Analytics
Data Science sichert Konkurrenzfähigkeit
Die Menge der Daten, über die ein Unternehmen verfügt, ist nicht entscheidend. Wichtiger seien die Datenqualität sowie die Art und Weise, wie mit den Daten gearbeitet wird, betont Manuel de Francisco. Der Senior Director Data Science & Analytics bei Vinted zeigt auf, wie Datenmanagement den größtmöglichen Mehrwert bieten kann.
Manuel de Francisco
ist Senior Director Data Science & Analytics bei Vinted, dem größten C2C Marktplatz für Secondhand-Mode in Europa
Welche Daten, die Unternehmen haben und aus denen sich eigentlich interessante Schlüsse für die Unternehmensentwicklung ziehen ließen, werden Ihrer Meinung nach besonders unterschätzt?
Manuel de Francisco: Alle Unternehmen streben nach Big Data – also Datenmengen, die besonders schnell und vielfältig sind und allem voran ein großes Volumen aufweisen. Was Unternehmen dabei oft unterschätzen ist, wie schwierig die Erhebung von qualitativ hochwertigen Daten sowie die adäquate Analyse dieser ist. Dabei hat auch Small Data seine Daseinsberechtigung. Denn entscheidend ist hier die Relevanz der Daten. Auch Small Data, beispielsweise einzelnes Kundenfeedback, hat das Potenzial, für einen Wettbewerbsvorteil zu sorgen und kann wichtige Insights liefern. Spannend finde ich auch den Ansatz von Andrew Ng, einem der Väter der aktuellen Modelle für Machine Learning und Deep Learning. Er plädiert dafür, dass sich Unternehmen stärker auf die Qualität der Daten konzentrieren sollten, die sie zum Trainieren ihrer Modelle verwenden. Letztendlich hat ein altes Sprichwort nicht an Aktualität verloren: garbage in, garbage out.
Unternehmen sammeln viele Daten. An der Auswertung hapert es aber oft. Woran scheitert das Datenmanagement?
de Francisco: Die Ausmaße der verfügbaren Datenmengen sind in der Tat unfassbar: So werden mittlerweile täglich mehr als 2,5 Trillionen Byte an Daten generiert. Und wie Sie schon angerissen haben: Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in der reinen Anhäufung dieser Daten, sondern darin, welche Erkenntnisse man aus diesen zieht. Um in diesem Bereich sowohl mit den ständig wachsenden Datenbergen, aber auch grundsätzlich mit den technischen Entwicklungen der letzten sowie der kommenden Jahre Schritt halten zu können, dürfen vor allem Tech-Start-ups nicht den Anschluss verpassen. Vielmehr müssen sie regelmäßig neue Tools und Frameworks screenen und den möglichen Nutzen für ihr Unternehmen bewerten, um diese Tools und Frameworks gegebenenfalls zu implementieren. Gerade im Bereich Big Data sind die Produktentwicklungen äußerst schnelllebig, die dabei helfen, das Datenmanagement so effizient wie möglich zu gestalten.
Welche Potenziale werden verschenkt, wenn Daten ungenutzt bleiben?
de Francisco: Ich empfehle Unternehmen, eine wirklich progressive Form von Data Science & Analytics zu etablieren. Besteht kein umfassender Überblick über die Daten, die man generiert, gefährdet diese Wissenslücke im schlimmsten Fall das Erreichen der Unternehmensziele. Mittel- bis langfristig kann dadurch der Geschäftswert minimiert werden; die Wettbewerber können sich durch modernes Datenmanagement einen Wissensvorsprung erarbeiten, was zwangsläufig zu dauerhaften Nachteilen im Konkurrenzkampf führt.
Welche drei Tipps haben Sie für Unternehmerinnen und Unternehmer, die gerade damit beginnen, sich intensiver mit den Daten in ihrem Betrieb auseinanderzusetzen?
de Francisco: Auch wenn es eine Plattitüde ist, aber hier trifft es zu: Zeit ist Geld. Was ich damit meine? Sollte sich ein Unternehmen bis dato noch nicht intensiv mit den vorhandenen Daten auseinandersetzen, besteht jetzt Handlungsbedarf. Gerade in Krisenzeiten, in denen die Rezession nach wie vor wie ein Damoklesschwert über uns hängt, müssen Unternehmen smart agieren und alle ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zielgerichtet nutzen. Deshalb sollten jene Unternehmen, die den Bereich Data Science & Analytics bislang vernachlässigt haben, schnellstens Expertinnen und Experten mit dem geforderten Fachwissen rekrutieren, die eine umfassende Datenstrategie entwickeln und etablieren. Daran schließt für mich logisch an: neue Trends der Branche stets im Auge behalten. Unternehmen, die keine State-of-the-Art-Technologien beziehungsweise keine zeitgemäßen Frameworks nutzen – beispielsweise das aktuell viel diskutierte Data Mesh –, werden von potenziellen neuen Arbeitnehmenden, die sich nach einer neuen Herausforderung umschauen, nicht beachtet. Der Arbeitsmarkt ist hart umkämpft. Und wer in Data Science & Analytics-Berufen arbeitet, möchte auch stets an den neuesten Entwicklungen tüfteln. Deswegen lohnt es sich darüber hinaus auch auf die Weiterbildung der bestehenden Belegschaft zu setzen, um sicherzustellen, dass der eigene Betrieb stets dem höchsten Standard entspricht.
Sie haben das Stichwort schon genannt: Was hat es mit Data Mesh auf sich?
de Francisco: Bei Data Mesh handelt es sich um eine domaingesteuerte analytische Datenarchitektur, die sich durch ein hohes Maß an Agilität auszeichnet. So ist der Grad an Dezentralisierung höher als bei anderen älteren Ansätzen wie zum Beispiel einem zentralen Data Warehouse oder Data Lake. Die Autonomie der einzelnen Teams nimmt beachtlich zu, die Erfassung und Verarbeitung spezifischer Daten liegt verstärkt bei diesen. Dadurch werden sie automatisch befähigt, selbstständiger zu entscheiden und zu arbeiten. Prozesse, die zuvor aufgrund von umfangreichen Abstimmungsschleifen sehr behäbig waren, werden dadurch enorm beschleunigt. Gleichzeitig werden für alle Mitarbeitenden geltende Richtlinien etabliert, die wie der zentrale Datenmarktplatz dafür sorgen, dass das gesamte Unternehmen Zugriff auf die vorhandenen Daten hat und diese auch möglichst einfach nutzen kann.
Brauchen Unternehmen eigentlich zwingend einen Chief Data Officer, der das Datenmanagement übernimmt?
de Francisco: Bevor ich darauf eingehe, ob eine C-Level-Funktion für den Bereich Data notwendig ist, ein grundsätzlicher Gedanke: Aktuell sind Data Science & Analytics-Expertinnen und -Experten so gefragt wie nie zuvor. Das liegt nicht nur am anhaltenden Fachkräftemangel, sondern auch am sich wandelnden Bewusstsein auf Ebene der Entscheiderinnen und Entscheider für eben diesen Fachbereich. Sie verstehen vermehrt, wie wichtig diese Arbeit für den Unternehmenserfolg ist und dass dafür die passenden Mitarbeitenden benötigt werden. Unternehmen, die es versäumen, eben jene Fachkräfte zu rekrutieren, laufen Gefahr, den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren.
Also wird eine Art Chief Data Officer gebraucht?
de Francisco: Es ist fraglich, ob die spezifische Rolle des Chief Data Officer notwendig ist. Es gibt keinen Konsens darüber, was die üblichen Positionen im Bereich Data Science & Analytics in den Unternehmen sind. Jeden Tag werden neue Titelbezeichnungen für diesen Bereich kreiert. Ich sehe dies als eine Folge mehrerer Faktoren. Erstens gewinnt Data Science & Analytics in der Entscheidungsfindung und Strategie der Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Zweitens schaffen die Entwicklungen bei den schnellsten Datentechnologien und die zunehmende Komplexität von Machine Learning und Künstlicher Intelligenz mehr Nischenfunktionen. Drittens ist Data Science & Analytics noch eine junge Funktion in Unternehmen. Bis vor zehn Jahren gab es nicht einmal den Begriff Data Scientist. Titel wie CDO, VP of Data, Director of Data und so weiter hängen von der organisatorischen Komplexität des jeweiligen Unternehmens ab – und davon, inwieweit Data Science & Analytics Teil des Kernwerts sind, den das Unternehmen seinen Nutzerinnen und Nutzern bietet. Unabhängig von der Bezeichnung bin ich der Meinung, dass Unternehmen eine unabhängige Führungsrolle in ihren Managementteams einrichten müssen. Unabhängig bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Analysefunktion nicht Teil des Finanz- oder Technologie-Teams ist, sondern eine Extra-Funktion mit der Aufgabe, die Daten maximal zu nutzen.
Und wie müssen Unternehmen darüber hinaus ihre Infrastruktur anpassen, um erhobene Daten sinnvoll nutzen zu können?
de Francisco: Die Verwaltung dieser massiven Datenflut ist eine sehr große Herausforderung. Daher führt kein Weg daran vorbei, den vorhandenen Tech-Stack kontinuierlich auf seine Effizienz zu überprüfen. Denn sind wir ehrlich: Es erfordert die neuesten Technologien und Speicherformate, die das Empfangen, Verarbeiten und das Analysieren dieser Daten auch tatsächlich ermöglichen und unter Einhaltung strenger Datenschutzvorschriften den größtmöglichen Nutzen erzielen. Daher benötigen Betriebe ausdifferenzierte, breit aufgestellte Expertinnen- und Experten-Teams sowie eine maßgeschneiderte Infrastruktur für einen fortschrittlichen Data Science & Analytics-Ansatz. Eine aktuelle Umfrage des Research- und Beratungsunternehmens Gartner prophezeit zum Beispiel, dass Betriebe, die nicht rechtzeitig eine cloud-basierte Strategie einführen, es in Zukunft schwer haben werden, mit der Konkurrenz Schritt zu halten.
Welche Vorteile bringt die Cloud?
de Francisco: Die Cloud spart – im Gegensatz zur Datenverarbeitung auf eigenen physischen Servern – Zeit. Die Prozesse laufen auf cloud-basierten Lösungen deutlich effizienter ab. Sie sorgt außerdem für eine sehr präzise und einfache Skalierbarkeit, da der Return on Investment ganz konkret bestimmt werden kann. Die dezidierten Kosten, um ein bestimmtes Modell zu durchlaufen, sind einsehbar und lassen sich anschließend mit dem expliziten Effekt dieses Modells auf das laufende Geschäft abgleichen.
Im Mai ist die DSGVO seit fünf Jahren in Kraft. Und die Einstellung zum Umgang mit persönlichen Daten wirkt irgendwie paradox: Auf Facebook & Co. werden sie freigiebig und freiwillig geteilt; aber dort, wo Menschen einen echten Mehrwert durch das Teilen von Daten haben könnten – etwa im Gesundheitswesen –, werden diese zurückgehalten. Woran liegt das?
de Francisco: Meiner Meinung nach hat die DSGVO tatsächlich die Art und Weise verändert, wie Menschen Informationen mit digitalen Plattformen teilen. Sie hat dazu beigetragen, den Kundinnen und Kunden zu verdeutlichen, welche Daten erhoben und wie sie verwendet werden. Die Verordnung hat auch dazu geführt, dass Unternehmen die volle Verantwortung dafür übernehmen, wie sie mit den Daten umgehen. Viele Datenlecks wurden aufgedeckt, wodurch das Bewusstsein der Öffentlichkeit nochmals geschärft wurde. Die Menschen sind sich auch mehr der Vorteile bewusst, die die Weitergabe ihrer Daten mit sich bringt – vor allem dann, wenn der Nutzen, den sie daraus ziehen, leicht nachzuvollziehen ist. Ihrer letzten Aussage würde ich widersprechen und sagen, dass das Gesundheitswesen ein Sektor ist, der wirklich von einer stärkeren Weitergabe von Daten durch die Menschen profitiert hat, weil die Vorteile für sie eben so offensichtlich sind. Um nur einige zu nennen: Die Nutzung von Daten für eine bessere Diagnostik, Krankheitsbekämpfung, Forschung und Untersuchung sowie die Digitalisierung der Gesundheitsdienste werden – soweit ich das beurteilen kann – von der Bevölkerung begrüßt und angenommen.
Redakteurin
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