Digital-Staatsministerin Dorothee Bär im Interview
„Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, nur verzögern“
Das Ziel der Bundesregierung ist ganz klar definiert: Bis 2025 soll es in Deutschland ein flächendeckendes gigabitfähiges Netz geben. Damit das gelingt, ist der geförderte Glasfaser- und Mobilfunknetzausbau gerade für ländliche Regionen wichtig. Der Haken daran sind aber nicht die Kosten. „Ausreichend Fördermittel sind da“, sagt Dorothee Bär (CSU), Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, im DUB Digital Business Talk. Ein großes Problem sei auch die Technologie-Skepsis in Teilen der Bevölkerung.
Es heißt, Deutschland habe die erste Halbzeit der Digitalisierung verschlafen. Denn die großen Tech-Konzerne finden sich in den USA und in China. Wie schlägt sich Deutschland Ihrer Meinung nach in der zweiten Halbzeit?
Dorothee Bär: Ich glaube nicht, dass es schon fünf nach zwölf ist. Es braucht von uns aber noch enorme Anstrengungen, denn das Tempo ist rasant und die Umwälzungen sind tiefgreifend. Die Pandemie hat die Dringlichkeit der Digitalisierung noch einmal vor Augen geführt und die Defizite schonungslos offengelegt. Jetzt kann es also nicht nur unser Ziel sein, zum Vorkrisenzustand zurückkehren zu wollen. Das ist zu kurz gedacht und klassische Konjunkturmaßnahmen reichen daher auch nicht. Sondern wir investieren mit dem Zukunftspaket ganz gezielt in Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz – hier wurden die Mittel fast verdoppelt –, Quantentechnologie und digitale Infrastruktur. In der Grundlagenforschung sind wir oft sehr gut, wir müssen aber den Transfer zu konkreten Anwendungen und zur Kommerzialisierung der Forschungsergebnisse stark verbessern. Der Vergleich von Deutschland mit USA und China ist in meinen Augen etwas schief – da ist Europa als Vergleichsgröße passender. Die digitale Souveränität Europas ist eine der Top-Prioritäten der aktuellen deutschen Ratspräsidentschaft; die europäische Zusammenarbeit bei Forschung und Technologie wird ja zum Beispiel immer enger. Nehmen Sie etwa das Projekt Gaia-X zur Vernetzung europäischer Cloud-Dienste.
Durch die länderübergreifende Zusammenarbeit bei GAIA-X soll in Europa eine sichere, leistungsfähige Dateninfrastruktur entstehen. Hat das auch international Strahlkraft?
Bär: Wir haben viele Anfragen, auch von amerikanischen Unternehmen, die großes Interesse an GAIA-X haben und sich daran beteiligen wollen. Dieses internationale Interesse bemerken wir an anderen Stellen ebenfalls – etwa beim digitalen Testfeld für 5G-Echtzeitanwendungen, das wir auf der A9 eingerichtet haben. Wir sehen daran: Das Ingenieurs-Know-how sowie das Forschungs- und Entwicklungspotenzial in Deutschland ist nach wie vor groß. Aber klar ist mit Blick auf unsere gute Forschung auch: Wir müssen die Dinge dann schlussendlich auch auf die Straße bringen.
Sie haben das Stichwort schon genannt: 5G. Das ultraschnelle Mobilfunknetz gibt es längt noch nicht überall. Noch haben wir in Deutschland graue Flecken, also Orte, an denen das Internet nicht allzu schnell ist. Was steht auf Ihrer Agenda, um das zu ändern?
Bär: Ziel ist es, bis 2025 in Deutschland ein flächendeckendes gigabitfähiges Netz zu haben – gerade auch im dünn besiedelten ländlichen Raum. Momentan sind wir dabei, das sogenannte Graue-Flecken-Förderprogramm für den Glasfaserausbau im Festnetz zu erarbeiten. Dafür sind wir in Gesprächen mit den Ländern, mit Kommunen und Unternehmen. Im Mobilfunk wollen wir 5.000 bisher unterversorgte Standorte fördern. Dazu soll auf Initiative der CSU eine staatliche Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft entstehen. Diese soll den Ausbau des mobilen Netzes vor allem in Randgebieten vorantreiben, wo der Ausbau nicht wirtschaftlich ist und daher nur stockend vorankommt.
Weshalb stockt der Ausbau?
Bär: Am Geld scheitert es jedenfalls nicht. Die Fördermittel sind ausreichend da, sie müssen aber auch abgerufen und eingesetzt werden. Mancherorts mangelt es an Kapazitäten im Tiefbau. Aber das ist lösbar. Was mir dagegen Sorgen macht, ist die teils geringe Akzeptanz in der Bevölkerung. Das ist beim Thema Glasfaser nicht so dramatisch wie beim Mobilfunk. Es gibt eine große Angst vor Strahlung und vor gesundheitlichen Schäden. Hier besteht viel Gesprächsbedarf und auch die Notwendigkeit der Aufklärung. Deswegen hat die die Bundesregierung am 1. Dezember auch einen Bürgerdialog zu dem Thema gestartet. Auf der Website www.deutschland-spricht-über-5G.de können Bürgerinnen und Bürger direkt ihre Fragen stellen und bekommen diese auch beantwortet. Zudem informieren wir dort zu den wichtigsten Fakten. Denn momentan sind auch viele wirre Behauptungen im Umlauf – à la „Corona wird über 5G übertragen“ und Ähnliches. Wir erleben derzeit in ganz Deutschland Gemeinde-, Stadt- und Kreisräte, die sich dagegen aussprechen, dass neue Mobilfunkmasten aufgestellt werden oder dass 5G zum Einsatz kommt. Das ist ein parteiübergreifendes Phänomen. Und: Je wohlhabender die Gemeinden, desto vehementer ist oft der Widerstand. Ich habe vor Kurzem einen Brief von Bürgerinnen und Bürgern bekommen, die von mir eine Karte haben wollten, in der der Staat Weiße-Flecken-Landkreise ausweist. Denn sie wollten wissen, an welche Orte dann elektro-sensible Menschen ziehen könnten. Das sind nur einige Beispiele für Ausprägungen der Technik-Skepsis, die mich erreichen.
Wie gehen Sie mit Technologie-Skeptikern um?
Bär: Wir müssen das natürlich ernst nehmen, weil es für den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland eine große Gefahr ist, wenn sich die Technologie-Skeptiker durchsetzen. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, die Chancen auf echte Lebenserleichterungen zu verdeutlichen, die die Digitalisierung den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen kann. Meine Überzeugung ist auch: Sie können den Fortschritt nicht aufhalten, allenfalls verzögern. Aber Wasser findet immer seinen Weg. Und wenn wir uns nicht mit einer Technologie beschäftigen und den Rahmen gestalten, in der sie Verwendung findet, dann tun das andere Länder.
Was ist Ihr Fazit dieses ungewöhnlichen Jahres?
Bär: Never waste a crisis. Ich glaube, wir konnten dieses Jahr allen Bedenkenträgern zum Trotz eines feststellen: Digitalisierung ist kein „nice to have“, sondern eine absolute Notwendigkeit. Ja, es wurde uns durch Corona schonungslos vor Augen geführt, wo wir noch nachjustieren müssen. Aber wir können auch positive Lehren ziehen. Es hat einen echten Digitalisierungsschub gegeben, der so vorher in dem Tempo nicht denkbar gewesen wäre. Nehmen wir beispielsweise die Schulen, auch wenn dort noch viel zu tun ist: Die Türen für Veränderungen sind nun so weit offen wie nie zuvor. Wir müssen auf den Erfahrungen nun aufbauen und die Dynamik nutzen – auch über die Pandemie hinaus. Das gilt ebenso für Unternehmen und die Wirtschaft. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir von einer erfolgreichen Industrienation auch zu einer erfolgreichen Digital-Nation werden können.
Redakteurin
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