Digitalisierung des Gesundheitssystems

„Deutschland hinkt noch hinterher“

Die Telematik-infrastruktur ist das fehlende Bindeglied in der Kommunikation zwischen Ärzten, Apotheken und Krankenkassen, mahnt T-Systems-CEO Adel Al-Saleh.

25.06.2019

Patientendaten sind hochsensibel – und müssen hochsicher sein. Um das zu gewährleisten, sollen bis Ende Juni rund 170.000 Arztpraxen an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen sein, über die alle Beteiligten im Gesundheitswesen miteinander vernetzt werden. Die T-Systems-Tochter Telekom Healthcare Solutions ist einer von vier Anbietern, die Praxen mit den dafür nötigen Konnektoren versorgen. Eine fünfstellige Zahl an Praxen habe man bislang ausgerüstet, sagt Adel Al-Saleh. Der T-Systems-CEO über Fortschritte und Versäumnisse im Gesundheitswesen.


Adel al-Saleh

ist seit Januar 2018 im Vorstand der Deutschen Telekom verantwortlich für die Großkunden­sparte des Konzerns 
und CEO von T-Systems.

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Der deutsche Gesundheitssektor gilt als überreguliert und wenig beweglich. Was bedeutet das für die digitale Transformation des Bereichs?

Adel Al-Saleh: Es gibt viele Faktoren, die die Digitalisierung des Gesundheitssystems hemmen. Wir haben auf allen Ebenen einen stark fragmentierten Markt: Versicherer nutzen unterschiedliche Datenplattformen. Ähnlich sieht es bei Krankenhäusern, Ärzten und Apothekern aus. Auch die Gesetzgebung spielt eine Rolle. Ein Beispiel: Die Nutzung der Cloud – also die Nutzung von Daten und Diensten außerhalb des eigenen Rechners im Gesundheitswesen – ist erst vor Kurzem erlaubt worden.

Auf welchen Feldern wurden bislang die größten Fortschritte erzielt?

Al-Saleh: Aus unserer Sicht hätte man auf allen Feldern schneller sein können. Deutschland hinkt bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems im Gegensatz zu anderen Ländern hinterher. In Skandinavien, Großbritannien, den Niederlanden oder den USA ist man deutlich weiter. Wir haben zum Beispiel deutlich zu lange darauf warten müssen, bis Telemedizin Teil der Versorgung wird. Genauso wie darauf, dass die Cloudnutzung im Gesundheitswesen erlaubt ist. Warum soll ein Server in einem Krankenhauskeller oder einer Arztpraxis sicherer als beispielsweise in einem unserer Hochsicherheits-Rechenzentren sein? Und wir haben immer noch keine digitale Patientenakte, die allen Beteiligten das Leben leichter machen würde – Patienten, Ärzten, Pflegekräften und Krankenhäusern. Gleiches gilt für das elektronische Rezept.

Ein Eckpfeiler der Entwicklung ist die Schaffung eines sicheren Gesundheitsdatennetzes, in dem beispielsweise Ärzte Patientendaten austauschen können. Wie weit ist dessen Aufbau fortgeschritten?

Al-Saleh: Der Aufbau der Datenautobahn, also der Telematik-Infrastruktur, ist für mich ganz entscheidend für die Digitalisierung des Gesundheitssystems in Deutschland. Die Telematik-Infrastruktur ist das fehlende Bindeglied in der Kommunikation zwischen Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern und auch Krankenkassen. Wir wollen mit der Digitalisierung erreichen, dass Befunde und Behandlungsdaten, die ein Arzt erhoben hat, mit anderen, die am Behandlungsprozess beteiligt sind, geteilt werden. Im ersten Schritt sollen bis Ende Juni alle Arztpraxen angeschlossen sein. Allerdings spüren wir bei den Ärzten immer noch eine gewisse Zurückhaltung.

Welche Bedeutung hat der Bereich Telekom Healthcare Solutions für T-Systems?

Al-Saleh: Der Gesundheitsmarkt ist ein absoluter Wachstumsmarkt und deshalb für uns von strategischer Bedeutung. Laut einer Studie des Bundesgesundheitsministeriums lag die Wertschöpfung im Kernbereich der Gesundheitswirtschaft 2017 bei rund 350 Milliarden Euro in Deutschland. Auch wenn wir mit unseren Angeboten nur einen kleinen Teil abdecken, sind die Aussichten gut.

„Warum soll ein Server in einem Krankenhauskeller oder einer Arztpraxis sicherer als beispielsweise in einem unserer Hochsicherheits-Rechenzentren sein?“

Mit welchen Lösungen erzielen Sie in der Sparte den größten Umsatz?

Al-Saleh: Zu Umsätzen einzelner Sparten und Produkte machen wir keine Angaben. Wir sind im Markt der Krankenhaus-Informationssysteme, in den Bereichen Telemedizin und Internet der Dinge gut positioniert. Wenn die Telematik-Infrastruktur flächendeckend steht, werden wir auch in anderen Feldern stärker wachsen. Patientenakten oder der künftige sichere Zugriff auf medizinische Daten per Tablet oder Smartphone sind Themen, mit denen wir uns beschäftigen.

Von welcher E-Health-Innovation Ihres Hauses erzählen Sie besonders gern?

Al-Saleh: Wir haben mit der App „iMedOne ­Mobile“ ein System entwickelt, das im Markt führend ist. In den meisten deutschen Krankenhäusern werden immer noch Papierakten eingesetzt. Mit unserer App können Ärzte und Pflegekräfte per Smartphone und Tablet auf die vollständige Patientenakte zugreifen. Sie holen sich Daten wie Röntgenbilder, Laborwerte oder Behandlungsverläufe unabhängig von Ort und Zeit auf den Bildschirm und können diese direkt mit Kollegen oder dem Patienten besprechen. Änderungen von Medikamentengaben, Diagnosen oder auch Wunddokumentationen mit Bildern können in Echtzeit ins System eingepflegt werden. Dadurch wird die Arbeit effektiver; es bleibt mehr Zeit für die Patienten. Neben „iMedOne Mobile“ ist die App „Sea Hero Quest“ etwas ganz Besonderes. Diese kann sich jeder kostenlos im iTunes-Store oder als Android-Version herunterladen. Mittlerweile haben das weit über vier Millionen ­Per
sonen gemacht. Der Hauptzweck des Spiels ist, Daten zu sammeln, die der Alzheimer-Forschung zugutekommen. Die bisher auf diese Weise zusammengetragenen Daten ersetzen mehr als 10.000 Jahre Forschung. Und so müssen wir es auch Ärzten und Apothekern ermöglichen, Daten komfortabel aus­zutauschen. Letztlich geht es darum, Standards zu entwickeln, um Daten aus unterschiedlichen Quellen in Datenbanken zusammenzuführen – und dann mithilfe von Big-Data-Analytics sowie Künstlicher Intelligenz aus diesen Datenmengen sinnvolle Informationen herauszufiltern. Natürlich immer, ohne das Recht der Individuen an den eigenen Daten zu beschneiden.

Sie haben eine cloudbasierte Tracking-Lösung für Krankenhäuser entwickelt. Wofür wird sie genutzt?

Al-Saleh: Unsere Techniker vernetzen in Krankenhäusern zum Beispiel EKG-Geräte, Überwachungs­monitore, Beatmungsgeräte oder Absaugpumpen mit kleinen Sendern, sogenannten Beacons. Sie senden ihre Positions- und Zustandsdaten per WiFi oder Mobilfunk an eine Cloudplattform. Damit wissen Ärzte, Pflegekräfte und die Krankenhausleitung immer, wo die Geräte stehen und welches Gerät wie stark ausgelastet ist. Und wie es bewegt wird. Auf Basis dieser Informationen können Kliniken viel besser Ressourcen planen und die Abläufe optimieren.