Deutscher Bundestag in Berlin
20.08.2021    Christian Buchholz
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Illustration zum DUP-WahlcheckWohin steuert Deutschland in Zukunft? Nach der Bundestagswahl am 26. September und dem Ende der 16-jährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel ziemlich sicher in eine neue Richtung. Die bisherigen Aussagen und Prognosen legen nahe: Aller Voraussicht nach regiert nach der Wahl eine neue Koalition, ganz sicher aber eine neue Bundeskanzlerin oder ein Bundeskanzler. Ob dann CDU-Chef Armin Laschet, Finanzminister Olaf Scholz oder Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock die neue Regierung anführt, scheint offen.

Denn die politische Farbenlehre hat sich durch die zurückliegenden Landtagswahlen verändert – und hält neue Koalitions- und Machtoptionen bereit. Waren beispielsweise die Jamaika-Sondierungsgespräche 2017 noch gescheitert, stellt sich die Frage: Sind in diesem Jahr auf Bundesebene Konstellationen möglich, die in manchen Ländern bereits funktionieren?

Spannendes Rennen ums Kanzleramt 

Der 26. September 2021 wird ein historischer Tag. Viel Zeit zum Feiern werden die Gewinner aber nicht haben, denn unmittelbar nach der Wahl zum 20. Bundestag muss für sie die Arbeit beginnen. Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Innovationen dulden keinen Aufschub mehr. Doch wer setzt welchen Schwerpunkt? Und wer kann der deutschen Wirtschaft nach der Coronakrise schnellstmöglich wieder auf die Beine helfen? Mögliche Antworten geben die Wahlprogramme der potenziellen Regierungsparteien CDU/CSU, Grüne, SPD und FDP. Das „Zukunftsprogramm“ der SPD ist mit 66 Seiten das kürzeste, die Grünen versprechen auf 272 Seiten: „Alles ist drin“. 

Doch bietet ein umfangreicheres Wahlprogramm zwangsläufig auch mehr Inhalt für den Wähler? DUP UNTERNEHMER wollte es genau wissen und hat zur besseren Orientierung Expertinnen und Experten, Verbände und auch die politischen Parteien zu den Inhalten befragt.

Breites Bewusstsein für Nachhaltigkeit

Klimaschutz und Nachhaltigkeit – das sind seit Gründung im Januar 1980 die Kernthemen von Bündnis 90/Die Grünen. Aus einer Nische heraus ist die Bedeutung dieser Themen längst im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit angekommen – schließlich ist der Klimawandel in Form von Hitze, Dürre oder Überschwemmungen auch hierzulande direkt spürbar. 

Die Parteien im politischen Berlin haben spätestens mit den öffentlichkeitswirksamen „Fridays for Future“-Demonstrationen und nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Stärkung des Klimaschutzes begriffen: Deutschlands Zukunft muss grüner werden. 

FDP-Chef Christian Lindner sagt: „Klimaschutz ist eine Menschheitsaufgabe. Damit er gelingen kann, müssen wir unser wirtschaftliches Fundament stärken.“

Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz möchte vor allem die Arbeitsplätze in der Industrie sichern und stellt fest: „Klimaschutz müssen sich 83 Millionen Bürgerinnen und Bürger leisten können.“ Fast alle Parteien präsentieren in ihren Programmen mehr oder weniger innovative Ansätze für eine nachhaltigere Zukunft – auch ohne Verzicht.

Lesen Sie hier die Interviews mit Olaf Scholz und Christian Lindner

SDP-Kanzlerkandidat im DUP Wahl-Check

Olaf Scholz: „Ich will eine Gigabit-Gesellschaft“

Fast alle setzen auf Klimaschutz

„Erfreulich ist, dass das Thema Nachhaltigkeit in fast alle Wahlprogrammen der im Bundestag vertretenen Parteien Einzug gehalten hat. Sie bekennen sich zur Agenda 2030 und zu den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nation. Unrühmliche Ausnahme ist die AfD, die das Pariser Klimschutzabkommen vom 12. Dezember 2015 sogar kündigen will“, analysiert Yvonne Zwick, Vorstandsvorsitzende des Bundesdeutschen Arbeitskreises für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.). Sie sieht aber weiteres Verbesserungspotenzial und wünscht sich, dass die Parteien die Wirkung der Klimschutzmaßnahmen klarer benennen sowie Kosten und Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger wie auch für die Unternehmen noch transparenter darstellen. 

Ein möglicher Schlüssel auf dem Weg zu mehr Klimaschutz wäre für Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, dass die digitale Souveränität in den entscheidenden Technologiefeldern auf ein neues Niveau gehoben und die digitale Teilhabe der Gesellschaft stark verbessert wird. „Durch Digitalisierung können wir nachhaltiger und möglichst klimaneutral wirtschaften und so auch unsere Widerstandskraft gegenüber künftigen Krisen deutlich stärken“, so Rohleder.

Wachstumshürde Bürokratie

Die Coronapandemie und die damit verbundenen monatelangen Lockdowns haben viele Unternehmen und ganze Branchen in Schieflage gebracht – in Deutschland und weltweit. Eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung ist es deshalb, die Wirtschaft weiter anzukurbeln und schnellstmöglich auf das Vor-Krisen-Niveau zu bringen. Denn eine starke Wirtschaft und leistungsfähige Unternehmen sind die Voraussetzung dafür, dass Deutschland die gesellschaftlichen Herausforderungen in den nächsten Jahren bewältigen kann. Bürokratie und zusätzliche Belastungen wirken hingegen kontraproduktiv.

Das sieht auch Reinhold von Eben-Worlée so. Der Präsident des Unternehmensverbands DIE FAMILIENUNTERNEHMER sagt: „Die Programme von CDU und CSU sowie der FDP stimmen mich sehr positiv, dort sehe ich gute Ansätze hin zu einem modernen Staat. Diese Parteien haben auch ein Verständnis dafür, dass wir beim Thema Steuern und Sozialabgaben bereits eine Belastungsgrenze erreicht haben.“

Die viel diskutierte Forderung von SPD, Grünen und Linken nach einer Vermögenssteuer hätte laut von Eben-Worlée dramatische Folgen für die Wirtschaft und die Zukunft, da der Großteil des Vermögens in Deutschland betrieblich gebunden ist. „Wenn wir in der Krise damit anfangen, Produktionsanlagen, Fuhrparks und Rücklagen zu besteuern, fehlen den Unternehmen die Mittel für neue Ausbildungsplätze oder wichtige Investitionen in den Klimaschutz und die Digitalisierung.“

Investieren in den Standort Deutschland

Apropos Zukunftsinvestitionen: Die sind zwingend erforderlich, damit Deutschland als Standort für Forschung und Innovationen international konkurrenzfähig bleibt. Ralf-Uwe Bauer, Vorstandsvorsitzender des Verbands innovativer Unternehmen, kritisiert, dass es in Deutschland immer noch nicht ausreichend gelingt, den Forschungstransfer von den Hochschulen  in Form von neuen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen in die Unternehmen zu bringen. 

„Die Grünen und die SPD setzen sich im Grundsatz für einen staatsgetriebenen sozial-ökologischen Wirtschaftswandel ein, konzentrieren sich im Bereich der Technologie aber zu einseitig auf Klimaneutralität und Umweltthemen“, so Bauer. Bei CDU/CSU und FDP sieht er dagegen einen ökologisch, ökonomisch und sozial geprägten Ansatz und mehr Technologieoffenheit. Bauer fordert von der nächsten Bundesregierung einen erheblichen Auf- und Ausbau von Forschungskapazitäten in den mittelständischen Unternehmen. „Nur kontinuierlich forschende Unternehmen sind in der Lage, sich in einer sehr komplexen technologischen Welt nachhaltig wirtschaftlich erfolgreich aufzustellen“, so Bauer.

Steuern runter, Start-up-Förderung rauf

Anton F. Börner ist Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistung (BGA) und hat per Definition einen globalen Blick auf die Wirtschaft. Da die Erholung in vielen Ländern zuletzt stagnierte, bringt das für Deutschland als Exportnation Probleme mit sich. Aus Sicht des Groß- und Außenhandels hält er deshalb weitere Freihandelsabkommen und nach der Coronakrise eine Rückkehr zu mehr marktwirtschaftlichen Prozessen sowie weniger Einfluss des Staates für sinnvoll. Weitere Steuererhöhungen lehnt BGA-Chef Börner ab: „Wir begrüßen, wenn sich die Parteien mit praktikablen Vorschlägen befassen, um die Unternehmensbelastung auf ein international vergleichbares Niveau von 25 Prozent zu senken.“

Deutschland fit für die Zukunft und international wettbewerbsfähig machen – das kann auch gelingen, wenn die politischen Rahmenbedingungen für Gründer und Start-ups verbessert werden. Denn vielleicht sind die kleinen Firmen von heute die großen Arbeitgeber und Steuerzahler von morgen. Christian Miele, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Deutsche Start-ups, fordert deshalb: „Das Thema Start-ups muss nach ganz oben auf die politische Agenda. Denn das Jobpotenzial bei Start-ups und Scale-ups ist gewaltig.“ Miele verweist auf das Beispiel Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron persönlich für Investments in heimische Unternehmen wirbt.

Deutschland muss digitaler werden 

Bessere Rahmenbedingungen für Start-ups bedingen eine bessere digitale Infrastruktur. Die Coronapandemie hat zudem die Bedarfe vor allem in den Schulen, Behörden und Institutionen schonungslos offengelegt. Professor Christoph Meinel, Direktor des renommierten Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam, verlangt von der nächsten Bundesregierung deshalb ein grundsätzliches Verständnis und Weichenstellungen, um die Digitalisierung im öffentlichen Bereich und auf allen föderalen Ebenen voranzubringen: „Dazu muss allen Beteiligten klar sein, dass die Regulierungen verändert und den Notwendigkeiten der Digitalisierung angepasst werden müssen“, so Meinel.

Bitkom-Chef Rohleder fordert nach der Wahl schnelle und tiefgreifende Veränderungen in Form einer Föderalismusreform sowie die Einführung eines Digitalministeriums, wie es Bayern bereits eingerichtet hat: „Dafür braucht es unter anderem einen Digitalvorbehalt. Das heißt: Analaog zum Finanzvorbehalt müssen politische Vorhaben auf ihre Digitalisierungswirkung hin überprüft und angepasst werden.“ 

Eine Bremse der digitalen Transformation ist die unterschiedliche Auslegung des Themas Datenschutz – für den aber nicht die Bundesregierung, sondern die Länder zuständig sind. Für Meinel vom Hasso-Plattner-Institut steht fest: „Die föderale Zersplitterung verhindert die Etablierung digitaler Infrastrukturen.“

Vor allem die amerikanischen Tech-Giganten scheinen den Zugang zu Geschäftsmodellen im Netz zu steuern. Der Vorsitzende der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit, Professor Rolf Schwartmann, schlägt vor: „Für die Stärkung der Datenhoheit der Nutzer und der europäischen Wirtschaft muss ein offenes Ökosystem geschaffen werden, in dem die Daten von Apple, Google, Amazon und Co. aktiv mit denen europäischer Anbieter gleichgestellt werden.“

20.08.2021    Christian Buchholz
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