Zwei menschen an einem Tisch, deren Gesichter von einer Cloud mit Binärcode bedeckt sind
21.04.2021
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Spätestens wenn der IT-Planungsrat, ein Steuerungsgremium von Bund und Ländern davor warnt, „die Kontrolle über die eigene IT zu verlieren“ oder den Datenschutz „gemäß nationalen und EU-weit gültigen Vorgaben nicht mehr gewährleisten zu können“, wird die Frage nach der Datensouveränität nicht nur in den Führungsetagen der Wirtschaft, sondern auch in der letzten Behörde Deutschlands gestellt werden müssen. Doch was ist digitale Souveränität? Ganz simpel gesagt: Es ist die Fähigkeit zur unabhängigen Selbstbestimmung in digitalen Dingen. „Selbstständig, selbstbestimmt und sicher“, nennt es der IT-Planungsrat.

Warum braucht es digitale Souveränität?

Fakt aber ist: Ob in Wirtschaft oder Verwaltung – es herrscht seltene Einigkeit darüber, dass Abhängigkeitsverhältnisse bei digitalen Technologien dringend zu vermeiden sind. Der IT-Planungsrat spricht von „hohen, zum Teil kritischen Abhängigkeiten in der IT der öffentlichen Verwaltung zu einzelnen Technologieanbietern“ – hier vor allem aus den USA. Aus diesem Grund hat man nun eine Strategie entworfen, die es Behörden künftig einfacher machen soll, digital souverän zu handeln. In deren Zentrum steht eine breit angelegte Wechselmöglichkeit, Gestaltungsfähigkeit sowie Einfluss auf Anbieter.

Laut Europäischer Kommission werden aktuell 90 Prozent der Daten in der EU von US-Unternehmen verwaltet. Doch auch China ist den Europäern in Sachen gefragter Technologielösungen – so scheint es – meilenweit voraus. Und im Zuge der Coronakrise sowie dem damit verbundenen Schub beim Einsatz von Technologie droht darüber hinaus die Gefahr, dass sich das digitale Ungleichgewicht weiter verschärft. Das zumindest glauben die im Rahmen der Bitkom-Studie befragten mehr als 1.100 Unternehmen ab 20 Mitarbeitern aller Branchen in Deutschland. Demnach erwarten acht von zehn (81 Prozent) dass die führenden Technologiekonzerne ihre Vormachtstellung weiter ausbauen werden.

Digitale Souveränität – jetzt!

Wenn es darum geht, insbesondere die Abhängigkeit von digitaler Technologie, Dienstleistungen und Expertise aus den USA und aus China zu reduzieren, muss Europa zusammenarbeiten. Die EU-Mitgliedsstaaten haben daher im Oktober 2020 vereinbart, den Aufbau einer vernetzten Dateninfrastruktur in Europa zu fördern. Doch wo steht dieses Vorhaben aktuell? Und wie können Unternehmen konkret von einem digital souveränen Europa profitieren, es sogar mitgestalten? Darüber sprechen Nicola Beer, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, DATEV-CEO Robert Mayr und DUB-Verleger Jens de Buhr in der ersten Folge von „Freiraum 25“.

Wann: Mittwoch, 5. Mai 2021
Beginn: 15 Uhr
Dauer: 25 Minuten

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Digitale Souveränität und Politik

Robert Mayr, CEO des Softwarehauses DATEV, fasst die Lage zusammen: „Die Coronapandemie hat eines besonders klargemacht: Die digitale Transformation betrifft inzwischen alle Alltagsbereiche und in Krisenzeiten macht die Digitalisierung viele Dinge überhaupt erst – wieder – möglich. Allerdings ist die Europäische Union immer noch zu sehr abhängig von Plattformbetreibern außerhalb Europas.“

Das gilt es zu verhindern, gar umzukehren – so auch der politische Konsens. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung im Sommer 2020 – im Nachgang der ersten Pandemiewelle – einen Rahmen gesetzt: „Um den wirtschaftlichen Erfolg Europas und damit seine Handlungsfähigkeit auch zukünftig zu sichern, muss Europa sowohl technologisch als auch digital souverän werden.“

Dem Ziel, ein digital souveränes Europa zu unterstützen, muss eine differenzierte Analyse vorausgehen. Es gilt unter anderem zu klären, auf welchen Feldern sich Europa in keinerlei Abhängigkeiten begeben darf. Dazu zählen beispielsweise Schlüsselindustrien, hochsichere Dienste und systemrelevante Plattformen etwa für den Datenaustausch. Entsprechend will die EU den Aufbau einer vernetzten Dateninfrastruktur in Europa anschieben.

Um besagte Schlüsselindustrien und kritische Infrastrukturen in Europa weniger abhängig von Zulieferern aus China, Taiwan, Südkorea, Japan und den USA zu machen, sollen in der EU über gezielte Förderung etwa Fähigkeiten zur Prozessor- beziehungsweise Halbleiterentwicklung aufgebaut werden. Auch im Bereich Quantum-Computing wolle Europa führend werden. Den Superrechner wird eine Schlüsselrolle dabei zugedacht, die digitale Souveränität zu stärken. Davon sollen insbesondere die Sektoren Big Data, Künstliche Intelligenz, Cloud-Technik und Cybersicherheit profitieren.

Open-Source-Anwendung zur Stärkung von digitaler Souveränität

Den Ansatz „mehr Datensouveränität über ein Mehr an eigener Technologie“ verfolgt auch das europäische Programm GAIA-X. Ziel dieser gemeinsamen Entwicklung von Deutschland und Frankreich ist es, eine sichere und vernetzte Dateninfrastruktur auf Basis von Open-Source-Anwendungen zu etablieren. Die europäische Daten-Cloud soll es Institutionen wie Privatpersonen ermöglichen, sensible Informationen auszutauschen, ohne stets auf US-amerikanische oder chinesische Anbieter zurückgreifen zu müssen.

„Die Gründung der GAIA-X-Organisation ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer europäischen Cloud- und Dateninfrastruktur“, kommentiert Bitkom-Präsident Achim Berg. DATEV-CEO Mayr ergänzt: „Die Datenpolitik und damit die digitale Souveränität Europas gehört zu den zentralen Aspekten, um eine nachhaltige europäische Alternative zu bieten.“

Gestützt wird dieser Ansatz durch zentrale Forderungen der Unternehmen aus der Bitkom-Befragung: Deutschland sei bei digitalen Technologien zu sehr auf Importe angewiesen, sollte verstärkt in eigene Entwicklungen investieren und auf dem Weltmarkt gemeinsam mit anderen europäischen Staaten eigenständiger und selbstbewusster auftreten, um neue Gestaltungs- und Innovationsspielräume zu gewinnen.

Doch ad hoc lässt sich ein Strategie- und Anbieterwechsel ganz sicher nicht bewerkstelligen. Laut der Befragung sind Digital-Importe aktuell noch von existenzieller Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. 94 Prozent der Unternehmen sind darauf angewiesen, die große Mehrheit sähe sich ohne sie nur kurzzeitig überlebensfähig.

Mayr gewährt einen Blick in die Realität der Unternehmen: „Digitale Souveränität darf jedoch nicht mit Abschottung verwechselt werden. Es muss durchaus legitim bleiben, auch nicht-europäische Lösungen einzusetzen – aber es muss eine Wahlmöglichkeit geben. Heute stehen nicht für alle unternehmerischen Bereiche rechtlich zuverlässige und technisch ausreichend skalierbare Cloud-Lösungen zur Verfügung, um den in Europa unzweifelhaft existierenden Datenschatz auch im europäischen Sinn zu heben. Um souverän zu sein, brauchen wir Alternativen.“ Zeichen dessen ist auch die kontroverse Debatte um den 5G-Netzausbau und die Form einer Einbindung des chinesischen Marktführers Huawei.

Digitale Souveränität: Ein Balanceakt zwischen Anbietern

Zentral ist: Bei digitaler Souveränität geht es gleichermaßen um die Verfügbarkeit von Alternativen sowie die Fähigkeit und Möglichkeit, bewusst zwischen ihnen wählen zu können. So drängt auch der IT-Planungsrat nicht auf ein „entweder-oder“. Damit die öffentliche Verwaltung ihre Rollen als Nutzer, Bereitsteller und Auftraggeber selbstbestimmt wahrnehmen könne, sei vielmehr „eine breite Wechselmöglichkeit“ vonnöten. Die öffentliche Hand soll demnach eine freie Wahl haben beziehungsweise flexibel umsatteln können. Die Voraussetzung dafür: IT-Architekturen, Beschaffungswege und Personalschulungen müssten darauf ausgelegt sein, einen Wechsel „mit verhältnismäßigen Kosten und angemessenem Aufwand zu erlauben“, so das Strategiepapier. Dazu bedarf es natürlich entsprechender Fähigkeiten und Kompetenzen.

Auch eine größere Einflussmöglichkeit sei notwendig: Die öffentliche Hand müsse ihre Anforderungen und Bedarfe etwa rund um „Produkteigenschaften, Verhandlung und Vertragsgestaltung gegenüber Technologieanbietern artikulieren und durchsetzen“ können.

Ein praktischer Lösungsansätz ist auch der verstärkte Einsatz von leistungsfähiger Open-Source-Software. Über diese Alternative zu kommerziellen Produkten soll sich die Verwaltung breiter aufstellen und diversifizieren. Dies förderte die „Wahlfreiheit, die Wiederverwendbarkeit von Code und Lösungen“ sowie deren flexible Anpassung. Wichtig seien zudem eine „herstellerunabhängige Modularität“ sowie offene Standards und Schnittstellen in der IT, um Wechselbarrieren zu senken.

„In den vergangenen Jahrzehnten haben wir in einigen Bereichen an Boden verloren, aber das heißt nicht zwangsläufig, dass es auch so weitergehen muss. Wenn wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen und gezielt digitale Schlüsseltechnologien fördern, können wir die Trendwende einleiten“, zeigt Bitkom-Chef Berg einen Weg für Wirtschaft und Verwaltung auf.

21.04.2021
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