Jochen Zeitz war schon zu seinen Zeiten beim Sportartikelhersteller Puma stets lässiger als andere Bosse. Die Position als starker Mann bei Harley-Davidson passt somit bestens zum kernigen Kunstmäzen und sechssprachigen Kosmopoliten. Seit Anfang 2020 ist er Chairman, Präsident und CEO in Personalunion – und der erste Nichtamerikaner an der Spitze der US-Schwermetallschmiede aus Milwaukee. Unter den Fittichen des Sustainability-Spezialisten kehrt der angeschlagene Motorradhersteller überraschend schnell zurück in die Erfolgsspur: 1,4 Milliarden Dollar Umsatz im ersten Quartal 2021, die Gewinne kletterten von 70 auf 259 Millionen Dollar. Für dieses Geschäftsjahr erwartet Zeitz ein Umsatzplus von 30 bis 35 Prozent.
Harley-Davidson mal anders
Kräftigen Anteil daran soll die neue Pan America haben. Die kantige Reise-Enduro kommt in zwei Versionen als 1250 und 1250 Special. In der Branche wurde der US-Geländekracher lange skeptisch beäugt, weil das Bike so gar nicht ins Portfolio und Bild der schweren, chromblitzenden Cruiser passen wollte, für die Harley-Davidson gemeinhin steht. Seit der offiziellen Fahrpräsentation sieht das anders aus: Die Pan America bringt alles mit, um der BMW R 1250 GS – dem weltweiten Marktführer des Groß-Enduro-Segments – und Wettbewerbern wie der Ducati Multistrada V4 prächtig in die Parade zu fahren.
Neu entwickelter, hochmoderner V2-Motor mit amtlichen 152 PS (112 kW) und 128 Nm Drehmoment. Bis zu acht teils frei programmierbare Fahrmodi. Fulminante Beschleunigung und 220 km/h Spitze bei moderatem Verbrauch (5,5 l/100 km). Überzeugende Offroad-Eigenschaften von Tuckern bis Klettern. Dazu ein komplettes Assistenzsysteme-Paket, jede Menge Markenspririt – und als Weltpremiere und Innovations-Ausrufezeichen eine automatische Höhenabsenkung. Die gibt es optional fürs elektronische Fahrwerk der 1250 Special, um die Füße jederzeit sicher auf den Boden zu bekommen. Bei 85 bis 87,5 Zentimeter Sitzhöhe und bis zu 258 Kilogramm Fahrgewicht eine feine Sache, auf die noch kein anderer Hersteller kam.
Polarisierendes Design
Optisch bricht das amerikanische Adventure-Bike kühn mit dem seit Jahren etablierten Look dieser Motorradklasse: Breiter, rechteckiger LED-Scheinwerfer, wuchtiger Cockpitvorbau im Stil des Harley-Tourers Road Glide, dazu der gewaltige „Revolution Max“ getaufte V-Twin mit 1252 cm3 Hubraum – die Pan America polarisiert. Und genau das soll der Harley-Allrounder auch. „Die Pan-America-Modelle strahlen diese Go-anywhere-Idee aus, die heute von Fahrern in den USA und rund um den Globus geteilt wird. Sie wollen die Welt auf einem Motorrad erleben“, erklärt Zeitz.
In Deutschland ist fast jede dritte neue Maschine eine Enduro. Seit Jahren führt die „große GS“ die Motorrad-Verkaufs-Charts mit respektablem Abstand an. In 32 Märkten ist sie der Top-Seller der potenten Alleskönner für Straße und Gelände. Vorrangige Aufgabe von Kolja Rebstock, erfahrener Automanager sowie neuer Harley-Davidson Regional Vice President EMEA und Managing Director der Region Deutschland, Österreich und Schweiz, wird es jetzt sein, die Vertriebswege zu optimieren. Derzeit gibt es 67 Harley-Händlerbetriebe in Deutschland; BMW Motorrad hat mehr als doppelt so viele.
Die Pan America gibt es zum Kampfpreis
Im Juni sollen die ersten „Pan Am“, wie sie intern genannt werden, auf die Straße rollen. Nach der elektrischen LiveWire, die künftig als eigenständige Submarke von Harley-Davidson firmiert, ist sie bereits das zweite Modell, das neue Kunden binden soll. Anders als der teure Stromer (ab 32.995 Euro) kommt die Pan America eher zum Kampfpreis daher: Ab 15.995 Euro geht es los; die sicher begehrtere 1250 Special kostet 2.000 Euro mehr – plus Extras wie Gepäcksets, Kreuzspeichenräder oder passende Bekleidung. Der Wettbewerber liegt bis zu 4.000 Euro darüber bei vergleichbarer Ausstattung. Das dürfte ankommen. Zumal die typische Klientel zum Zweit- oder Drittbike neigt.