E-Health Gesundheitswesen digital machen
15.11.2021    Arne Gottschalck
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Gute Medizin braucht Daten. Unmengen von Daten. Doch der Blick auf Deutschlands digitale Straßen zeigt einen Flickenteppich statt eines leistungsfähigen Netzes. Obwohl sich eigentlich alle einig darin sind, das ändern zu wollen. Auch auf einer Health-Konferenz des „Tagesspiegel“ in Berlin. Doch von Anfang an.

Daten gelten als das neue Gold, heißt es. Immerhin stehen nun die Maschinen bereit, sie zu schürfen, zu verfeinern und zu verarbeiten. Die Rechenleistung steigt stetig. Bessere Hardware, aber auch effizientere Software machen diese Entwicklung möglich. In Zahlen: Allein die Rechenleistung der KI-Systeme verdoppelt sich alle dreieinhalb Monate, zeigen Forscher.

Sind wir beim Datenschutz zu sensibel?

Doch die Medizin in Deutschland kann von dieser Entwicklung nur begrenzt profitieren. Denn unter dem Argument des Datenschutzes werden immer wieder Brandschutzmauern eingezogen. „Wir sind dabei sehr streng“, sagt Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse. Er vergleicht das Vorgehen mit einer Ampel, die nicht nur Rot anzeigt, sondern an der auch ein Käfig und Ketten herabsenkt werden. Alles, um die Menschen an einem möglichen Verstoß zu hindern.

Was besser wäre? Einfach machen, sagt Baas. Eine Aufforderung, die auf dem „Tagesspiegel Fachforum Gesundheit“ immer wieder aufkam. Denn: Das Zeitfenster dazu ist nicht allzu groß. Schon weil sich am Horizont das Gespenst der „Amazonisierung“ der Medizin erhebt. Etwa, indem Tech-Unternehmen wie eben Amazon die Daten der Nutzerinnen und Nutzer verwenden, dank Hightech medizinische Schlüsse darauf ziehen, Ärzte empfehlen und die Möglichkeit der Terminbuchung anbieten und auch noch die Medikamentenlieferung.

Informationen muss man nutzen dürfen

Denn das ist eine Kernschwäche in Deutschland: Daten seien da, aber über Silos verteilt, beobachtet Daniel Cardinal, Geschäftsbereichsleiter Versorgungsinnovationen bei der Techniker Krankenkasse. Es ist aber nicht nur der Druck von außen – es sind vor allem die Möglichkeiten. Die hat Baas in den USA an den Mayo-Kliniken selbst kennengelernt.

Warum sie besser waren als etwa ein deutsches Klinikum? Für ihn aus drei Gründen: Sie sind vernetzt, haben pro Patienten einen Dokumentationsassistenten – und legen sehr viel Wert auf Fortbildung. Jeder Mediziner habe in der Woche einen Tag Luft dafür. Mit anderen Worten: Daten werden nicht nur erhoben, sondern können auch verwendet werden.

Und hierzulande? „Wir wissen als Krankenversicherung zum Beispiel, wenn jemand unter Multipler Sklerose leidet. Aber ein konkretes Hilfsangebot können wir ihm direkt nicht machen“, so Baas. Stattdessen wäre dann ein Rundschreiben an alle Versicherten nötig.

Daten allein genügen nicht

Daten ermöglichen noch viel mehr, etwa auch neue Geschäftsmodelle. Vorausgesetzt, man ersetzt nicht einfach analoge Informationen durch digitale Informationen – das löse nicht das Problem, sagt Michael Byczkowski, Global Vice President Healthcare Industry bei SAP.

Das Bizarre: Die Ausgangslage für eine digitale Transformation des Gesundheitswesens ist gar nicht schlecht. Denn der Arzt will heilen, der Patient genesen, die Versicherung will glückliche Kunden – und dazu braucht es Daten und den Zugriff auf Daten.

Zu viel Datenschutz könne daher im Verlust der Hoheit über das deutsche Gesundheitssystem münden. Der folgerichtige Wunsch der Diskussionsteilnehmer: Die Politik muss den Rahmen dafür setzen.

Und sonst? Brauche es „Kooperation“. Dieses Stichwort wirft Vanessa Schmoranzer, Partnerin vom Beratungshaus Diconium, in die Runde. Dazu braucht es einen Mindshift, eine Veränderung der Haltung. Für Baas bedeutet das: Die Politik müsse ein Ziel definieren, wo Deutschlands Gesundheitswesen etwa in fünf Jahren stehen solle. Eine entsprechende Strategie sei dann erst der zweite Schritt.