene Unternehmen aufbauen. Aber wir müssen auch weg vom Klischee des mit Risikokapital aufgepumpten Berliner Start-ups. Ich komme zwar aus dieser Szene, habe selbst ein bekanntes Start-up gegründet – es am Ende aber zu einem mittelständischen Unternehmen aufgebaut. Das wird immer sehr positiv aufgenommen. Viele finden sich da wieder und sagen: „Cool, genau so habe ich vor 30 Jahren auch angefangen.“
Das Thema Digitalisierung wird tatsächlich teils kritisch gesehen. Es gibt einige, die das pauschal ablehnen. Die verstehen unter Digitalisierung oft riesengroße Projekte, wodurch dann die Hälfte der Belegschaft entlassen werden kann. Ich weiche das auf, indem ich erkläre, dass schon kleine Projekte reichen. Also eine Umstellung der Telefonanlage auf eine Voice over IP oder ein cloudbasiertes Warenwirtschaftssystem anstatt umständlicher Excel-Tabellen. Und dann gibt es die Charaktere, die sich bewusst sind, dass sie hinterherhängen. Diese wünschen sich eine Nachfolge, die ihr Geschäft zukunftssicher aufstellt, indem sie Digitalisierungspotenzial erkennt und Prozesse optimiert. Da kommen wir ins Spiel. Denn oft sucht dieser Mittelstand nach Menschen, bei denen sie das Gefühl haben, dass sie die Kompetenz haben, das Unternehmen weiterzuentwickeln.
Um es dann gewinnbringend weiterzuverkaufen?
Zimmer: Das ist gerade nicht unser Ansinnen. Wir sehen uns eher langfristig als nächste Generation, die das Unternehmen für die kommenden 30 Jahre denkt und nicht nur kurzfristig optimiert, um dann nach fünf Jahren einen Exit hinzulegen. Das ist nicht nachhaltig, da es doch um den Erhalt des Mittelstands geht. Das Problem ist die fehlende Nachfolge, nicht das Geschäft an sich. Es sind meist schon tolle, erfolgreiche Unternehmen. Das Ziel ist, sie so – mit den gleichen Werten und Strukturen – weiterzuführen und on top etwas nachzujustieren, damit so ein Unternehmen auch in der heutigen, doch sehr digitalen Welt zukunftsfähig ist.
Und was haben die potenziellen Nachfolger und Nachfolgerinnen auf der anderen Seite davon?
Zimmer: Eine Startrampe in die Selbstständigkeit – unabhängig von finanziellem und familiärem Background oder hohem Risiko. Junge Menschen, die schon signifikant Erfahrung haben und unternehmerische Verantwortung übernehmen wollen. Eigentlich die klassischen Gründer-Typen. Denen wollen wir zeigen, dass es nicht immer das hippe Start-up sein muss. Dass auch der Mittelstand die Chance zur Selbstverwirklichung bietet. Und ganz nebenbei: Er bietet eine wirtschaftlich viel stabilere mit deutlich höherer Erfolgswahrscheinlichkeit. 90 Prozent der Start-ups scheitern, und beim deutschen Mittelstand haben wir eine Erfolgsquote von um die 95 Prozent. Am Ende geht es darum, gemeinschaftlich die Optionen wahrzunehmen, was Cooles zu machen und somit den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern.
Gerade im Mittelstand sind Werte und Unternehmensphilosophie eng mit der Geschäftsführung verbunden. Wie verhindern Sie, dass diese DNA verloren geht?
Zimmer: Wir gucken uns primär erfolgreiche mittelständische Unternehmen an und keine Restrukturierungsfälle. Ich bin davon überzeugt, dass so ein laufendes Geschäft ein in sich funktionierender Organismus ist und alles, was irgendwie von außen übergestülpt wird, erst mal negativ ist. Denn die haben ja schon viel richtig gemacht in der Vergangenheit, und das sollte man auch honorieren. Das heißt, wir müssen uns eher als Übernehmende auf das Unternehmen einstellen. Diese Haltung ist enorm wichtig, dass wir nicht diejenigen sind, die jetzt da reingehen und alles besser machen. Was nicht heißt, dass es keine Veränderung gibt, aber eben mit sehr viel Augenmaß. Außerdem ist es Grundvoraussetzung, dass die neue Führung mit ihrer ganzen Persönlichkeit vor Ort ist. Jemand, der sich mit dem Unternehmen identifiziert, der schnell und nah Entscheidungen treffen kann, der soweit möglich selbst was investiert und somit auch zu verlieren hat. Denn das macht ja den Mittelstand aus.
Ist das denn bei allen Unternehmen möglich?
Zimmer: Nein. Ein gutes Gegenbeispiel sind kleinere Handwerksbetriebe, wo der Inhaber zeitgleich der beste Handwerker ist. Aber ab einer gewissen Größe schwenkt das um. Dann ist er nicht mehr der beste Handwerker, sondern vor allem ein guter Geschäftsführer, der Leute führen und das Unternehmen lenken kann. Deshalb ist unser einziges Ausschlusskriterium die Größe. Relevant sind Unternehmen ab 750.000 Euro EBIT, das gilt meist ab 15 bis 20 Mitarbeitenden.
Sie haben in Ihrem Nachfolgepool um die 100 Talente – wie viele davon sind weiblich?
Zimmer: Etwa zehn Prozent. Wir würden uns das anders wünschen, probieren immer wieder, mehr Frauen zu motivieren – aber das sind eben die realen Zahlen.
Warum ist das so?
Zimmer: Auch hier würde es sich lohnen, die Vorurteil-Schubladen aufzuräumen. Viele verbinden den Mittelstand mit veralteten Strukturen und Hierarchien; einem eher männerdominierten Feld. Ich kann mir vorstellen, dass das Frauen abschreckt, hier nach Karriereoptionen zu suchen. Aber diese Vorstellung stimmt nicht. Gegen derartige Vorurteile kämpfen wir tagtäglich. Wir wollen einfach spannende Unternehmen und engagierte Talente zusammenführen – abseits aller Klischees.
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