Eine Frau steht mit einem iPad in einer Industriehalle
10.12.2021    Miriam Rönnau
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Wenn einmal ein Bauteil fehlt – etwa aufgrund pandemiebedingter Nachfrageüberhänge und Lieferengpässe –, wa­rum es dann nicht einfach weglassen und das Kommunikationsgerät kurzerhand umdesignen? Vor allem wenn der ursprüngliche Kundennutzen dadurch nicht beeinträchtigt wird? Aus dem Mund von Ralf Lueb, Senior Vice President of Global Sales bei Gigaset, klingt die Problemlösung denkbar einfach. Zu simpel? Nein. Zumindest dann nicht, wenn die gesamte Produktion dieses Geräts in Deutschland stattfindet. Welche Effekte das in Zeiten wie diesen mit sich bringt, erklärt Lueb im Interview.

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Zur Person

Porträt von Ralf Lueb

Ralf Lueb

ist Senior Vice President of Global Sales bei Gigaset, einem Anbieter von Kommunikationstechnologie

Sie sitzen in Bocholt in Nordrhein-Westfalen. Vielen Mitbewerbern dagegen scheint Deutschland als Produktionsstandort zu teuer zu sein. Wie gelingt es Ihnen, kostenseitig wettbewerbsfähig zu bleiben?

Ralf Lueb: Wir setzen nicht erst seit heute ganz stark auf Automatisierung und bieten ein breites Portfolio an. Wir produzieren nicht nur Telefone und Smartphones, sondern über 1.600 verschiedene Artikel. Das hat Effizienz-Vorteile. Und für den Standort gilt: Wir sind nicht auf die globalen Lieferketten angewiesen. Die gesamte Wertschöpfungskette und Produktentwicklung findet in Bocholt statt – Design, Fertigung et cetera. Das ist nicht nur nachhaltiger, sondern gibt uns die Möglichkeit, relativ schnell und flexibel auf Kundenbedürfnisse zu reagieren. Dazu nutzen wir die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine.

Sie haben das Stichwort Nachhaltigkeit genannt. Was verbinden Sie mit dem Begriff?

Lueb: Nachhaltigkeit muss man aus zwei Perspektiven begreifen: die Umwelt auf der einen, die ­soziale Verantwortung auf der anderen Seite. Beide Dimensionen berücksichtigen wir. Neben verkürzten Lieferketten setzen wir am Standort etwa auch auf CO2-Einsparung und übernehmen Verantwortung für die Arbeitsplätze unserer Mitarbeitenden.

Zurück zur Mensch-Maschine-Kollaboration: Viele bangen im Zuge des technologischen Fortschritts und zunehmender Automatisierung um ihren Arbeitsplatz. Wie gehen Sie die Sorgen vor dem Hintergrund Ihrer sozialen Verantwortung an?

Lueb: Da wir in Deutschland produzieren, müssen wir stetig das Produktionsgeschehen effizient den Rahmenbedingungen anpassen. Das hat aber auch Vorteile für Mitarbeitende, denn diese wissen, was es braucht, um ein Gerät vom Start bis zum Finish selbstständig herstellen zu können. Aus den einzelnen Teilschritten wird mittels Automatisierung ein fertiges Produkt, das der Angestellte am Ende des Tages in der Hand halten kann. Das ist ein Erfolgserlebnis. Klar ist aber auch, dass sich Mitarbeitende weiterentwickeln müssen. Manche, die vorher in der Fertigung aktiv waren, sind jetzt vielleicht im Produktdesign tätig. Hier wiederum profitieren sie davon, dass sie genau wissen, was die Maschinen tun.

Zahlreiche Unternehmen wurden durch Corona genötigt, ihre Kommunikationsinfrastruktur zu modernisieren. Wie hat der Boom auf Ihr Geschäft gewirkt?

Lueb: Um Homeoffice zu ermöglichen, werden derzeit in Deutschland mehrere Milliarden in den Glasfaser-Breitbandausbau investiert. Natürlich braucht die Heimarbeit auch Equipment zur Kommunikation. Das läuft vielerorts nicht mehr unbedingt per Telefon, sondern über Zoom, Microsoft Teams, Webex und Co. Daher haben wir etwa ein tragbares Gerät mit Freisprechfunktion entwickelt. Es wird via DECT-Chip an den Rechner angeschlossen. Damit können Anwenderinnen und Anwender sich im ganzen Haus bewegen, Gespräche annehmen, an Konferenzen teilnehmen. 

Welche weiteren Effekte hatte die Pandemie auf Sie?

Lueb: Natürlich hat Corona die Digitalisierung beschleunigt, aber noch interessanter für uns ist, dass die Pandemie insgesamt einen Kommunikationsboost ausgelöst hat. Durch Homeoffice und Remote Work ist Sprache wieder viel stärker ins Zentrum des Geschehens gerückt. Das Festnetztelefon hat etwa eine Renaissance erlebt. Wir konnten die Nachfrage kaum bedienen und sind an Kapazitätsgrenzen gestoßen.

Hinzu kommt, dass uns hierzulande aufgezeigt wurde, wie labil Lieferketten sein können.

Lueb: Richtig. Hier lag unser Vorteil darin, dass wir alles an einem Standort managen konnten. Wenn uns für ein bestimmtes Gerät ein Bauteil gefehlt hat, konnten wir das Device intern umdesignen und ein neues entwickeln. Dabei wurde dann vielleicht eine ­Funktion weggelassen, das Gerät entsprach aber dennoch voll dem Kundennutzen. So konnten wir die pandemiebedingte hohe Nachfrage am Ende doch abdecken.

Dennoch: Auch Sie benötigen für Ihre Produkte Halbleiterchips. Und die sind seit geraumer Zeit Mangelware. Wie wirkt sich das auf Ihre Produktion aus?

Lueb: Mangel heißt nicht, dass man nichts hat, sondern nur, dass ein Teil fehlt. Das eben genannte Beispiel bestätigt das. Beim Thema Halbleiterchips ist das nicht anders. Wir haben Kunden gefragt, ob sie das so wirklich brauchen oder ob wir es nicht einfach weglassen könnten. Schließlich kann man auch via Bluetooth Geräte connecten. Die Technologie ist in unseren DECT-Telefonen verbaut. Dessen ungeachtet funktioniert natürlich auch unser Supply-Chain-Management. Sprich: Wir haben die Situation frühzeitig erkannt und unsere Lagerkapazitäten aufgestockt. Und hier hatten wir ebenfalls einen Vorteil: Es ist ein Riesenunterschied, ob nur ein kleiner Chip von dort, wo er produziert wird, eingeflogen oder ob ein ganzes Telefon in einem Schiffs­container hierher transportiert werden muss.

Ist das klassische Telefon in Zeiten der Cloud-Telefonie nicht bald Geschichte?

Lueb: Richtig ist: Im Zuge der Verlagerung ins Homeoffice beschäftigten sich viele Unternehmen mit dem Thema Cloud-Telefonie und investieren entsprechend. Doch auch künftig wird es unterschiedliche Bedürfnisse und demnach unterschiedliche Lösungen geben. Homeoffice-Mitarbeitende wollen sich zu Hause vielleicht frei bewegen und Cloud-Telefonie mit einem gewissen Bewegungsradius nutzen. Andere arbeiten im Büro und erwarten eher ein Gerät, das Nebengeräusche herausfiltern kann. Der mobil Tätige hingegen setzt aufs Smartphone. Für all das bieten wir Devices. Und was wir nicht vergessen dürfen: Restaurants, Friseure und viele andere wollen auch künftig vor allem über das Festnetz kontaktiert werden.

Welchen Stellenwert räumen Sie dem Thema Innovation insgesamt ein?

Lueb: In den letzten eineinhalb Jahren lag natürlich extrem viel Dynamik in diesem Thema. Wir haben uns auch stärker auf den B2B-Markt fokussiert. Das Thema Cloud-Telefonie ist dabei in der Tat spannend, weil es noch in den Kinderschuhen steckt. Aktuell geht man davon aus, dass der Markt von 18 Prozent in den kommenden zwei Jahren auf 20 bis 25 Prozent wachsen wird. Darauf wollen wir natürlich auch produkt­seitig vorbereitet sein. 

Ist Innovation für Sie demnach eher die graduelle Verbesserung bestehender Lösungen und weniger die Disruption?

 Lueb: In den letzten Jahren waren wir damit erfolgreich, den Markt weiterzuentwickeln und frühzeitig Trends aufzuspüren. Ich sehe uns also in der ­logischen Weiterentwicklung im Zusammenspiel mit unserer Kundschaft und deren Anforderungen.

10.12.2021    Miriam Rönnau
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