Künstliche Intelligenz

ChatGPT: Startschuss für die nächste digitale Revolution

Mit dem Chatbot ChatGPT von OpenAI ist angewandte Künstliche Intelligenz im (unternehmerischen) Alltag angekommen. Wie die Technologie als Multiplikator genutzt wird, warum Menschen sie annehmen statt fürchten sollten und welche Probleme damit gelöst werden könnten, erklärt Mitentwickler Greg Brockman.

06.06.2023

Hundert Millionen User nur zwei Monate nach der Veröffentlichung im November 2022 – die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Anwendung ChatGPT-3 bricht alle Rekorde. Zum Vergleich: TikTok benötigte nach dem Erscheinen im Jahr 2016 rund neun Monate für diese Benchmark, bei Facebook hat es satte viereinhalb Jahre gedauert.

Das Erfolgsgeheimnis des Prototyps eines KI-Chatbots, der Text in natürlicher Sprache versteht und erzeugt, ist selbst für seinen Erfinder Greg Brockman nicht ganz klar: „Wir denken viel darüber nach. Wir hatten die Technologie bereits ein Jahr zuvor geschaffen“, verriet der Mitgründer von OpenAI LP, dem US-amerikanischen Unternehmen hinter ChatGPT, in einer Keynote auf dem „South by Southwest“-Festival in Texas im März dieses Jahres.

Fokus auf praktischen Nutzen des Tools

Anders als zum Beispiel bei unausgereiften Vorgängermodellen habe man mehr Arbeit in die praktische Anwendbarkeit investiert: „Wir haben ein supereinfaches Interface gebaut und es allen kostenlos zur Verfügung gestellt.“ Brockmans größte Erkenntnis: ChatGPT habe erstmals einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, was mit Künstlicher Intelligenz möglich sei.

Als ein Vorbote diente dafür das bereits im November 2022 veröffentlichte Programm DALL-E, das mithilfe künstlicher neuronaler Netzwerke aus Textbeschreibungen Bilder erzeugt. „Es ist nicht mehr Science-Fiction, sondern heute schon einsetzbar“, bringt es Brockman auf den Punkt.

Doch was kann ChatGPT überhaupt alles? Der KI-Chatbot erstellt Beiträge in sozialen Netzwerken, verfasst Seminararbeiten, schreibt Drehbücher für Videos und unterstützt sogar Missbrauchsopfer in Gerichtsprozessen, wenn sie sich keinen Anwalt leisten können. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Anwendungsmöglichkeit von ChatGPT Schlagzeilen macht. „Normalerweise haben es Technologien anfangs schwer, angenommen zu werden: Das Geschäft muss geändert werden, keiner weiß, wo es reinpasst“, meint Brockman. Für KI im Allgemeinen und Sprachanwendungen im Besonderen sei das hingegen anders: „Jedes Unternehmen ist bereits ein Sprachen-Geschäft; jeder Ablauf ein Sprachen-Ablauf“, sagt Brockman. Füge man nun nur ein bisschen an Wert, hier in Form von KI, hinzu, dann wolle es jeder haben. „Das ist die Grundlage für die Akzeptanz und den Enthusiasmus.“

Eher Multiplikator als Assistenz

Am häufigsten wird ChatGPT derzeit noch beim Erstellen von Texten oder als Chatbot im Kontakt mit Kundinnen und Kunden eingesetzt. Laut Brockman ist das Potenzial der KI damit allerdings bei Weitem nicht ausgeschöpft: „Für mich sind die Anwendungsfälle interessant, in denen Menschen sie als kognitives Hilfsmittel einsetzen. Zum Beispiel, um klarer zu denken und mit anderen zu kommunizieren.“

ChatGPT funktioniert dann als „Intelligenz-Multiplikator“. So kann die Technologie beispielsweise helfen, E-Mails in einer Fremdsprache zu verfassen. Ein anderes Einsatzfeld sei zum Beispiel die Schulung von Mitarbeitenden, etwa um Informationen und Quellen schneller zu identifizieren und Unterlagen zusammenzustellen.

Gleichzeitig sei die KI auch ein „Ideen-Multiplikator“, der Menschen zur Inspiration verhilft und neue, kreative Wege eröffnet. Ob neue Blogpost-Themen oder sogar schon ganze Artikel samt Keywords, die Agenda für das nächste Meeting oder auf Algorithmen und Daten basierende strategische Entscheidungsvorschläge – übertragen auf den Unternehmenskontext sind die Einsatzmöglichkeiten vielfältig. „Hier kann Generative KI wirklich glänzen“, fasst Brockman zusammen. „Sie gibt dir Ideen und ist eine Assistenz, die bereit ist, rund um die Uhr zu tun, was immer du willst.“

Wer macht künftig welchen Job?

Noch ist diese Assistenz in der Mehrheit von Deutschlands Unternehmen zwar nicht „engagiert“, 17 Prozent planen jedoch bereits den Einsatz. Das ergab eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom im April dieses Jahres. Weitere 23 Prozent können sich die Nutzung vorstellen, und 56 Prozent sehen in der KI zur Textgenerierung die größte digitale Revolution seit dem Smartphone. 40 Prozent glauben sogar, dass dadurch bestimmte Berufe nicht mehr gebraucht werden.

Für Content-Manager und andere Jobs, in denen menschliche Fähigkeiten wie kritisches Denken, Urteilsvermögen oder strategische Entscheidungsfindung nicht gefragt sind, sei das möglich. Die Sorge, dass KI zum Jobkiller werde, hält Brockman hingegen für unberechtigt.

Im Gegenteil. „Es verstärkt, was Menschen tun können. Künftig werden wir dank derartiger KI-Systeme mehr zu Managern“, sagt er und gibt ein Beispiel: „Als Programmierer kann ich ChatGPT beauftragen, eine Softwarearchitektur zu bauen. Die KI schreibt viele Programme und testet sie für mich. ChatGPT gibt jedem eine Beförderung und lässt jeden ein paar Gehaltsstufen nach oben springen – wörtlich und im übertragenen Sinn.“

„Halluzinierende“ KI ist ein Problem

Doch bevor es so weit ist, hat OpenAI mit ChatGPT noch einige Hürden zu meistern. Eine davon ist, dass die KI keine eingebaute „Ich weiß nicht“-Funktion hat und jede Frage mit großer (Selbst-)Sicherheit beantwortet – unabhängig davon, ob die Antwort richtig oder falsch ist.

Zudem beginnt ChatGPT zu „halluzinieren“, je tiefgreifender ein Dialogfluss verläuft: Die KI generiert einen falschen Text oder bringt Dinge durcheinander. Was im Privatgebrauch mitunter komisch ist, kann im Unternehmenskontext geschäftsschädigende Folgen haben.

„Das ist für uns eine technische Herausforderung“, gibt Brockman zu und hofft, etwaigem Missbrauch der KI wie etwa durch betrügerische E-Mails sowie Falschinformationen künftig vorbeugen zu können. Gleichzeitig warnt er, sich übermäßig auf etwas zu verlassen, nur weil es als Wahrheit deklariert werde. „Das gilt für Menschen und auch für die KI“.

Eine Technologie für die großen Fragen

Die Kritik, dass ChatGPT oder DALL-E Fehlinformationen fördern, versteht der Informatiker aber grundsätzlich. Ob es sich bei potenziellen Lösungen um die Einführung verifizierter Identitäten oder um andere Tools handelt, lässt Brockman offen. Auch weitere Fragen sind ungeklärt: Wer hat Kontrolle über die Daten? Wie sieht das Urheberrecht aus? Und wie wird die Technologie sicher vor Hackerangriffen?

„Wir haben nicht alle Antworten, aber wir stellen uns der öffentlichen Diskussion“, betont der OpenAI-Mitgründer. „Als Unternehmen haben wir die Mission, KI zu entwickeln, von der die gesamte Menschheit profitiert.“

Während der Einsatz von ChatGPT und Co. in Wirtschaft, Gesundheit, Kunst und Entertainment erst in den Kinderschuhen steckt, ist Brockman schon meilenweit voraus: Die Technologie könne Probleme wie die Erderwärmung lösen. Und weil das dann doch nach Science-Fiction klingt, fügt er hinzu: „Es wird ein jahrzehntelanges Projekt sein, und wir können nicht blind glauben, dass alles klappen wird.“

Greg Brockman

ist Vorsitzender der OpenAI LP. 2015 hat er das Technlogieunternehmen mit Elon Musk und Sam Altman gegründet. Zuvor war er als CTO beim Online-Bezahldienst Stripe tätig