Viele Menschen halten Häfen für die aufregendsten Orte überhaupt. Mir geht es genauso. Ein Hafen verbindet Welten. Waren kommen in Containern an, oder sie beginnen ihre Reise. Menschen steigen in große und kleine Schiffe, verabschieden sich von ihren Freunden und Verwandten – voller Vorfreude auf das, was sie draußen hinterm Horizont erwartet. Gleichzeitig kommen Menschen an und schauen sich neugierig um.
Hafen bedeutet: Gesichter, Maschinen und tausend Sprachen – begleitet vom Geräusch des Wassers, das an die Kaimauern klatscht, und vom Geschrei der Möwen.
Kann ein Hafen leise sein?
Das klingt etwas romantischer als die Realität, ich weiß. Der Hafen heute, vor allem ein Großhafen wie in Hamburg, der 40 Millionen Tonnen Massengut im Jahr umschlägt und dabei so nah an der Innenstadt liegt wie kein anderer auf der ganzen Welt, bietet noch das glatt gegensätzliche Erlebnis: Tausende Lastwagen, die Millionen großer, knarzender Container von A nach B und dann nach C karren. Dazu das Quietschen der riesigen Kräne und das Dröhnen der Schiffe, die ihre Motoren nicht abschalten können. Über 7.000 Schiffe laufen den Hamburger Hafen während eines Jahres an, und in den meisten Fällen transportieren sie große Container.
Meine Vision ist trotzdem der leise, saubere Hafen. Wenn ich an 2030 denke, erkenne ich beim Blick aus meinem Bürofenster überall Fortschritt. Und dann trete ich ins Freie und rieche wieder die Pflanzen und Kräuter. Es ist auch alles leiser geworden. Und sauberer. Das Erlebnis Hafen ist intensiver geworden.
Fortschritt und Natur und Ruhe – das ist kein Widerspruch. Ich möchte 2030 die Möwen hören können, weil sie nicht mehr von Maschinen übertönt werden, denn diese Maschinen summen jetzt. Weniger Lastwagen als heute fahren leere Container unnütz durch dieGegend, und wenn: dann elektrisch und emissionsfrei. In meiner Hafenwelt 2030 ist alles besser.
Das größte Industriegebiet Deutschlands – mitten in der Stadt
Vielleicht denkt der eine oder andere Leser dieser Zeilen jetzt: „Was schreibt der Chef des drittgrößten Hafens in Europa da eigentlich gerade? Der interessiert sich doch vor allem für Umsatz und sonst nichts.“
Falsch. Wir sind schon dabei, diese Vision umzusetzen. Auch wenn das ein ambitioniertes Vorhaben ist, denn der Hamburger Hafen ist riesig. Größer als ganz Leverkusen, Oberhausen oder Fürth. Der Hafen belegt 14 Prozent der gesamten Stadtfläche Hamburgs und ist außerdem das größte zusammenhängende Industriegebiet Deutschlands. Das wissen die wenigsten. Hier bei uns entsteht auf 80 Quadratkilometern die Zukunft. Da gibt es viel zu tun.
Mehr als Science-Fiction: „Echo1“, die Drohne in der Elbe
Ein Beispiel: Drohnen. Wir kennen sie ja heute eher als Flugobjekte. Nicht immer ganz zuverlässig funktionierende übrigens, diese Erfahrung machen passionierte (Hobby-)Fotografen besonders schmerzlich, wenn sie mit Flügen über die Elbe experimentieren und dabei die Kontrolle über ihre ferngesteuerten Fluggeräte verlieren, was nicht selten passiert.
Die abgestürzten Drohnen sind im Wasser nicht mehr zu gebrauchen, und das unterscheidet sie von unseren schwimmenden Drohnen. Ja, die gibt es wirklich. Autonome Überwasserfahrzeuge mit bester Software helfen, Probleme zu lösen, die bisher nur schwer und zeitaufwendig lösbar waren:
- das schnelle und zuverlässige Überwachen der Wassertiefen
- der Check des Zustands der Kaimauern
- das Checken von Baggerarbeiten am Elbgrund, der sich wegen Sedimentabtrieb permanent verändert
Das alles nur mit Menschen und Schiffen zu regeln ist sehr aufwendig, es kostet gigantische Summen und Energie. Also optimieren wir: „Echo1“ ist das erste halb automatische Drohnen-Boot im Hamburger Hafen. Die Drohne schwimmt und macht dabei (Sonar-)Bilder, die Software vergleicht dann aktuelle Fotos mit älteren, erkennt Veränderungen und schafft Handlungsfelder.
Was Drohnen noch nicht können
Diese Technologie ist spannend, kann aber noch reifen – denn irgendwann sollen Drohnen auch unter Wasser ihr Potenzial ausschöpfen können. Dafür ist aber ein Problem noch nicht gelöst: Drohnen können unter Wassser nicht kommunizieren, sie müssen dazu immer wieder auftauchen. 2030 wird das anders sein.
Drohnen sind ein Teil unserer Zukunft. Sie sind leise, günstig, effektiv. An anderen Orten im Hafen, etwa an der Köhlbrandbrücke, über die täglich 20.000 Lastwagen fahren und die deshalb ständig auf ihren Zustand überprüft werden muss, übernehmen solche Aufgaben die fliegenden Schwestern von „Echo1“. Und unten spähen Bodendrohnen. „Spot“ etwa, unser 100.000 Euro teurer Drohnenhund, wie wir ihn nennen, kann klettern und sich bewegen wie seine tierische Entsprechung. „Spot“ kommt an Orte, die ein Mensch nur mit Mühe erreicht. Er ist schneller, zuverlässiger und inspiziert den Zustand der Brücke an ihrer Basis. „Spot2“ ist übrigens schon in Planung.
Mit neuen Technologien gegen den Fachkräftemangel
Der Hamburger Hafen ist 2030 digitaler und automatischer als heute. Das ist gut – und das hilft uns, die Vision vom leisen, nachhaltigen Hafen zu erreichen.
Digitalisierung soll übrigens nicht dafür sorgen, dass wir Arbeitsplätze einsparen, sondern dass Arbeitsplätze, für die wir schon heute kein Personal mehr finden, auf andere Weise besetzt werden können.
Ein Beispiel: Während unsere Erwartungen an den Containertransport täglich steigen, finden wir keine Lastwagenfahrerinnen und -fahrer, Lokführerinnen und -führer, Busfahrerinnen und -fahrer mehr. Wir stehen unter Innovationsdruck, also stürzen wir uns ins Abenteuer autonomes Fahren. Das Potenzial ist riesengroß und das Konfliktrisiko gering: Wir rationalisieren ja keine Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer weg; wir rationalisieren das Problem weg, dass es zu wenige davon gibt.
Technologie und Fortschritt, das ist im Hamburger Hafen Tagesgeschäft. Und Innovationsdruck bedeutet etwas Gutes. Wenn deutsche Ingenieurinnen und Ingenieure unter Innovationsdruck standen, waren sie schon immer am besten, finde ich.
Ich sehe diese Innovation schon heute überall im Hafengebiet. Ob es nun das Unternehmen ist, das sich mit dem perfekt passenden Schuh beschäftigt und ihn per 3-D-Drucker herzustellen versucht. Oder die Firma, die in Circular Economy, also Recycling, investiert, das auch für Häfen immer wichtiger wird. Wir werden künftig unseren ganzen Müll auseinandersortieren müssen, um ihn neu nutzen zu können. Das Lithium muss aus der alten Batterie, die Porzellantasse aus dem Gelben Sack. Der ganze Hafen steckt voller Zukunft. Und damit zurück zu den Möwen.
Landstrom nutzen, um nachhaltiger zu werden
Ein Schiff, das im Hamburger Hafen liegt, braucht Energie. Viel Energie. Und Energie kann sehr laut sein, leider. Große Kreuzfahrtschiffe verbrauchen rund 150 Tonnen Diesel pro Tag, und sie lassen ihre Maschinen nach dem Anlegen am Terminal weiterlaufen, weil sie an Bord Strom brauchen. Dasselbe gilt für die großen Frachtschiffe und ihre Kühlcontainer, die ja nach dem Anlegen weiter betrieben werden müssen, damit die Kühlketten halten.
Viele Menschen fordern zu Recht: Sobald ein Schiff den Hafen anläuft, muss es mit Landstrom betrieben werden. Landstrom ist vergleichbar mit einer gigantischen Steckdose. Er ist umweltfreundlicher als Diesel und leiser sowieso. Ihm gehört die Zukunft. Aber wieder einmal ist alles viel komplizierter als nur: ein Schiff kommt an, nimmt sich unsere Steckdose – Problem gelöst.
70 bis 80 Prozent der Schiffe, die in Hamburg anlegen, haben nämlich ein US-Bordnetz mit 60-Hertz-Standard. Das deutsche Netz hat 50 Hertz. Die Stromversorgung eines Schiffs muss jedoch synchron laufen und darf nie unterbrochen werden. Sonst ist das Schiff lahmgelegt, und das kann dann ein teurer Spaß werden.
An solchen Problemen arbeiten wir seit Jahren unter Hochdruck. Wir wollen, dass alle Schiffe nach der Ankunft auf Landstrom umschalten. Und der Hamburger Hafen ist sogar Pionier auf diesem Gebiet: Die erste Hamburger Landstromanlage ging in Kooperation mit Siemens schon 2016 in Betrieb. Eines unserer Ziele lautet: Noch vor 2030 sollen alle drei Kreuzfahrtterminals so arbeiten. Das bedeutet dann: mehr Nachhaltigkeit, weniger Lärm. Und mehr Möwe.
Elektrifizierung als großes Zukunftsthema
Der Großhafen Hamburg wird 2030 leiser, natürlicher, effizienter funktionieren. Das ist mein Ziel. Er wird noch wirtschaftlicher sein und schlauer als heute. Künstliche Intelligenz sorgt zum Beispiel dafür, dass viele nutzlose Lkw-Container-Transporte, wir nennen sie Leerfahrten, zwischen unseren vier großen Containerterminals entfallen. Und dass immer mehr dieser Lkw mit Wasserstoff fahren.
Elektrifizierung ist eines der großen Zukunftsthemen für uns, wenn nicht das größte. Der erste Test mit 25 voll elektrischen Zugmaschinen startete schon 2022. Und irgendwann sollen sie alle elektrisch fahren, unsere Lastwagen, unsere Gabelstapler. Oder eben: mit Wasserstoff.
Das heißt dann eines Tages: kein nagelnder Diesellärm mehr. Ich bin sicher: Bis 2030 werden wir viel weiter sein, als wir heute denken. Ich rieche schon die Gewürze in den Lagerhallen des Hafens.