Illustration eines Stethoskop auf roten Hintergrund
30.09.2021
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Auch im Healthcare-Bereich hat Corona wie ein Katalysator gewirkt und für neuen Wind gesorgt. Plötzlich wurde Digitalisierung etwa nicht mehr als Möglichkeit wahrgenommen, sondern als Dreh- und Angelpunkt eines zeitgemäßen Gesundheitssystems. Flexibilität und die Offenheit althergebrachte Strukturen zu überdenken, war inmitten der Pandemie eine Notwendigkeit, um Systeme am Laufen zu halten.

Wenn man sich nun genauer ansieht, wer die größten Sprünge gemacht und den größten Impact hatte, dann zeigt sich ein deutliches Bild: Während die großen Institutionen damit beschäftigt waren, die allgemeinen Rahmen aufrechtzuerhalten, konnten Start-ups und kleine Organisationen neue Strukturen und Angebote schaffen. Sicherlich hinkt der Vergleich ein wenig, weil die Gesundheitssysteme zu unterschiedlich sind, aber ähnlich wie in den USA konnten privatwirtschaftliche Unternehmen dort aktiv werden, wo zwar Handlungsbedarf bestand, aber niemand vorhanden war, der von offizieller Stelle hätte einspringen können.

In den USA gibt es bereits Beispiele dafür, wie Start-ups den Healthcare-Bereich erobert und neue Strukturen geschaffen haben, die dann zum Standard wurden. Sicherlich ist dort die Basis, auf der Start-ups agieren können eine ganz andere – das Gesundheitssystem etwa grundsätzlich offener für privatwirtschaftliche Innovationen. Doch auch in Deutschland hat sich dieses Muster in den vergangenen Monaten als zielführend erwiesen – denken Sie nur an die enormen Test-Kapazitäten oder auch die Einführung der Gesundheits-Apps (digitale Gesundheitsanwendungen, DiGA).

Prototyp DiGA für Innovation im Gesundheitssystem 

Die Einführung der DiGAs halte ich für den Prototyp dessen, wie Innovation im Gesundheitssystem künftig ablaufen wird. Denn es gibt ein zentrales Problem: Ein bestehendes System kann sich nicht oder nur schlecht selbst disruptieren. Sich aus eigener Kraft heraus von innen zu sanieren ist ein extrem aufwändiger Prozess – gerade für ein gewachsenes und komplexes System wie unseren Healthcare-Bereich.

Die Player an den entscheidenden Punkten im Ökosystem müssten sich im laufenden Betrieb selbst in Frage stellen. Daß das nicht passiert, ist zutiefst menschlich. Ich bin deshalb überzeugt, dass die Impulse von außen kommen müssen. Dass externe Kräfte auf das Gesundheitssystem wirken müssen, um es auf diese Weise zukunftsfähig zu machen.

Neue Anforderungen werden die Healthcare-Branche zur Erneuerung der Prozesse und der Angebote zwingen. Doch egal wie digital es in Zukunft auch werden wird, das Bedürfnis nach Menschlichkeit bleibt bestehen. Andere Branchen, bei denen die Karten bereits neu gemischt wurden – etwa die Reise- oder Buchbranche – haben es vorgelebt: Disruption fand statt, vieles wurde neu gedacht, Touchpoints und Käufe wurden in die digitale Welt verlagert. Es gibt sie dennoch weiterhin: die persönlichen Touchpoints – jene, die dann wichtig sind, wenn der menschliche Faktor besonders gefragt ist. Im Gesundheitswesen wird das nicht anders sein.

Healthcare-Start-ups versprechen neue, digitale Impulse für den Markt. Im Gegensatz zum noch immer sehr analogen Gesundheitssystem – Stichwort: Faxgeräte – ist schon ihre DNA digital aufgestellt. Und sie können so auch viel genauer die Wünsche und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten adressieren. Ich gehe davon aus, dass es noch viele weitere Start-ups und junge Unternehmen geben wird, die durch Kooperationen, durch Akquisitionen oder durch ihre bloße Existenz das Gesundheitssystem disruptieren werden.

Digitale Nachhilfe im Healthcare-Markt

Bevor Missverständnisse entstehen: Die neuen Player nehmen den etablierten Institutionen nichts weg – im Gegenteil: Beide Seiten ergänzen sich. Denn überall dort, wo digitale Expertise gefragt ist, können Start-ups sie liefern und gezielt „Nachhilfe” geben – beispielsweise bei der digitalen Patient Journey. Und an den Stellen, an denen Start-ups notwendige medizinische Expertise brauchen, wird sie von Ärztinnen und Ärzten oder anderen Akteuren aus dem bestehenden Gesundheitswesen kommen. Auch der Zugang zu den sehr stark regulierten Märkten oder das Wissen über spezifische Prozessstrukturen kann nur von denjenigen kommen, die das seit Jahren kennen.

Der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg im Healthcare-Bereich ist die Offenheit und die Erkenntnis, dass es nicht mehr so weitergehen kann wie bisher. Disruption und Innovation sind dringend notwendig. Das Fenster der Möglichkeiten ist gerade offen. Beste Chancen also für Start-ups und junge Unternehmen ihre Spuren zu hinterlassen – und einen Beitrag für eine bessere Versorgung in unserem Land zu leisten.

Zur Person

Porträt von Sophie Chung

Dr. Sophie Chung

Dr. Sophie Chung hat 2015 das Start-up Qunomedical gegründet, durch das Patienten und Ärzte  sowie Kliniken weltweit zueinander finden können.

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30.09.2021
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