Uns drohe ein „unsicheres und turbulentes Jahrzehnt“, heißt es im „Global Risks Report 2023“ des Weltwirtschaftsforums (WEF). Nach Jahrzehnten des Fortschritts und Wachstums seien nun Rückschritte zu erwarten. Das prognostizieren die rund 1.200 vom WEF befragten Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Politik.
Das mit Abstand größte globale Risiko – da herrscht Konsens bei den Befragten – ist der Klimawandel. Doch dessen Bekämpfung rücke aufgrund der Folgen des Ukrainekriegs und der Coronapandemie sowie internationaler Spannungen in den Hintergrund.
2030 droht laut „Global Risks Report“ eine Poly-Krise
Kurzfristig gilt es, akute Probleme wie Versorgungsengpässe bei Energie und Lebensmitteln, steigende Lebenshaltungskosten, Inflation, Handelskriege, Kapitalabfluss aus den Schwellenländern, soziale Unruhen und die Folgen von Naturkatastrophen wie etwa den verheerenden Überschwemmungen in Pakistan anzugehen. Die Monsun-Regenfälle dort waren im Sommer 2022 siebenmal so stark wie üblich; 1.700 Menschen starben.
Hinzukommen weitere Risiken, die die ohnehin schon angespannte Lage verschärfen: das Schreckgespenst eines Nuklearkriegs, untragbare Schuldenstände, eine rasche und ungebremste Entwicklung von Technologien mit doppeltem – also zivilem und militärischem – Verwendungszweck, Deglobalisierung.
Die Folge all dieser Entwicklungen: eine Poly-Krise im Jahr 2030 – und bis dahin Jahre der wirtschaftlichen Stagnation, fürchten die WEF-Expertinnen und -Experten.
Wann werden Risiken unkontrollierbar?
Mit Blick auf die aktuellen Krisen sagt Saadia Zahidi, Geschäftsführerin des Weltwirtschaftsforums: „Diejenigen, die bereits am stärksten gefährdet sind, leiden. Und angesichts zahlreicher Krisen nehmen diejenigen, die als gefährdet gelten, rasch zu – in reichen wie in armen Ländern gleichermaßen. In dieser bereits toxischen Mischung aus bekannten und steigenden globalen Risiken könnte ein neues Schockereignis – von einem neuen militärischen Konflikt bis hin zu einem neuen Virus – unkontrollierbar werden.“
Matthias Kopp, Leiter Sustainable Finance beim WWF Deutschland, betont mit Blick auf den „Global Risks Report“: „Die Erderhitzung und der Verlust der Biodiversität sind die existenziellen Risiken für die Weltbevölkerung – und damit auch für die Weltwirtschaft.“ Die Politik müsse auf die globalen Risiken eine transformative Antwort geben, damit wir unseren Umgang mit dem Klima und der Natur systemisch verbessern, so Kopp.
Klimawandel birgt erhebliche gesundheitliche Risiken
Tun wir das nicht, schaden wir unserer Gesundheit. Das „Healthcare-Barometer 2022“ von PwC zeigt, dass 87 Prozent der Deutschen gesundheitliche Auswirkungen infolge der Klimakrise fürchten. Am häufigsten genannt wurden von den Befragten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und andere Atemwegserkrankungen, Allergien sowie gefährlichere Insektenstiche aufgrund einer sich verändernden Fauna.
Neben den direkten Auswirkungen auf die Gesundheit bedrohen uns die indirekten Folgen der Klimakrise – beispielsweise der eingeschränkte Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln oder die Zunahme von Infektionskrankheiten durch zerstörte Ökosysteme.
Denn trotz medizinischer und wissenschaftlicher Fortschritte steigt infolge des Klimawandels die Wahrscheinlichkeit, dass sich Infektionskrankheiten ausbreiten. So gilt etwa Tuberkulose als eine klimasensitive Krankheit. Und in einem wärmeren Klima können sich auch Mücken, die Malaria, Dengue oder Zika übertragen, besser vermehren. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird es wegen Unterernährung, Hitzestress, Malaria und Durchfall zwischen 2030 und 2050 zu rund 250.000 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr kommen.
Zugang zum Gesundheitswesen bleibt Luxus
Und wenn uns die Coronapandemie eines gezeigt hat, dann dass unsere Gesundheitssysteme – egal, ob in der westlichen Welt oder in Entwicklungsländern – nicht in der Lage sind, einen rasant steigenden Versorgungsbedarf zu bewältigen. In den letzten drei Jahren wurden viele seit Langem bestehenden, systemischen Probleme offensichtlich.
Dazu zählt der Mangel an Personal, der noch größer werden wird, weil die Nachfrage einer alternden Gesellschaft nach Gesundheitsdienstleistungen kontinuierlich steigt. Laut WHO fehlen vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen bis 2030 über 10 Millionen Mitarbeitende im medizinischen Bereich.
Das berge laut „Global Risks Report“ die Gefahr, dass sich Zweiklassen-Gesundheitssysteme weiter verfestigen. Sprich: Ein profitabler privater Sektor versorgt die Patientinnen und Patienten mit größerer Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft; ärmere Menschen wären auf eine eher dürftige öffentliche Versorgung angewiesen.
Die nächste Gesundheitskrise ließe sich laut den WEF-Expertinnen und -Experten allerdings nur bewältigen, wenn die Gesundheitsversorgung weltweit erschwinglich, qualitativ hochwertig und für jedermann zugänglich ist. Doch nach Prognosen der Vereinten Nationen wird ein Drittel der Weltbevölkerung 2030 nach wie vor keinen Zugang zu einer Basis-Gesundheitsversorgung haben.
Auch finanzieller Stress beeinträchtigt die Gesundheit
Fragile Gesundheitssysteme wären zudem durch katastrophale Ereignisse schnell überlastet. Als Beispiele nennt der „Global Risks Report“ unter anderem Cyberangriffe, Extremwetterereignisse oder neue beziehungsweise wieder verstärkt auftretende Infektionskrankheiten.
Außerdem nimmt die Gefahr von sogenannten synergetischen Epidemien – den Syndemics – zu. Was das bedeutet? Es treten gleichzeitig mehrere, sich gegenseitig verstärkende Gesundheitsprobleme auf. Sich verschlechternde soziale, wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen tragen zudem in der Regel dazu bei, dass die Krankheitslast insgesamt steigt. So kam es im Zuge der Coronapandemie zu höheren Morbiditäts- und Mortalitätsraten in sozial benachteiligten Gegenden – auch weil dort chronische Erkrankungen tendenziell häufiger vorkommen.
Die aktuelle Energiekrise in Kombination mit den steigenden Lebenshaltungskosten könnte die Gesundheit ebenfalls beeinträchtigen. So warnt der Epidemiologe Michael Marmot vom University College London: Chronischer finanzieller Stress und die Rationierung lebenswichtiger Güter – etwa die Wahl zwischen Heizen und Essen – werden selbst bei gesunden Menschen langfristige physische und psychische Auswirkungen haben.
Wie ließen sich Gesundheitsrisiken reduzieren?
Um die Probleme anzugehen, hilft laut WEF-Chefin Zahidi vor allem eines: „Führende Politiker der Welt müssen das Klima und die menschliche Entwicklung in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen, auch wenn sie aktuelle Krisen bekämpfen. Kooperation ist der einzige Weg nach vorne.“
Dazu heißt es im „Global Risks Report“: „Auch länderübergreifend gibt es Möglichkeiten zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit, insbesondere in den Bereichen Pandemieüberwachung und -vorsorge, wissenschaftliche Zusammenarbeit und bei der Eindämmung globaler Bedrohungen wie Klimawandel und Antibiotikaresistenz.“ Ein Gesundheitsnationalismus müsse zwingend vermieden werden. „Die kontinuierliche Zusammenarbeit und der Informationsfluss in den Bereichen Gesundheitsfürsorge, Arzneimittel und Biowissenschaften untermauern die Bemühungen, sicherzustellen, dass unsere Fähigkeit, neu auftretende Gesundheitsrisiken wirksam zu bekämpfen, erhalten bleiben.“
Und weiter heißt es im Report: „Damit die Gesundheitssysteme für eine zunehmend gebrechliche und chronisch kranke Bevölkerung kosteneffizient Krankheitsprävention, Früherkennung und Pflege anbieten können, sind Innovationen bei der Leistungserbringung, der Personalausstattung und den Finanzierungsmodellen erforderlich. Die Gesundheitsversorgung bietet auch Potenzial, die Vorteile des technologischen Fortschritts und der digitalen Transformation zu nutzen.“
So gibt es beispielsweise Möglichkeiten vorauszusagen, wann und wo klimaempfindliche Infektionskrankheiten sich ausbreiten werden. Das Team des Barcelona Supercomputer Centre arbeitet mit Forschern in Brasilien und Peru zusammen, um mit Drohnen Veränderungen bei Umweltfaktoren zu überwachen, die sich auf die Ausbreitung von Infektionskrankheiten auswirken könnten. Solch ein Frühwarnsystem kann dabei helfen, die Auswirkungen zu verringern und möglicherweise sogar den Ausbruch selbst zu verhindern und Leben zu retten.