Wer auch immer auf die Idee kam, diese besondere Woche in den April zu legen, dem gebührt Respekt, Lob und unser persönlicher Dank. Zum Start der diesjährigen „Milan Design Week“ springt das Thermometer locker über die 20-Grad-Hürde und beschert, gepaart mit viel Sonne, der zweitgrößten Stadt Italiens eine Leichtigkeit, die sich satt auf Straßen, Gassen und Plätze ergießt.
„Fuorisalone“, unter diesem Namen wird eine Woche lang Design zelebriert, inszeniert, diskutiert und mit anderen Disziplinen verwoben. Von Architektur und Kunst bis hin zu Fashion, Food, Film sowie Automobil. Und natürlich Interior, gilt doch der „Salone del Mobile“ als bedeutendste Messe ihrer Art weltweit – mit zahlreichen Produktneuheiten. Der 62. Salone residiert wieder in den Hallen abseits des Stadtzentrums, wird von rund 300.000 Menschen besucht und vereint etwa 2.000 Hersteller, darunter die Großen der Branche – von Flexform bis Molteni.
Milan Design Week: Ein Stadtteil sticht hervor
Doch das Herz pocht in diesen Tagen noch stärker als ohnehin in Brera, jenem Stadtteil so nah am Dom. Und DER Place to be, um sich und seine Marke dem internationalen Publikum zu präsentieren.
Kleine Flaggen mit dem Aufdruck „Brera Design District“ wedeln abhängig von der Intensität des Windes mal aufgeregt, mal gelangweilt an dünnen Seilen über den schmalen Gassen voller Design, auf denen sich gefühlt die ganze Welt einfindet. Zahlreiche Brands haben hier und im benachbarten „Durini Design District“ ohnehin ein Zuhause, viele verfügen über Flagshipstores. Und laden ein. Wie der deutsche Leuchtenhersteller Occhio, der ausgewählte Gäste zu Drinks und Häppchen bittet – und nebenbei seine wie auf Zauberhand voll in der Decke versenkbare Ikone „Mito“ vorführt.
Hidden Places, die sich lohnen
Aufsteller weisen den oftmals kopfsteinbepflasterten Weg auch in nicht sofort sichtbare Showrooms, die etwas versteckt liegen, in Hinterhöfen und sogar im Souterrain – oder beides. Wie der Stuttgarter Hersteller Richard Lampert, der sich nicht nur in einem Raum mit Thonet, Müller Möbel und Tecnolumen präsentiert, sondern auch mit dem legendären Eiermann Tisch 1 und einer aus 70 alten T-Shirts gepressten Platte überrascht – zeitgemäß und nachhaltig.
Überhaupt: Ob Ballettschule, Fahrradladen, Friseursalon oder Apartementi – den Ideen, sich in Szene zu setzen, scheinen keine Grenzen gesteckt, um diesen Mix aus Möbel- und Interior Design, Fashion und Kunst zu bespielen. BMW platziert eine Designstudie mit der schlichten Bezeichnung „Neue Klasse“ in einem Innenhof. Eine Art futuristisches Muscle Car steht einfach in einem Glaskasten am Straßenrand. Ein E-Auto wie aus einer fernen Galaxie, bullig und aggressiv. Wer macht denn sowas? Antwort: der chinesische Luxuscar-Hersteller VOYAH. Und nennt das Ding (selbstironisch?) „cozy“.
Palazzi gewähren Einlass
Besonders spektakulär sind aber, davon zeugen die oftmals langen Menschenschlangen vor dem Einlass, Inszenierungen in historischen Gebäuden wie Palazzo Litta, Palazzo Visconti oder Palazzo Reale, die zur Milan Design Week ihre Pforten öffnen. Sie schaffen Künstlern und Studios Platz für ihre Installationen – und internationalen Brands wie Edra atemberaubend Raum, sich selbst zu entfalten. Eine nahezu perfekte Symbiose.
Hermès wiederum setzt seit Jahren auf ein und denselben Rahmen für seine Markenszenerie – eine eher unspektakuläre Halle namens „La Pelota“ in der Via Palermo 10, die immer wieder anders konfiguriert wird und so aufs Neue überrascht. Beeindruckender als 2023 war der Auftritt in diesem Jahr, schlug Hermès doch auf einem begehbaren Parcours eine Brücke zwischen neuen Entwürfen und dem Erbe des Hauses. Zwischen unterschiedlichen Materialien und den neuen Objekten der durchaus spannenden Home Collection.
Spannend ist auch das Konzept, das sich hinter dem Namen Alcova verbirgt. Führt dieses immer wieder zu einer besonderen, wechselnden Location. Jetzt bereits im siebten Jahr. Diesmal dienten zwei Villen rund 15 Kilometer außerhalb der Stadt als Homespot für diverse Brands, Designstudios, Institutionen & Co.
„Negroni Sbagliato“ auf dem Vormarsch
Eigentlich müsste die „Milan Design Week“ über mehrere Wochen andauern, so viel gibt es zu entdecken. Wer zu diesem Marathon der Events und Eindrücke antritt, den erwarten viel Espresso und wenig Schlaf, heißt es, sowie zahlreiche Restaurants und ganz viel Italien, das ist sicher.
Dazu zählt ein Ort, auf den sich scheinbar die ganze Designszene geeinigt hat. Die „Bar Basso“ (via Plinio 39) lebt als typische und ursprüngliche Cocktailbar unaufgeregt den Stilo Milano, auch wenn die Bürgersteige und selbst die Verkehrsinsel vor der Bar vom Designvolk belagert wird. Auch zur „Fashion Week“ wird die Bar überrannt. Kein Wunder, ist sie doch angeblich der Ort, an dem der Negroni erfunden wurde. Apropos: Dieser hat hier als „Negroni Sbagliato“, bei dem Prosecco den Gin ersetzt, prickelnd ausbalanciert dem „Aperol Spritz“ wohl den Rang abgelaufen. Der Tipp im Glas für diesen Sommer – ob zuhause am Grill oder vor Ort in den vielfältigen Vierteln der pulsierenden Stadt.
Sieben Tipps für das ganze Jahr
Jene, die nun meinen, Mailand sei nur zur „Milan Design Week“ so erlebenswert, irren gewaltig. Milano hat über das ganze Jahr sehr viel zu bieten. Hotels und airbnbs sind dann zudem meist sehr viel preiswerter als während des „Fuorisalone“. Und das Thema Design ist und bleibt immer präsent.