Logistik

Fokus auf mehr als nur eine Technologie

Vier Top-Manager der Branche erklären, wie der Wandel im Transportsektor gelingen kann – und warum Wasserstoff der Schlüssel zu nachhaltiger Logistik ist.

16.12.2024

Alternative Antriebe für Nutzerfahrzeuge gewinnen zunehmend an Bedeutung. Wasserstoff spielt dabei eine zentrale Rolle. In einer exklusiven Gesprächsrunde diskutieren die vier Branchenführer André Schmidt (Toyota Deutschland), Arnd Franz (Mahle), Bernhard Wasner (Paul Group) und Dr. Carsten Borchers (E.ON Hydrogen) mit „Autohaus“-Chefredakteur Ralph M. Meunzel über Perspektiven und Chancen alternativer Antriebe für Nutzfahrzeuge.

Portrait, Andre Schmidt

André Schmidt

ist seit knapp 20 Jahren bei Toyota. Seit Januar 2021 trägt er die Gesamtverantwortung als Präsident für Toyota Deutschland

Portrait, Andre Franz

Andre Franz

ist seit November 2022 CEO von Mahle und bringt langjährige Erfahrung in der Automobilbranche mit, darunter 18 Jahre in Führungspositionen bei Mahle und LKQ Europe

Portrait, Bernhard Wasner

Bernhard Wasner

ist seit 2021 Geschäftsführer der Paul Group. Wasner startete als Kfz-Mechatroniker im Unternehmen und treibt nun Zukunftsthemen wie nachhaltige Antriebslösungen voran

Ralph M. Meunzel: Herr Schmidt, wie sieht Ihre Vision der Nutzfahrzeugbranche von morgen aus?

André Schmidt: Die Mobilitätswende kann auch in der Transportbranche nur in einem systematischen Ansatz gelingen. Gemeinsam mit Energieversorgern, Verbrauchern, Zulieferern und OEMs. Wir werden die Dekarbonisierung nur schaffen, wenn wir dieses Gesamtsystem als solches begreifen und unsere Rolle entsprechend ausfüllen. Wir müssen der Öffentlichkeit, aber auch den politischen Stakeholdern, eine Richtung geben, die abgestimmt ist und die Dinge nach vorn bringt.

Herr Wasner, als Geschäftsführer der Paul Group bauen Sie viele Spezialfahrzeuge. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in Bezug auf Technologieoffenheit im Nutzfahrzeugsektor?

Bernhard Wasner: In der Nutzfahrzeugbranche beobachten wir aktuell eine ausgewogene Präsenz verschiedener Technologien, einschließlich Wasserstoff. Und das macht mir Mut. Der technologieoffene Ansatz ist auch der einzige Weg, wie wir die Verkehrswende in den nächsten Jahren schaffen können. Wir brauchen Wasserstoff ebenso wie den batterieelektrischen Antrieb. Wir müssen beim Antrieb sehr stark auf die Kunden und die Anwendungen eingehen. Es wird für jede Anwendung verschiedene Antriebstechnologien geben. Und ich glaube, wir müssen das Automobil oder das Nutzfahrzeug in Teilen sogar neu erfinden. In allen Bereichen. In der Anwendungsdauer und auch in der Zusammenarbeit. Das heißt, der Verkehrssektor und der Energiesektor müssen jetzt miteinander sprechen, um die Verkehrswende wirklich auf den Weg zu bringen. Das war in der Vergangenheit nicht so.

Herr Franz, als CEO vom Zulieferer Mahle sind Sie wahrscheinlich extrem technologieoffen. Können Sie bestätigen, dass das Thema Wasserstoff eher zu wenig Beachtung findet?

Arnd Franz: Für uns ist das Thema Wasserstoff enorm wichtig. Im Nutzfahrzeugsektor beliefern wir rund um die Welt 120 Nutzfahrzeughersteller und Motorenhersteller für Nutzfahrzeuge. Und wir sehen, dass Wasserstoff für viele Sektoren der wesentliche Energieträger werden wird. Insbesondere für den Schwerlastverkehr auf der Langstrecke. Und auch für die gesamten Off-Highway-Anwendungen wie Land- und Baumaschinen. Das ist vor allem mit dem Wasserstoff-Verbrennungsmotor darstellbar. Die Lösungen kommen jetzt auf die Straße, deshalb glaube ich, dass wir eine gewisse Wiederbelebung der Diskussion um die Notwendigkeit von Wasserstoff und der Wasserstoffinfrastruktur bekommen.

Heißt also, die Technologie ist schon da, aber letztlich fehlt die Energie?

Franz: Aufgrund der Erfahrungen in den letzten Jahren ist im Pkw-Bereich die Zahl der Anbieter von Brennstoffzellenfahrzeugen sehr übersichtlich geblieben. Aber im Lkw-Bereich werden wir jetzt sehr schnell eine Belebung sehen. Insbesondere beim Wasserstoffverbrenner. Dann wird die Diskussion um die Infrastruktur noch schneller auf die Tagesordnung kommen als heute.

Herr Dr. Borchers, E.ON hat für Wasserstofflösungen eine eigene Firma gegründet. Wie sieht es mit den Mengen aus, die wir brauchen?

Dr. Carsten Borchers: Es gibt aktuell noch wenige Fahrzeuge im Markt. Nutzfahrzeuge mit Brennstoffzellentechnik liegen im Preis weit über dem, was der normale Lkw kostet. Deshalb ist der Schritt zum Wasserstoffverbrenner, der deutlich weniger kostet, richtig. Wir sehen durchaus den Bedarf kommen, aber die Fahrzeuge müssen erst im Markt ankommen, also da draußen fahren. Nehmen wir zum Beispiel unsere Tankstelle in Neumünster. Da kommen jeden Tag ein, zwei Handvoll Trucks an. Also nicht sehr viele. Und für die halten wir Wasserstoff bereit. Das müssen mehr werden. Ganz klar: Die Infrastruktur wird sich stärker entwickeln, wenn mehr Fahrzeuge auf den Markt kommen und mehr Bedarf da ist. 

Herr Schmidt, Sie haben gerade im Segment der leichten Nutzfahrzeuge den Hilux mit Brennstoffzelle präsentiert. Wo steht Toyota?

Schmidt: Toyotas Maßnahmen zielen immer auf die Kundenbedürfnisse ab. Unser Ansatz heißt Multi-Pathway, für jeden Kunden das richtige Produkt. Deswegen haben wir nicht nur Wasserstoff im Programm, sondern genauso batterieelektrische Fahrzeuge und Hybridmodelle. Und die werden auch ihre Kunden entsprechend finden. Wir wollen aber weiterhin helfen, die Wasserstoffgesellschaft mit aufzubauen. Unsere Rolle sehe ich darin, neue Produkte zu entwickeln und die Brennstoffzelle immer günstiger und wartungsärmer anzubieten. Da sind wir jetzt einen großen Schritt vorangekommen und werden in naher Zukunft bereits eine nächste Generation der Brennstoffzelle vorstellen. Aktuell haben wir den Pick-up Hilux als Brennstoffzel- lenfahrzeug präsentiert. Unser Motto lautet „leave no one behind“, das gilt auch für die Dekarbonisierung. Als globaler Hersteller können wir es uns nicht leisten, den Fokus nur auf eine Technologie zu legen. Deswegen sind wir so breit aufgestellt.

Was ist denn Ihrer Meinung nach der entscheidende Vorteil der Brennstoffzelle?

Schmidt: Ich fahre jetzt seit drei Jahren ein Fahrzeug mit Brennstoffzelle. Was mich besonders fasziniert: An der Tankstelle habe ich das Auto nach fünf Minuten vollgetankt. Bei der Brennstoffzelle habe ich als Kunde eine hohe Sicherheit beim Thema Nachtanken. In Berlin haben wir eine große Flotte an Brennstoffzellenfahrzeugen im Taxi-Betrieb, die über die Uber-App buchbar sind. Mit keinerlei technischen Problemen. Hier geht es darum, die Nutzungsdauer zu maximieren. Und genau das ist der Vorteil. Mit einer Brennstoffzelle – aber auch mit dem Wasserstoffverbrenner – schaffe ich es einfach, die Investition in einen hohen Nutzungsgrad zu bringen.

Herr Wasner, Sie haben die Erfahrung mit sehr vielen Antrieben. Auch mit Wasserstoff. Wann kommt am besten die Batterie zum Einsatz und wann die Brennstoffzelle?

Wasner: Das beste Argument für die Brennstoffzelle ist die schnelle Energiezuführung. Der Spediteur kann die Lkw, die er im Betrieb hat, im Endeffekt eins zu eins ersetzen. Das heißt, er ersetzt den Diesel-Lkw durch einen Wasserstoff-LKW. Mit dem einen Unterschied, dass er eben einmal am Tag zum Nachtanken an die Tank- stelle kommt. Mit dem Diesel kommt man natürlich – je nach Tankvolumen – wesentlich weiter. Ansonsten haben wir mit der Brennstoffzelle keine Fahrzeitprobleme. Und das ist ein sehr großer Vorteil, den wir auch von Kunden zurückgespielt bekommen. Es gibt aber auch für batterieelektrische Fahrzeuge viele Anwendungsbereiche. Zum Beispiel wenn ich über Nacht laden kann, wenn ich zu Hause laden kann oder wenn ich günstigen Strom bekomme.

Herr Franz, wie sehen Sie das als Zulieferer? Wenn ich Sie jetzt fragen würde, was soll ich kaufen? Nehmen wir mal an, ich will regelmäßig von München nach Ingolstadt fahren.

Franz: Dann elektrisch. Also für kürzere Strecken mit niedrigeren Nutzlasten. Wenn wir über die Streckenlänge reden, sind nach heutigem Stand bei 400 bis 500 Kilometern die Praktikabilität und Schallgrenze für batterieelektrische Nutzfahrzeuge erreicht. Es geht natürlich auch um die Tourenplanung. All das verändert sich, wenn ich nachladen muss. Trotzdem: Den Verteilerverkehr und City-to-City-Fahrten sehen wir bei den Nutzfahrzeugen ganz klar elektrisch. Je nachdem, was Batterien kosten, gibt es verschiedene Einflussfaktoren. Der internationale Langstreckenverkehr geht aus unserer Sicht eindeutig in Richtung Wasserstoff, also Brennstoffzelle oder Wasserstoffverbrenner. Beim Wasserstoffverbrenner ist der Umgewöhnungsprozess sowohl für die Werkstatt als auch für die Flotte noch geringer, weil das Tanken genauso schnell geht. Und ansonsten ist fast alles gleich. Von daher glauben wir, dass der Wasserstoffverbrenner der Wegbereiter für den Wasserstoff auf der Straße sein wird – und auch der Wegbereiter für die Brennstoffzelle. Und ich glaube auch, dass es für die Tankinfrastruktur wesentlich ist, dass wir die Lkw jetzt auf den Weg bringen. Damit die Tankstelle sich rechnet, bräuchte ich 400 Pkw, aber nur 20 Lkw. Wenn man da zunächst mal in Ballungsräumen und auf den Hauptrouten die ersten Punkte gesetzt hat, kommt Bewegung in die Szene und in die Tankinfrastruktur. Da sind wir bislang einfach zu langsam unterwegs. 

Sehen es alle so, dass wir eigentlich schon die Technologie haben, aber nicht wissen, in welche Richtung wir sie einsetzen sollen?

Franz: Wir von Mahle sagen: Wir sind serienreif. Was den Wasserstoffverbrenner angeht, gibt es bei der Einspritzung noch ein paar Hausaufgaben zu machen. Aber ich glaube, wir werden die ersten Versuchsflotten nächstes oder übernächstes Jahr auf die Straßen bekommen. Bei der Brennstoffzelle haben wir im Nutzfahrzeugbereich noch ein, zwei Themen, was die Dauerhaltbarkeit angeht. Da sind 20.000 bis 25.000 Stunden unser Ziel. Aber auch die ganze Peripherie, die Kühlung des Tanksystems – das alles muss die heute vom Diesel bekannten Lebenserwartungen erfüllen. Da liegt noch ein Stück Arbeit vor uns. Aber das kann man hinbekommen. 

Dr. Borchers, das ist doch Musik in Ihren Ohren, oder?

Borchers: Ja, ist es. Aber ich will ein bisschen pro- vozieren. Ich segle unheimlich gern. Und auf einem Segelboot würden Sie nie diskutieren, ob Sie lieber mit dem Vorsegel oder mit dem Hauptsegel fahren. Sie würden klar sagen: Es braucht beides. Ich verstehe nicht, warum wir uns auf ein System festlegen sollten. Wir brauchen beides. 

Wie sorgt man dafür, dass die Politik mitzieht, Herr Schmidt?

Schmidt: Zunächst einmal freue ich mich, dass sowohl die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, bei dem Thema Wasserstoff die gleichen Forderungen an die Politik stellt wie der Verband der internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK), nämlich die Wasserstoffinfrastruktur parallel zur Elektroinfrastruktur aufzubauen. Jetzt brauchen wir Anwendungen, die im täglichen Arbeitsprozess ihre Wirksamkeit entfalten. Wir brauchen die richtigen Werkzeuge von der Regierung, um Investitionen, die noch eine gewisse Unsicherheit haben, entsprechend möglich zu machen, um dann in die Skalierung reinzukommen. Unsere Aufgabe ist es, die konkreten Anwendungsfälle deutlicher zu machen. Erstmals wurde jetzt ein Brennstoffzellenbus zum „Bus of the Year“ gekürt, was mich sehr gefreut hat. Da sieht man, dass es auch gerade im Regionalverkehr funktionieren kann, wenn Tankstelle und Abnehmer in einem Ökosystem zusammenarbeiten. Mit diesen Beispielen und Projekten müssen wir jetzt noch stärker vorangehen. Unsere Aufgabe ist es, möglichst viele Produkte mit Brennstoffzellen zu möglichst geringen Kosten herzustellen, um dann letztendlich diese wichtige Transformation zu ermöglichen.