An den Tankstellen kosten Benzin und Diesel deutlich mehr als zwei Euro pro Liter, in den Supermärkten werden Speiseöl und Nudeln gehamstert: Die wirtschaftlichen Folgen des brutalen und völkerrechtwidrigen Angriffskrieges der russischen Streitkräfte in der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland haben längst alle Bundesbürger zu spüren bekommen.
Wachstumsprognose halbiert
Insgesamt etwa 90 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung dürfte der Ukraine-Krieg und seine ökonomischen Verwerfungen die deutsche Wirtschaft in diesem und im nächsten Jahr kosten, befürchtet das Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel. In der aktuellen Frühjahrsprognose haben die Forscher ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr halbiert. Statt vier Prozent dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2022 nur um 2,1 Prozent zulegen. Die Inflationsrate könnte auf 5,8 Prozent steigen – so hoch wie noch nie seit der Wiedervereinigung.
Drei Faktoren lasten auf der Konjunktur: Zum einen die höhere Unsicherheit, zum anderen neuer Stress in den Lieferketten und vor allem die nochmals gestiegenen Rohstoffpreise, insbesondere für Öl und Gas. Insgesamt dürfte die deutsche Energieimportrechnung im Jahr 2022 um rund 40 Milliarden Euro höher ausfallen, als in der Dezemberprognose des IfW veranschlagt war.
Inflationsdruck ist nicht nur dem Ukraine-Krieg geschuldet
Die stark erhöhten Preise für Rohstoffe lassen im gesamten Euroraum die Teuerungsrate steigen. Die Inflationsrate dürfte laut IfW mit 5,2 Prozent den höchsten Stand seit Bestehen der Währungsunion erreichen. Auch 2023 dürfte sie mit 2,8 Prozent weiterhin klar das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) übertreffen.
Doch der Krieg ist nicht allein Schuld an den Preissteigerungen. „Der Inflationsdruck ist auch der weltweit expansiven Geld- und Fiskalpolitik während der Pandemiephase geschuldet. Kriegsbedingt bekommt die Teuerung einen weiteren Schub, in Gang gekommen war sie aber längst vor dem Überfall auf die Ukraine”, sagt Stefan Kooths, Konjunkturchef und Vizepräsident des IfW Kiel.
Worst Case: Stagflation mit wenig Wachstum und hoher Inflation
Wie gehen die Notenbanken mit dieser gefährlichen Mischung aus hoher Inflation und sinkendem Wachstum – im Fachjargon Stagflation genannt – um? Die Währungshüter stecken in der Zwickmühle: Lassen sie die Inflation laufen oder würgen sie die wirtschaftlichen Erholung ab?
„Trotz des Ukraine-Konflikts sorgte die EZB mit ihrer jüngsten Entscheidung für eine Überraschung“, sagt Lale Akoner, leitende Marktstrategin bei BNY Mellon Investment Management. Zwar ließ die Notenbank wie erwartet den Leitzins bei null. Sie beschloss aber eine schnellere Drosselung der Anleihekäufe und wies auf die Möglichkeit hin, diese im dritten Quartal zu beenden, falls sich die Inflationsaussichten nicht abschwächen. Diese überraschend „falkenhafte“ EZB – Falken sind im Notenbank-Jargon Befürworter einer strengen Geldpolitik mit höheren Zinsen, Tauben dagegen präferieren eine milde Geldpolitik – könnte Ende des Jahres eine „moderate Zinserhöhung vornehmen“, so Akoner.
Fed leitet Zinswende ein
Das amerikanische Pendant, die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed), hat dagegen wie erwartet bereits Nägel mit Köpfen gemacht und den Leitzins erstmals seit Dezember 2018 erhöht, und zwar um 0,25 Prozentpunkte. „Dieser erste kleine Zinsschritt war mehr als überfällig und wirkt halbherzig. Die US-Inflationsrate nähert sich mit großer Geschwindigkeit der Zehn-Prozent-Marke und auch die Inflationserwartungen sind kräftig gestiegen“, sagt Friedrich Heinemann vom Forschungsinstitut ZEW Mannheim.
Die Zentralbank müsse jetzt vermeiden, dass aus einer temporären Corona- und Kriegsinflation ein längerfristiger Inflationsprozess wird. Dafür seien weit höhere Zinsen unausweichlich, so der Ökonom. „Die jüngst wieder sehr starken Daten vom US-Arbeitsmarkt deuten darauf hin, dass die US-Wirtschaft auch eine globale Abschwächung als Folge des Ukraine-Kriegs verkraften kann. Vor diesem Hintergrund ist der erste Trippelschritt von 25 Basispunkten zu ängstlich ausgefallen. Die Fed läuft mit ihrer Zögerlichkeit der Inflationsdynamik hinterher.“
Die Finanzmärkte haben jedoch eher gelassen auf die Zinswende reagiert. „Die Märkte scheinen mit einer angemessen restriktiven Geldpolitik umgehen zu können und vertrauen auf eine Fed, die mit Augenmaß agiert, ohne das Wachstum übermäßig zu gefährden“, sagt Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank. Augenmaß – das scheint die Devise der Notenbank zu sein, um in der aktuellen Situation die Kontrolle zu behalten.