Lebensmittel

Eat smarter: Wie wir uns künftig ernähren

Wie können wir uns in Zukunft gesund und lecker ernähren und dabei gleichzeitig verantwortungsvoll mit unseren Ressourcen umgehen – vor allem auch mit Blick auf die wachsende Weltbevölkerung? Expertinnen und Experten aus der Branche zeigen Lösungen auf.

07.10.2021

Das aktuelle Ernährungsverhalten in der westlichen Welt – das ist in den Augen von Dr. Kerstin Burseg eines der größten Probleme. Die Lebensmittelchemikerin ist beim Europäischen Institut für Inno­vation und Technologie im Lebensmittelbereich (EIT Food) tätig, einer von der EU finanzierten Einrichtung. „Wir haben eine große Schere, die sich immer weiter öffnet. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die zu viel essen und adipös sind; auf der anderen Seite finden sich diejenigen, die nicht genug Essen haben, die unter- und mangelernährt sind“, sagt Burseg. Ein Problem, das sich verstärken wird, wenn die Weltbevölkerung – wie von den Vereinten Nationen prognostiziert – bis 2050 auf zehn Milliarden anwächst und wenn der Klimawandel nicht gestoppt wird.

Denn der Klimawandel werde die Lebensmittelproduktion in den nächsten Jahren vor Herausforderungen stellen, betont Dr. Thomas Engel. Der Agrar­wissenschaftler ist als Stratege für technologische Innovationen beim Landmaschinenhersteller John Deere tätig. „Wir haben mit zunehmenden Wetterkapriolen, Trockenheit oder Überschwemmungen zu kämpfen. Technologie bietet viele Möglichkeiten zu helfen, damit wir mit dieser Situation in Zukunft umgehen können und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel mit so wenig Einfluss wie möglich auf die Natur erzeugen können“, sagt Engel. Vielversprechende Ansätze gibt es bereits: Die Unkrauterkennung mithilfe von Kameratechnologie und Künstlicher Intelligenz gehören ebenso dazu wie eine Infrarotmessung der Inhaltsstoffe von Getreide im Mähdrescher. Dieser speist die Daten dann direkt in die Cloud ein und stellt sie der verarbeitenden Industrie zur Verfügung.

Urban Farming birgt Potenzial

Ein ganz konkretes Problem, das mit dem Bevölkerungswachstum zusammenhängt und den Klimawandel verschärft, sieht Clément Tischer in folgender Entwicklung: Der Point of Production – also der Ort, an dem die Lebensmittel angebaut werden – entfernt sich immer weiter vom Point of Consumption, also von dem Ort, an dem die Lebensmittel letztendlich konsumiert werden. Tischer ist Head of Innovation & Partnerships bei NX-Food, dem Innovation-Hub des Großhändlers METRO. „Wenn man die Lebensmittelverschwendung in Lieferketten sieht, ist das doch eine große Bedrohung. Ich denke da nur an die jährlichen Nach-Ernte-Verluste in Höhe von 1,2 Milliarden Tonnen. Hier gibt es viele Start-ups mit innovativen Lösungen, die den Point of Production und den Point of Consumption näher zusammenbringen wollen, was insgesamt zu weniger Verschwendung und weniger Treibhausgasemissionen führen würde.“

Auch Obst- und Gemüseanbau auf dem Dach des Supermarkts oder auf dem heimischen Balkon kann durchaus eine Lösung für dieses Problem sein. Großes Potenzial steckt für Dr. Peter Holl daher im Urban Farming. Er kümmert sich am Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik als Senior Manager um europäische Forschungsprojekte. „Urban Farming heißt, in Gebäuden unter vollkommen kontrollierten Bedingungen sehr regional und verbrauchernah Lebensmittel herzustellen. Ich glaube, das birgt großes Potenzial für die Metropolen dieser Welt, nicht nur in Europa“, sagt Holl. „Als weiteren Baustein hierzu brauchen wir Urban Processing, weil nicht alle Menschen immer nur frisches Obst und Gemüse essen wollen.“ Das hieße dann, dass Lebensmittel ohne langen Transport vor Ort weiterverarbeitet und damit konserviert werden. 

Alternative Proteinquellen nutzen

Für CO2-Ausstoß sorgen auch die Tierhaltung und Fleischproduktion. „Im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte werden wir uns mehr und mehr mit alternativen Proteinen auseinandersetzen – etwa Insekten, aus Zellkulturen gemachtem Fleisch oder 3-D-gedruckten Lebensmitteln“, sagt Burseg vom EIT Food.

Tischer sieht das ebenfalls so, wobei es Nachholbedarf gebe: „Wir hinken da in Deutschland hinterher. Zellkultiviertes oder Laborfleisch wird hierzulande noch argwöhnisch betrachtet. Singapur hat als erstes Land zellkultiviertes Fleisch erlaubt; in den USA wird es diskutiert.“ 

Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher spiele daher bei all den Neuerungen eine große Rolle – vor allem die Aufklärung über die Folgen des eigenen Essverhaltens für die Umwelt sowie für die eigene Gesundheit. 

An diesem Punkt setzt deshlab auch ein Projekt an, in das Tischer mit dem Innovation-Hub NX-Food eingebunden ist: Die Nutri-Box stellt dem Endkon­sumenten personalisierte Ernährungskonzepte zur Verfügung. „Das führt dazu, dass er evidenzbasierte Kaufentscheidungen treffen kann, die sich vor allen Dingen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken“, sagt Tischer.

Alternative Proteine stehen allerdings noch nicht in benötigter – und von der anwendenden Industrie gewünschter – Menge zur Verfügung, sei es für den tierischen oder menschlichen Verbrauch. Ein neuer Weg, um Protein­konzentrate zu erhalten, wird im Projekt TriboTec beschritten, das von EIT Food unterstützt wird. Dabei werden Proteinmehle aus bisher ungenutzten Nebenströmen trocken und physikalisch angereichert – nachhaltig und ohne Zusätze.

An verschiedenen Stellen ist die Wertschöpfungskette leider noch sehr fragmentiert. Da muss man fragen: Wie können wir alles transparenter machen und so auch die Lebensmittel verschwendung reduzieren.

Dr. Kerstin Burseg, EIT Food

Blockchain sichert die Nachhaltigkeit

Nicht zuletzt wird eines der Buzzwords der Digitalisierung eine große Rolle in der Lebensmittelindustrie spielen: die Blockchain. „An verschiedenen Stellen ist die Lebensmittel-Wertschöpfungskette leider noch sehr fragmentiert. Da muss man auch fragen: Wie können wir alles transparenter machen und so etwa die Lebensmittelverschwendung reduzieren?“, so Burseg.

Holl sieht in der Blockchain eine Chance für mehr Nachhaltigkeit: „Es wird im Handel immer wichtiger werden, dass auf jedem Zwischenstoff, Rohstoff oder Endprodukt ein Nachhaltigkeits-Label klebt. Wir brauchen Life-Cycle-Assessments, mit denen man den kompletten Herstellungsprozesses eines Lebensmittels betrachten kann und nicht nur die einzelnen Schritte. Der breite Einsatz der Blockchain wird helfen, die Gesamtnachhaltigkeit des Lebensmittels darzustellen und zu steuern.“