Spätestens seit der Verabschiedung der „Nationalen Wasserstoffstrategie“ (NWS) am 10. Juni 2020 wurden verschiedene Maßnahmen angestoßen und umgesetzt, um die Wasserstoffwirtschaft auch hierzulande aufzubauen. Ziel der Bundesregierung ist es, die von der EU gesetzten Klimaziele noch erreichen zu können.
Auf dem Weg in eine emissionsfreie Zukunft erhoffen sich alle Beteiligten von den Wasserstofftechnologien sehr viel. DUP UNTERNEHMER hat mit Patrick Koller, CEO von FORVIA, sowie Murat Aydemir, Geschäftsführer von Faurecia Hydrogen Solutions Germany, über den aktuellen Stand und das Potenzial dieser Technologien für die Automobilindustrie gesprochen.
Sie sind nun schon mehrere Jahre im Wasserstoffbereich aktiv. Glauben Sie nach wie vor daran, dass Wasserstoff in der Automobilindustrie eine große Rolle spielen wird?
Patrick Koller: Ich bin überzeugt davon, dass in der Industrie kein Weg mehr am Netto-Null-Emissionsstandard vorbeiführt. Das gilt gerade für die Automobilindustrie. Deswegen hat sich FORVIA verpflichtet, bis 2045 in der gesamten Wertschöpfungskette CO2-neutral zu sein. Wir werden diese ehrgeizigen Ziele nur erreichen, wenn wir alle verfügbaren Technologien nutzen. Wasserstoff bietet aus meiner Sicht viel Potenzial – sei es als Energiequelle für Brennstoffzellenlösungen oder als Medium für die Speicherung und den Transport erneuerbarer Energie.
Braucht es Mut, um in Wasserstoff zu investieren?
Koller: Als wir 2019 gemeinsam mit Michelin das Joint Venture Symbio gründeten, um Brennstoffzellenlösungen herzustellen, war das sicherlich ein mutiger Schritt. Seitdem hat sich in der Entwicklung viel getan und Wasserstoff hat einen ganz anderen Stellenwert bekommen. Gerade jetzt – im Mai 2023 – ist Stellantis mit einer substanziellen Beteiligung als dritter Anteilseigner bei Symbio eingestiegen. Damit weitet sich der Markt Symbios von der europäischen auf die globale Ebene aus. Auch die Hersteller haben inzwischen ihr Commitment zu Wasserstoff unter Beweis gestellt: Hyvia beauftragte FORVIA mit einer Großserienproduktion für die Wasserstofftanks des Renault Master H2-TECH; von Hyundai hat FORVIA einen bedeutenden Auftrag über Speichersysteme für Brennstoffzellen-Elektrofahrzeuge erhalten.
Welche Perspektive sehen Sie für Wasserstoff?
Koller: Wasserstofftechnologie eignet sich hervorragend für gewerbliche schwere Straßen- und Geländefahrzeuge sowie für Hochleistungsmotoren. Sie erzeugt weder CO2 noch Schadstoffe und ermöglicht kurze Betankungszeiten sowie eine größere Reichweite ohne Minderung der Nutzlast. Wasserstoff könnte damit für E-Fahrzeuge werden, was Diesel heute für Verbrenner ist – die Lösung für lange Strecken –, während die Batterie die Benziner ablöst. Ich gehe davon aus, dass wir gleichzeitig verschiedene Varianten von hybriden Antrieben sehen werden: Neben der klassischen Kombination von Verbrennermotor mit Batterie oder Brennstoffzelle wird es auch Antriebe geben, die Batterie- und Wasserstofftechnologie in sich vereinen.
Aktuell gibt es noch keine nennenswerte Infrastruktur für Wasserstoff in Deutschland.
Koller: Das ist richtig. Die Industrie muss hier als Enabler agieren, bis eine Infrastruktur aufgebaut werden kann. Wir haben dafür modulare Containerlösungen entwickelt, um Wasserstofftanks kosteneffizient transportieren zu können. Dafür nutzen wir die standardisierten Container, die auf Lkw oder in der Binnenschifffahrt eingesetzt werden – also eine bereits bestehende und erprobte Logistikkette. Ist der Wasserstoff einmal da, wo er benötigt wird, kann er problemlos weiterverwendet werden, wie bisherige Energiequellen. Zusätzlich bietet Wasserstoff den Vorteil, dass Energie direkt da gespeichert und gelagert werden kann, wo sie produziert wurde.
Momentan befindet sich die Wasserstoffindustrie in einer Findungsphase. Was zeichnet FORVIA als potenziellen Partner aus?
Koller: FORVIA verfügt nicht nur über eine globale Produktionspräsenz, Know-how in der Systemintegration und ein Wasserstoff-Forschungszentrum, sondern auch über eine nachgewiesene Erfolgsbilanz bei der Realisierung von Wasserstoff-Nutzfahrzeugen mit internationalen Herstellern. Die Gruppe deckt 75 Prozent des Wasserstoff-Antriebsstrangs mit Wasserstoffspeichern sowie mit Brennstoffzellen-Stack-Systemen über Symbio ab. Zudem haben wir seit 2018 über 300 Millionen Euro in diese Technologie investiert. Wir haben ein branchenführendes Ökosystem entwickelt und streben bis 2030 einen Umsatz von 3,5 Milliarden Euro an.