Wie sind Sie in die Gespräche mit Ihren Mietern im Lockdown gegangen?
Andreas Hohlmann: Wir sind fest von der Idee der Schicksalsgemeinschaft von Mietern und Vermietern überzeugt, die partnerschaftlich und auf Augenhöhe agieren. Letztlich steht für beide das wirtschaftliche Wohl im Vordergrund. Anders als für die Händler selbst, die Teile ihrer Umsatzverluste über das Online-Geschäft ausgleichen können, besteht für Besitzer von Handelsimmobilien wie uns jedoch keine Möglichkeit zum Ausgleich entgangener Miet- und Nebenkostenzahlungen. Eine faire und angemessene Risikoverteilung muss daher das Ziel sein. Wir orientieren uns am Verhaltenskodex des Handelsverbands HDE und des ZIA. Dieser umfasst eine Handlungsempfehlung mit dem Ziel einer partnerschaftlichen Teilung der Lasten und einer Mietreduzierung in den gewerblichen Mietverhältnissen von im Regelfall 50 Prozent für den Lockdown-Zeitraum. Über diese Richtschnur gehen wir jedoch weit hinaus – mit Blick sowohl auf die Höhe als auch die Dauer der Reduzierungen. Wir verfolgen eine individuelle Einzelbetrachtung jedes einzelnen Mietvertrags in jedem einzelnen Asset. Es gibt kein Gießkannenprinzip, sondern maßgeschneiderte Vereinbarungen.
Wie sieht das im Detail aus?
Hohlmann: Wir betrachten die Situation jedes Mietpartners. Insgesamt geht es bei URW in Deutschland um circa 3.500 Mietverträge. Wir konzentrieren uns in den Gesprächen nicht nur auf die Geschäftsschließungen, sondern auch auf Umsatzentwicklungen oder das Verhältnis von Online- und Offline-Umsätzen. Natürlich brauchen Mietpartner in den Bereichen Gastronomie sowie Freizeit und Unterhaltung mehr Unterstützung als Branchen, die weniger stark betroffen sind – wie beispielsweise der Lebensmitteleinzelhandel, Drogerien oder Anbieter, die während der Coronakrise erhebliche Zuwächse im Online-Geschäft verzeichnen. Insbesondere kleinere Gastronomen, Fitnesscenter, Kinos et cetera fördern wir in der Regel deutlich länger und umfangreicher. Für diese war ja mitunter über Monate hinweg kein oder kaum Geschäft möglich. Gerade hier ist partnerschaftliches Agieren gefragt. Denn anders als im Ausland sind Mieter und Vermieter in Deutschland doch stark auf sich selbst gestellt.
Dennoch können Sie als Ihren Shareholdern verpflichtetes Unternehmen Mietern nicht nur entgegenkommen. Was erwarten Sie im Gegenzug?
Hohlmann: Sowohl Mieter als aus Vermieter haben ihre Verpflichtungen, auch wir als börsennotiertes Unternehmen. Genau wie bei vielen anderen gelisteten Immobilienfirmen stehen als Investoren hinter URW viele Pensionskassen und Versicherungen, also Vermögensverwalter, die Geld von Kleinanlegern etwa für die Altersvorsorge verwalten. Immobilien sind in der Regel Investitionen, die sich über Jahrzehnte nachhaltig rechnen. Daher ist es für URW ein zentrales Anliegen, langfristige Lösungen für die von uns betriebenen Standorte zu finden. Ohne kontinuierliche Mietzahlungen, also die Einnahmen der Immobilienunternehmen, werden jedoch die zwingend notwendigen fortlaufenden Investitionen in die Assets erheblich gebremst.
Welche wären das?
Hohlmann: Es geht hier um die Förderung von Nachhaltigkeitsstandards, zum Beispiel energetische Gebäudesanierungen, oder die Implementierung modernster Technologien wie Omnichannel-Systemen oder smarten Logistik-Plattformen. Auch Investitionen in die Innen- und Außenarchitektur, in Services oder die Mobilitäts- und Verkehrsinfrastruktur müssen fortlaufend getätigt werden. Letztlich leisten diese Investitionen der Immobilieneigentümer einen Beitrag, um die Qualität der Standorte zu heben, Leerstände zu vermeiden und die Attraktivität städtischer Räume zu erhalten und zu stärken. Um zu den Gegenleistungen zu kommen: Wir zielen in unseren Gesprächen mit den Mietpartnern darauf ab, beiderseitig die Langfristigkeit der Partnerschaft festzuhalten und die Attraktivität des Standorts zu stärken. Seitens der Mietpartner kommen dann zum Beispiel Store-Modernisierungen oder die Implementierung neuester Shoppingkonzepte infrage.
Natürlich gibt es auch staatliche Unterstützungsmaßnahmen. Doch darüber hinausgedacht: Was kann die Politik strukturell für den stationären Handel tun?
Hohlmann: Es gibt verschiedene zusätzliche Hebel, die der Branche helfen würden. Angefangen bei einer faireren Lastenverteilung unter Beteiligung des Staates bis zum Ausdehnen der bisherigen Hilfen über die Gastronomie hinaus auf den gesamten Handel – einschließlich zügiger Auszahlung. Zudem ist mehr Flexibilität entscheidend. Das gilt vor allem für die Um- oder Nachnutzung von Einzelhandelsflächen. Viele Bebauungspläne für Handelsimmobilien beruhen auf Einzelhandelsgutachten, die teilweise 30 Jahre oder älter sind. Das Erstellen und Genehmigen von Änderungen in diesen Plänen dauert üblicherweise Jahre – der Klick im Internet, häufig sonntags, dauert nur Millisekunden. Unseres Erachtens sollten die Genehmigungsverfahren zu Verkaufsflächen und Warengruppen oder zugelassenen Nutzungen erheblich beschleunigt und flexibilisiert werden. So ließen sich schneller moderne und Erfolg versprechende Nutzungsmixe planen und dann auch baulich realisieren. Ein zweites Thema stellen nach wie vor verkaufsoffene Sonntage dar. Das Internet hat 24/7 geöffnet. Es geht hier nicht um eine maßlose Öffnung, aber ein verlässliches und gerichtlich standhaftes Paket an verkaufsoffenen Sonntagen mit vier bis sechs Stunden Öffnung wäre sehr hilfreich.
Und was kann der Einzelhandel selbst tun?
Hohlmann: Er muss sich weiter transformieren. Wir sind für Wettbewerb und möchten die digitale Transformation vorantreiben. Aber vor dem Hintergrund der Coronakrise ist der stationäre Handel bald ein Jahr lang stark beeinträchtigt und teils gelähmt, während der Online-Handel rapide wachsen kann. Es entsteht durch die staatlichen Eingriffe eine extreme Ungleichbehandlung, die keinen Wettbewerb fördert, sondern eine dominantere, marktbeherrschende Stellung der ein, zwei weltweiten Online-Händler.
Wie wollen Sie dagegen ansteuern?
Hohlmann: Es gilt, durch Anstrengungen des Staates einerseits und von Händlern sowie Handelsimmobilienbetreibern andererseits, für stationäre Händler neue digitale Vertriebsformen zu etablieren. Diese dürfen dann nur nicht darin münden, dass ein starker Online-Anbieter mit Monopolcharakter immer stärker wird, sondern es müssen intelligente Lösungen geschaffen und über den gesamten Einzelhandel ausgerollt werden. Diese würden es den Händlern ermöglichen, von digitalen Vertriebswegen zu profitieren, aber zugleich ihre stationäre Position zu stärken. Omnichannel-Modelle inklusive Ship-from-Store- und Click-&-Collect-Komponenten sind hier die Stichwörter. Die Zukunft liegt in solchen Kombi-Modellen. Der stationäre Handel mit seinen Stores, wo Marken erlebbar und greifbar werden, bildet dabei das Rückgrat.
Können Sie hier konkrete Beispiele nennen?
Hohlmann: URW ist beispielsweise im Frühjahr eine Kooperation mit Zalando über deren Plattform Connected Retail eingegangen. Die Vorteile: Wir bieten dadurch unseren Mietpartnern an, sich mit den stationären Warenbeständen an die Zalando-Plattform anzudocken und somit den Umsatz in den Stores zu erhöhen. Hier gilt wieder das gleiche Motiv der Schicksalsgemeinschaft. Zudem werden in der Logistik Wege verkürzt. Ship-from-Store ist der erste Schritt, der nächste dann Click & Collect. Shoppingcenter werden – nicht zuletzt durch die Herausforderungen der „letzten Meile“ – auch viel stärker in Richtung Logistik entwickelt werden müssen. Solche Lösungen im Rahmen der digitalen Transformation begleiten und ebnen den Weg des Einzelhandels in eine erfolgreiche Zukunft.
Richten wir den Blick nach vorn. Wie sieht die Zukunft des Einzelhandels in den Innenstädten aus?
Hohlmann: Schon vor Corona steckten die Innenstädte in einer Transformation. Je nach Standort oder Stadt steigen die Leerstände, große Kaufhausimmobilien stehen leer, es fehlt vielerorts an attraktiven Nutzungen neben dem klassischen Einzelhandel. Es müssten mehr Gastronomie, mehr Freizeitmöglichkeiten und stärker differenzierte Nutzungsmixe in den Innenstädten Einzug halten. Die großen Trends sind nun mal Gesundheit, Fitness und Well-Being – zudem erlebnisorientierte Gastronomie sowie Freizeit, Kultur und Unterhaltung. Gerade das kulturelle Angebot der klassischen Innenstädte – Museen, Theater, Musicals – sollte viel mehr in den Fokus gerückt werden. Spannende Konzepte aus diesen Feldern müssten auch enger mit Wohnen und Büros vernetzt werden – direkt in den Innenstädten. Die in der Stadtplanung über Jahrzehnte hinweg verfolgte Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit muss aufgehoben werden. Die Bereiche müssen enger zusammenwachsen. Immobilien-Neuentwicklungen und Nachverdichtungskonzepte sollten dann allesamt in diese Richtung gehen.
Eine Mixed-Use-Logik, die Sie im Westfield Hamburg-Überseequartier gerade versuchen umzusetzen.
Hohlmann: Ja. In der Hamburger HafenCity direkt an der Elbe werden Einzelhandel, verschiedene Unterhaltungskonzepte, unter anderem ein Kino, und über 40 Gastronomie-Einheiten fein abgestimmt mit insgesamt 650 Wohnungen, Büros, drei Hotels sowie einem Kreuzfahrt-Terminal verbunden. Wir investieren bis zur Fertigstellung in der zweiten Jahreshälfte 2023 über eine Milliarde Euro. Aber auch die Ende 2020 abgeschlossene Modernisierung und Repositionierung des Nachbarschaftscenters WILMA in Berlin geht in diese Richtung. Der Fokus lag auf einer Stärkung des Charakters als Nahversorgungscenter – inklusive einer neuen, 1.000 Quadratmeter großen Markthalle. Wichtig war auch, die Segmente Mode und Sport noch attraktiver zu machen sowie WILMA als sozialen Treffpunkt zu verankern – mit Community-Café und Bürgeramt direkt im Center. Mit den Riem Arcaden in München oder dem NordWestZentrum in Frankfurt am Main betreiben wir zudem bereits gemischt genutzte Stadtquartiere. Das Centro in Oberhausen geht mit seinen Unterhaltungs-, Kultur- und Gastronomieangeboten ebenso weit über den klassischen Einzelhandel hinaus. Solche Nutzungsmixe sind in Kombination mit fortschrittlichen Konzepten im Rahmen des digitalen Wandels die Zukunft des Einzelhandels und der Innenstädte.