Für die Wirtschaft, die Gesellschaft und auch die Politik ist eine aktiv vorangetriebene digitale Transformation ein zentraler Erfolgsfaktor. „Das oberste Gebot lautet, dass Digitalisierung den Menschen nutzt und nicht umgekehrt – das müssen wir vermitteln“, erklärt Kristina Sinemus, als Ministerin für digitale Strategie und Entwicklung in Hessen die erste ihrer Art auf Landesebene in Deutschland. Denn ein sicherer Umgang mit digitalen Technologien bringt Zukunftsfähigkeit, erleichtert Alltag und Arbeit, schafft Zugang zu Bildung und unterstützt soziale Interaktion. Dazu müssen Teilbereiche in Deutschland jedoch digital noch durchstarten. Eine belastbare technologische Struktur ist der Grundpfeiler für nachhaltige Effekte – ob in der Wirtschaft oder der Politik.
„Die Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und der Wirtschaft ist heute wichtiger denn je – und auch kontinuierlich Stück für Stück besser geworden. Wenngleich es natürlich noch Luft nach oben gibt“, betont Juan Perea Rodriguez, der Head of Public Sector Central Europe und Mitglied der Geschäftsleitung bei Fujitsu Technology Solutions Deutschland ist. Seit 20 Jahren arbeitet er mit dem öffentlichen Sektor von Unternehmensseite aus zusammen.
Inwieweit aber kann die Wirtschaft im Prozess des digitalen Wandels ein Vorbild für die Politik sein? Ministerin Sinemus vertritt eine klare Meinung: „Es geht gar nicht darum, dass die Politik von der Wirtschaft lernt. Es geht definitiv darum, dass wir voneinander lernen.“
Hat sich die digitale Transformation durch die Pandemie in Politik und Wirtschaft beschleunigt?
„Es ist ein Prozess in Gang gekommen, der sonst langsamer vorangeschritten wäre. Wenn ich das mal als Biologin mit der Evolution vergleiche, haben wir eine Art Selektionsdruck durch das Brennglas Pandemie auf die Digitalisierung. Und durch diesen Druck waren wir gezwungen, schneller zu reagieren. Das heißt, wir nutzen Technologie im Alltag und in den Behörden jetzt tatsächlich“, erklärt Sinemus. „Aus meiner Sicht haben wir durch die Pandemie gelernt, dass Digitales auch für die Zukunft eine wichtige Ergänzung zum Analogen sein wird. Geschäftsprozesse wurden digital noch einmal ganz neu gedacht – und dadurch wird tatsächlich auch ein Stück weit Disruption möglich.“
Durch die Pandemie zusätzlich angetrieben konnte so in Hessen innerhalb von neun Monaten die Zahl der Glasfaser-Anschlüsse an Schulen verdoppelt werden. Laut Sinemus ein Musterbeispiel für Digitalisierung.
Trotzdem bevorzugen Behörden deutschlandweit bei der Kommunikation mit Bürgern häufig noch den analogen Weg. Bei der Inanspruchnahme von E-Government-Diensten belegt Deutschland mit einer Quote von nur 49 Prozent den 26. Platz im EU-Vergleich. Das zeigt der aktuelle Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft der EU-Kommission.
Fujitsu-Experte Rodriguez ist der Überzeugung, dass in der Verwaltung die Digitalisierung in der Vergangenheit zu häufig verteufelt wurde. Heute sind viele Bürger deutlich offener und geschulter im Umgang mit digitalen Medien. Positiv sei, dass man jetzt auch endlich über Aspekte wie Datenschutz, Sicherheit und Transparenz rede. Die Kommunikation ist hier ein zentraler Aspekt, um das Vertrauen der Bürger zu erlangen.
Wie hat sich die Arbeit von Politikern und Angestellten in der öffentlichen Verwaltung durch Corona verändert?
Im Zuge der Krise hat New Work Stück für Stück auch in Behörden Einzug gehalten. Nicht nur als Pandemiefolge ist das ein Muss. Denn: Die Behörden brauchen dringend digital versierte Fachkräfte, um die Zukunft zu gestalten. Man müsse noch viel intensiver daran arbeiten, diese zu gewinnen und auszubilden. Die öffentliche Hand befinde sich durchaus im Wettbewerb um Talente mit der Wirtschaft. Aber spannende Projekte seien oftmals wichtiger als das Geld, so Sinemus. Das sei beim Aufbau des Digital-Ministeriums ein wesentlicher Aspekt gewesen – und ein Grund, weshalb man auch außerhalb der Verwaltung neue Talente gewonnen habe, die Zukunft mitdenken und mitgestalten wollen, berichtet die Minsterin.
Die Kommunen mit ihren Digitalisierungsvorhaben in der Verwaltung sind ein besonders wichtiger Kunde des hessischen Ministeriums. „Wir sind, so glaube ich, das erste Land, das lizenzfreie Software statt Geld in die Kommunen gibt. Dadurch sind die Prozesse zur Digitalisierung einerseits schneller geworden. Andererseits haben wir die Kommunen selbst in die Lage versetzt, voneinander zu lernen – die Erfahrungen mit neuer Software können diese an andere weitergeben.“
Wie kommunizieren Wirtschaft und Verwaltung auf Augenhöhe?
„Wir wollen speziell für die einzelnen Ressorts wie Polizei oder Krankenhäuser in der Lage sein, die Sprache der Verwaltung zu sprechen. In all diesen Bereichen gibt es unterschiedliche Herausforderungen und es werden digitale Technologien genutzt, um diesen zu begegnen. Solange wir nicht in der Lage sind zu sagen, was man etwa mit der Blockchain in der öffentlichen Verwaltung bewerkstelligen kann oder wie man über diese Technologie eine Wahl sicher gestaltet, sind diese digitalen Tools aber nutzlos“, umschreibt Juan Perea Rodriguez die Herangehensweise seines Hauses.
Es seien zunächst Fragen zu beantworten: Was machen wir mit Künstlicher Intelligenz bei der Polizei und in der Justiz? Wie und wo sind Überlegungen in Richtung Smart City in der Praxis sinnvoll? Das zu verstehen sei für die Anbieter und Nutzer dieser Systeme enorm wichtig.
Wiederum gilt: Der nutzenstiftende Einsatz von Technologie gelingt nur über den engen Austausch. „Wir bei Fujitsu haben Know-how zu den Technologien, aber die Herausforderung lautet, diese auf die tatsächlichen Probleme der Verwaltung anzuwenden. Dafür müssen wir aber noch enger mit ihr zusammenarbeiten. Dass ein Unternehmen wie wir im stillen Kämmerlein ein Produkt entwickelt und dem Kunden in der Verwaltung dann sagt, ‚Jetzt nehmt das mal so, um die digitale Transformation voranzutreiben‘, dürfte extrem schwierig werden.“
Inwieweit dient Estland mit Blick auf Digitalisierung der Verwaltung als Vorbild?
Estlands Behörden gelten seit Jahren als Vorreiter der Digitalisierung. Mehr als 3.000 digitale Dienstleistungen lassen sich per Bürgerkarte erledigen – sie dient unter anderem als Ausweis, Führerschein und Versichertenkarte. Aber taugt der baltische (Klein-)Staat auch als Vorbild?
„Ja, auf jeden Fall. Aber je kleiner die Einheit ist, desto leichter ist auch die komplette Digitalisierung. Für so einen Angang benötigen wir aber auch Vertrauen in Technik. Viele wissen beispielsweise nicht, was sich hinter Künstlicher Intelligenz verbirgt. Ihr erstes Gefühl ist, dass ihr Arbeitsplatz wegrationalisiert wird. Das oberste Gebot aber lautet, dass Digitalisierung den Menschen nutzt und nicht umgekehrt – das müssen wir vermitteln“, erklärt Hessens Digitalministerin.
Das sieht auch Juan Perea Rodriguez so: „Wir müssen den Nutzen digitaler Tools klarmachen – bei gleichzeitiger maximaler Transparenz. Dafür muss man nicht immer alles neu erfinden.“