Kolumne von Fabian J. Fischer

Mittelstand: Digital-Kompetenz in alle Gremien

Immer mehr traditionelle Geschäftsmodelle verlieren an Boden. Die Lösung lautet vielfach: digitale Transformation. Doch bleibt es in vielen Familienunternehmen des Mittelstands bei einem Lippenbekenntnis, da ihnen zukunftsweisende Strategien fehlen – und personelle Digitalkompetenzen.

20.01.2021

In Wirtschaft und Verwaltung beschleunigt die Corona-Pandemie aktuell häufiger Change-Prozesse. Besonders in mittelständischen Familienbetrieben, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden und bislang überwiegend analog unterwegs waren, müssen viele – mentale – Hürden genommen und aufgelöst werden, um digitale Strategien erfolgreich umzusetzen.

Die Zeit drängt. Auch wenn die Einsicht zur digitalen Transformation bei vielen Unternehmern bereits zu erkennen ist, mangelt es ihnen an einem kompetenten Beratungsgremium mit weitreichender Erfahrung.

Kasten für die Kolumne von Fabian Fischer

Von analog auf digital – meist nur mit externer Hilfe möglich

Das Kernproblem – und damit stimme ich den Unternehmensexperten Peter May und Florian Heinemann zu – ist das fast sture Festhalten vieler Betriebe an alten, verjährten und überholten wirtschaftlichen Logiken. Digitalisierung und ihre Effekte bestimmen nicht nur die Art, wie wir unsere Produkte und Services an unsere Kund:innen bringen. Es geht vielmehr darum, wie wir tradierte Geschäftsmodelle vor dem Hintergrund beschleunigter Entwicklungen für die Zukunft neu ausrichten – insbesondere die Verlagerung bisheriger Wertschöpfungs-Logiken. Doch anscheinend bereiten diese Zusammenhänge alten Unternehmen gewisse Verständnis- und Einsichtsprobleme.

Es geht primär um die Frage: Wie sieht meine künftige Rolle in meiner Branche aus? Wie verdiene ich in der Zukunft Geld? Ja, digitale Prozesse machen Produktleistungen attraktiver, preiswerter und schneller – doch nur innerhalb eines begrenzten Zeitfensters.

Der Grund liegt auf der Hand: Digitalisierung reduziert aufgrund der immer schneller werdenden Informationsweitergabe die Halbwertszeit unserer Angebote massiv. May und Heimann legen in ihrem Beitrag den Finger in die Wunde, wenn sie auf eine fundamentale Veränderung hinweisen. Denn überdauerte in der Vergangenheit in Familienunternehmen drei Generationen ein in sich stimmiges Geschäftsmodell, muss man aktuell von einer Generation und gleichzeitig drei Modellen ausgehen. Nur dann kann ein Unternehmen heute dauerhaft erfolgreich sein.

Statt dem Wunsch nach Stabilität geht es in den neuen Märkten teilweise nur um schnelles Wachstum. Traditionelle Familienunternehmen benötigen jetzt digitale Expertise in vorderster Reihe. Nur so schaffen sie es, ein digitales Produktportfolio auf dem Markt zu platzieren, das nachhaltig attraktiv ist. Um diese Herausforderungen für sich positiv zu gestalten, müssen Familienunternehmen ihre Digitalkompetenz ausbauen – oder neu in ihre Beratungsgremien integrieren. International erfahrene Gründerinnen und Gründer, Digitalunternehmerinnen und Digitalunternehmer sowie Expertinnen und Experten gilt es nun vor allem außerhalb des eigenen Wirkungskreises für sich zu gewinnen.

Erfahrungen und Kompetenzen zählen – nicht das Alter

Familienunternehmen sollten bei der Zusammensetzung ihres Beirats nicht nur auf die Kompetenzen und Erfahrungen ihrer Digital Natives achten, sondern sich auch notwendigerweise von Mitgliedern in den Beiräten trennen, die eine Neuausrichtung hin zur Digitalökonomie nicht mittragen und an alten Modellen festhalten. Zu überlegen ist auch, ob Unternehmen besser mit einem extra gegründeten Digitalbeirat fahren, der sich ausschließlich um digitale Themen kümmert.

Illustration von Fabian Fischer
Fabian J. Fischer ist ein Hamburger Unternehmer, digitaler Vordenker und Investor. Als Founding Partner und CEO von Etribes verantwortet er die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens, das mittelständische Unternehmen und Dax-Konzerne bei den Herausforderungen der Digitalisierung berät. Fischer ist ebenso Co-Founder von Picea Capital, einem Evergreen Venture Capital Fund mit Fokus auf Early-Stage-Technologieunternehmen.

Mit einer neuen Zusammensetzung des Beirats ändert sich meist auch dessen Arbeitsweise und Rollenverständnis: Sie und ihre Mitglieder erwarten ein hohes Tempo, einen engmaschigen Abstimmungs-Workflow, digitales Dokumentenmanagement sowie Kommunikation auf Augenhöhe.

Auch sollten Chefinnen und Chefs nicht nur einen einzelnen Digitalexperten in den Beirat berufen. Vielmehr gilt es, ein Team zusammenzustellen, das sich nicht als Nachwuchs für die Digitalisierung versteht, sondern als integratives Entscheidungsgremium, das sich eng mit der Unternehmensführung abstimmt.

Einige Unternehmen machen das schon recht erfolgreich. Wie dies gelingen kann, zeigt zum Beispiel der Familienkonzern Oetker, der sein angestaubtes Image durch die Akquisition des Start-ups Flaschenpost – ein Getränklieferant als voll digitalisierter Logistiker – abgelegt hat. Schon vor vier Jahren baute die Oetker-Gruppe einen Digitalbeirat auf und übertrug ihm die Aufgabe, digitale Potenziale zu identifizieren. Unterstützung erhielt das Gremium durch ein weltweites Netz an Expertinnen und Experten, die mit ihren kritischen Blicken gewinnbringenden Input für die Weiterentwicklung lieferten – und es immer noch tun.

Fazit

Analoge Geschäftsmodelle ins Digitale zu überführen ist die eine Aufgabe. Die andere und zu Beginn entscheidende ist jedoch, mentale Hürden zu erkennen und zu überwinden.

Dem Mittelstand sollte es gelingen, sich neuer digitaler Logiken bewusst zu werden. Stabilität und vorsichtiges Wirtschaften sind nachvollziehbar – doch nur, wenn man alten Gesetzmäßigkeiten der industriellen Ökonomie folgt.

Digitalisierung bedeutet gleichzeitig Geschwindigkeit, kürzere Entwicklungszyklen und beschleunigte Informationsprozesse sowie eine komplette Verlagerung der Wertschöpfung des Geschäftsmodells. Wer nicht in den nächsten Gang schaltet, wird durch schnellere oder neue Marktteilnehmer überholt.