Ende Januar 2023 wurde Smoke Free vorläufig ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Wie hat das die Nachfrage nach Ihrem Angebot beeinflusst?
Benedikt Hielscher: Schon vor unserer DiGA-Listung wurde die Smoke Free-App über 900.000-mal von deutschen Raucherinnen und Rauchern heruntergeladen. Dass wir auf Rezept verordnet werden können, ist eine zusätzliche Option für unsere Nutzerinnen und Nutzer. Aber es ist nicht der einzige Grund, aus dem Menschen auf uns zurückgreifen. Wer in den App-Stores nach einer Rauchstopp-App sucht, findet uns dort schon seit 2016. Wir hatten bereits eine große, aktive Nutzer-Basis, als wir in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen wurden.
Wie unterstützt Smoke Free bei der Rauchentwöhnung?
Hielscher: Wir kombinieren Methoden aus unterschiedlichen psychologischen Gebieten mit Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomie und der Rückfallprävention. Neben Modellen aus der kognitiven Verhaltenstherapie und der Selbstregulierung gehört dazu auch die PRIME Motivations-Theorie.
Diese psychologische Herangehensweise an den Rauchstopp zeigt sich auch in vielen App-Features. Smoke Free ist so konzipiert, dass es das Selbstvertrauen und die Motivation stärkt sowie Tipps zum Umgang mit Verlangen und Rückfällen gibt. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Gamification, die eine regelmäßige Nutzung der App belohnt.
Wir wissen aus eigener Erfahrung und aus vielen wissenschaftlichen Studien, dass ein vermeintlicher eiserner Wille und gute Vorsätze nicht ausreichen, um eine Tabakabhängigkeit zu behandeln. Denn dieser Wille ist vielleicht doch nicht so eisern wie man glaubt. Wie bei jeder Sucht müssen Raucherinnen und Raucher Verhaltensweisen anpassen oder langsam ablegen, um dauerhaft rauchfrei zu bleiben. Eine niedrigschwellige, psychologische Unterstützung ist hier ein wichtiger Baustein. Das sagt übrigens auch die Forschung: 95 Prozent der Rauchstopp-Versuche ohne Unterstützung scheitern innerhalb eines Jahres.
DiGAs können in Deutschland seit knapp drei Jahren verschrieben werden. Doch noch immer ist die Liste der Angebote im DiGA-Verzeichnis recht überschaubar. Woran könnte das liegen?
Hielscher: Ich kenne Geschichten von E-Health-Entwicklerinnen und -Entwicklern, die an der Komplexität des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gescheitert sind. Auch ist etwa die Studie, die zur vorläufigen Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis notwendig ist und einen Nutzennachweis erbringen muss, nicht unbedingt kostengünstig – und außerdem sehr zeitaufwändig. Zudem ist diese vorläufige Aufnahme maximal 24 Monate gültig. Für eine dauerhafte Aufnahme muss innerhalb dieses Zeitraums eine zweite umfangreiche wissenschaftliche Studie durchgeführt werden, was wiederum immense Kosten verursacht.
Darüber hinaus ist der laufende Betrieb eines Medizinprodukts auch mit sehr viel regulatorischer Arbeit verbunden. Außenstehenden sind die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten sowie der Personalbedarf häufig nicht bewusst.
Wie könnten Innovationen im Health-Bereich schneller einer größeren Zahl an Personen zugänglich gemacht werden? Wo sehen Sie strukturelle Probleme?
Hielscher: In meinen Augen ist das vor allem ein kommunikatives Problem. Häufig sind es die Unternehmen, die zu E-Health informieren und Hilfestellung leisten. Dabei ist es die Aufgabe des gesamten Gesundheitssystems, digitale Innovationen in der Lebensrealität der Menschen zu verankern.
Besonders auffällig ist diese Diskrepanz bei DiGA und DiPA, also digitalen Pflegeanwendungen, die staatlich gewollt sind, aber zu denen es keine Kampagnen gibt. Dabei sollte etwa dem Bundesgesundheitsministerium sehr daran gelegen sein, mehr Menschen für E-Health zu begeistern. Auch die Fachgesellschaften informieren Medizinerinnen und Mediziner weniger als sie könnten.
Aufseiten der Publikumskommunikation sieht es ähnlich aus: Nur wenige Krankenkassen sprechen ihre Versicherten konsequent an und informieren über neue digitale Behandlungsoptionen. Für Patientinnen und Patienten bedeutet das, dass sie sich selbst informieren und aktiv werden müssen. So gelingt allerdings keine Digitalisierung des Gesundheitssystems.
Wie offen sind eigentlich Behandelnde den „Apps auf Rezept“ gegenüber?
Hielscher: Meiner Erfahrung nach blicken einige Ärztinnen und Ärzte immer noch skeptisch auf DiGA – oder sie kennen das DiGA-System noch nicht einmal. Und das, obwohl sie der Bottleneck im System sind: Stehen Behandelnde den DiGA kritisch gegenüber, erhalten Patientinnen und Patienten im Zweifel kein Rezept beziehungsweise müssten dieses proaktiv einfordern.
Gleichzeitig verstehe ich aber natürlich auch, wie überlastet die meisten Ärztinnen und Ärzte sind. Da ist es kein Wunder, dass ein weiteres Produkt, das verschrieben werden soll, erst einmal nur als unbezahlte Mehrbelastung wahrgenommen wird. Dass Versorger die Verschreibung einer DiGA den Krankenkassen gegenüber nicht mehr abrechnen können, ist aus meiner Sicht ein echter Skandal.
Um Patientinnen und Patienten den Weg in die Hausarztpraxis zu ersparen und gleichzeitig die Überlastung dieser Praxen nicht noch zu steigern, bieten wir daher auf unserer Webseite auch Informationen an, wie die DiGA über Telemedizinanbieter angefragt werden kann. Der Prozess ist deutlich unkomplizierter als der Gang in die Praxis, da er komplett online stattfindet.
Wie kann über eine DiGA die Therapietreue sichergestellt werden? Oder anders gefragt: Was ist effektiver – Ärztinnen und Ärzte, die ihre Patientinnen und Patienten regelmäßig ermahnen, oder eine App, die eine regelmäßige Interaktion einfordert?
Hielscher: Eine DiGA hat einen unschlagbaren Vorteil: Sie hat immer dann Zeit, wenn Patientinnen und Patienten sie brauchen. Es ist wesentlich schwieriger, einen spontanen Termin bei einer Fachärztin beziehungsweise einem Facharzt zu bekommen, als in einem Moment mit Rückfallgefahr eine App zu öffnen.
Auch lassen sich tägliche Entwicklungen über eine DiGA bequem tracken und können automatisiert in den größeren zeitlichen Rahmen des Behandlungsfortschritts eingeordnet werden. Das ist für Nutzerinnen und Nutzer immer wieder aufs Neue spannend und motiviert, was der Therapietreue zugutekommt.
Abgesehen von der Rauchentwöhnung: Wo könnten Apps Ihrer Meinung nach noch wirksam bei Verhaltensänderungen unterstützen, wann braucht es dann doch „echte“ Menschen statt Technologie?
Hielscher: Durchdachte, forschungsbasierte Apps zur Verhaltensänderung können immer dann helfen, wenn Menschen bereits die intrinsische Motivation haben, ein Thema anzugehen. Apps können Wissen vermitteln, anleiten und zum Durchhalten motivieren.
Was sie nicht können: den Anstoß für eine Verhaltensänderung geben. Diesen alles entscheidenden Wunsch, etwas zu unternehmen, können nur Menschen und persönliche Erlebnisse begründen. So können zum Beispiel Apps eine Psychotherapie ergänzen und unterstützen, aber nicht die Therapeutin oder den Therapeuten ersetzen. Der menschliche Kontakt wird in meinen Augen nie an Relevanz verlieren; er wird aber zum Nutzen der Patientinnen und Patienten durch Technologie erweitert.