Investoren im Gesundheitswesen

„Durch die Profitorientierung geht die ärztliche Therapiefreiheit verloren“

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Internationale Private-Equity-Gesellschaften haben den deutschen Gesundheitssektor als vielversprechendes Renditeobjekt für sich entdeckt. Doch das habe Folgen für Patienten, betont Dr. Philipp Schlechtweg, Facharzt für diagnostische Radiologie. 

09.05.2022

Pro Behandlungsfall rechnen investorengeführte Praxen im Schnitt zehn Prozent mehr Honorar ab als Einzelpraxen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des IGES Institut im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB). „Investoren wollen mit den Praxen Profite machen“, sagt der Radiologe Dr. Philipp Schlechtweg. Aber geht das auch zulasten des Patientenwohls?

Dr. Philipp Schlechtweg

ist Facharzt für diagnostische Radiologie und stellvertretender Vorsitzender der Radiologie Initiative Bayern

Bitte quantifizieren Sie den Anteil der durch Private-Equity-Investoren finanzierten Medizinischen Versorgungszentren an allen Versorgungszentren. Wie hoch ist der Anteil an allen Praxen niedergelassener Ärzte?

Philipp Schlechtweg: Der Markt ist gekennzeichnet durch eine wachsende Zahl von großen multinationalen Akteuren und das Entstehen neuer nationaler Konsolidierer mit einer verstärkten Beteiligung von Finanzinvestoren. Wie ein von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern in Auftrag gegebenes Gutachten zeigt, hat sich allein in Bayern die Anzahl der Arztpraxen in Investorenhand von Anfang 2018 bis Ende 2019 um 72 Prozent erhöht. Fast jedes zehnte Medizinische Versorgungszentrum zählt hier inzwischen zu den sogenannten Private-Equity-Praxen. Die Ausbreitung solcher investorengeführter Institutionen zieht sich dabei durch zahlreiche Fachbereiche. Auch die radiologische Versorgung ist mittlerweile stark betroffen – leider mit negativen Auswirkungen auf die Versorgung der Patienten.

Welche Ziele verfolgen Investoren im Gesundheitswesen? Ist im medizinischen Bereich viel zu verdienen? Die Einnahmen sind doch eigentlich durch den Staat respektive die Krankenkasse gedeckelt, oder?

Schlechtweg: Die Investoren wollen mit den Praxen Profite machen. Wie das KVB-Gutachten zeigt, rechnen Private-Equity-Praxen etwa zehn Prozent mehr Honorar ab als ihre inhabergeführten Pendants. Hinzu kommt, dass hinter diesen Medizinischen Versorgungszentren in der Regel internationale Unternehmen stecken, die in Deutschland keine Steuern zahlen. Um noch mehr Profit zu erzielen, werden Patienten außerdem häufiger unnötige Zusatzleistungen verkauft, die sie selbst zahlen müssen.

Staatliche Gesundheitssysteme – etwa der National Health Service in Großbritannien – genießen nicht den besten Ruf. Was ist also gegen private Investoren einzuwenden? Wie beeinflusst die private Finanzierung von Medizinischen Versorgungszentren die Behandlung?

Schlechtweg: Investmentorientierte Institutionen müssen vor allem wirtschaftlich sein. Für Patienten bedeutet das oft eine schlechtere Versorgung bei höheren Kosten. So werden ihnen häufig überflüssige Untersuchungen und unnötige Behandlungen verkauft, die sie selbst zahlen müssen. Durch die absolute Profitorientierung geht die ärztliche Therapiefreiheit verloren: Ärzte entscheiden nicht mehr unabhängig, welche Behandlung am besten ist, sondern orientieren sich in ihren Empfehlungen daran, womit sich am meisten Geld verdienen lässt. In der Folge verschiebt sich das Leistungsspektrum vom Patientenwohl in Richtung Rendite und führt zusätzlich zu einer verstärkten Konzentration auf rentable Versorgungsbereiche und Regionen. Anstatt eines flächendeckenden und wohnortnahen Angebots droht insbesondere im ländlichen Raum Ausdünnung und damit die massive Gefährdung der Daseinsvorsorge.

Wie können Patienten erkennen, wer der Eigentümer einer Praxis oder eines Versorgungszentrums ist?

Schlechtweg: Oftmals konzentrieren sich investorengeführte Praxen auf Ballungsgebiete, da sie dort mehr Profit erzielen können. Das ist jedoch für Patienten, die in München, Erlangen-Nürnberg oder anderen Metropolregionen Deutschlands leben, kein eindeutiger Indikator. Aktuell gibt es weder eine Kennzeichnungspflicht noch ein öffentliches Register, das beispielsweise Private-Equity-Praxen inklusive Kapitalgeber, Beschäftigtenzahlen, Arztsitze, Versorgungsumfang, Immobilienbesitz, Renditen und Gewinnausschüttung listet, sodass nicht einmal Ärztekammern und Krankenkassen über Besitzverhältnisse Auskunft geben können. Entsprechend schwierig gestaltet es sich herauszufinden, wer etwa hinter bestimmten Medizinischen Versorgungszentren steht. Insbesondere Patienten bleibt häufig keine andere Möglichkeit, als direkt bei der Praxis anzufragen, ob sie inhaber- oder investorengeführt ist. Alternativ bieten entsprechende Verbände inhabergeführter Praxen eine erste Orientierung. So pflegt beispielsweise die Radiologie Initiative Bayern ein Verzeichnis ihrer unabhängigen Mitglieder.

Wie ließe sich der Zustrom von branchenfremden Investoren steuern beziehungsweise regulieren? Was sollte Ihrer Meinung nach vonseiten des Gesetzgebers passieren?

Schlechtweg: Profit sollte niemals zulasten des Solidarsystems der gesetzlichen Krankenversicherung und der im Sozialgesetzbuch festgeschriebenen Versorgungssicherheit gehen. Riesige, durch Investmentfirmen finanzierte Medizinische Versorgungszentren wie in der Radiologie stehen jedoch insbesondere Letzterem entgegen, da das gesamte Private-Equity-System im Prinzip nur solange funktioniert wie die Niedrigzinsphase anhält. Werfen andere risikoarme Anlagemöglichkeiten mehr Rendite ab, kann es schnell passieren, dass Investoren ihr Geld aus den Praxen zurückziehen. Was aber geschieht dann mit solchen medizinischen Spekulationsobjekten? Werden sie verkauft oder sogar gänzlich geschlossen? Hier ist die Politik gefragt. Der niedergelassene, freiberuflich tätige Arzt muss weiterhin der Goldstandard der ambulanten Versorgung bleiben und dementsprechend geschützt werden. Dazu müssen insbesondere in Bezug auf die Bildung von Medizinischen Versorgungszentren gesetzliche Vorgaben geändert werden, sodass die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte der Trägergesellschaft in den Händen von Vertragsärzten liegt und von ihnen geführt wird. Zudem sollte die Zahl der Arztsitze in von Krankenhäusern gegründeten Medizinischen Versorgungszentren auf einen bestimmten Prozentsatz der Bedarfsplanung beschränkt und die Möglichkeit eines planungsbereichsübergreifenden Erwerbs von Arztstellen gestrichen werden. Daneben gilt es insgesamt die Freiberuflichkeit zu stärken und so eine marktbeherrschende Stellung von investorengeführten Praxisketten zu verhindern. Ein Ausschreibungsverfahren für Niederlassungswillige, das Mediziner vorrangig berücksichtigt, die die Praxis als Vertragsärzte fortführen wollen, bildet einen ersten Schritt. Eine Obergrenze für die Zahl der in einem Medizinischen Versorgungszentrum tätigen angestellten Ärzte stellt eine weitere Maßnahme dar, den Zustrom von branchenfremden Investoren zu regulieren.

Des Weiteren sollte die Möglichkeit gestrichen werden, dass Vertragsärzte auf ihre Zulassung verzichten können, um sich von einem Medizinischen Versorgungszentrum anstellen zu lassen. Und auch eine sogenannte Konzeptbewerbung sollte aus dem Gesetz gestrichen werden, da sie die Grundsätze eines fairen Auswahlverfahrens verletzt. Außerdem muss die Politik mehr Transparenz – etwa durch ein entsprechendes Register und eine Kennzeichnungspflicht – schaffen.