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KI-Debatte: Kann Deutschland aufholen?

Wie schaffen Deutschland und Europa ein Gegengewicht zu US-Techkonzernen? Maximilian Funke-Kaiser (FDP) plädiert für weniger Regulierung und Bürokratie, Dr. Anna Christmann (Bündnis 90/Die Grünen) sieht in der Kapitalbeschaffung für Start-ups eine wichtige Stellschraube. Zwei Gastbeiträge.

Symbolbild zum Thema KI / Künstliche Intelligenz

25.10.2024

"Deutschland fällt bei der Regulierung immer wieder durch die Übererfüllung geltenden EU-Rechts auf."

Maximilian Funke-Kaiser

ist digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

Mit der europäischen KI-Verordnung, dem AI Act, gelten bei der Zukunftstechnologie Künstliche Intelligenz endlich in der gesamten EU dieselben Regeln – in der Theorie zumindest. Deutschland fällt bei Regulierungen immer wieder durch die Übererfüllung geltenden EU-Rechts auf, das in der nationalen Gesetzgebung weiter verschärft wird. Bei einer essenziellen Technologie wie KI und in einer wirtschaftlich angespannten Lage kann sich die Bundesrepublik diesen Luxus nicht weiter leisten. Der AI Act bringt zwei entscheidende Vorteile für die EU. Er schafft Rechtssicherheit, und er harmonisiert die Bestimmungen in ganz Europa – diese Vorteile dürfen wir durch die deutsche Tendenz zur Überregulierung in der nationalen Umsetzung nicht zerstören.

Keine zusätzliche Bürokratie

Der AI Act muss in Deutschland einheitlich und von einer zentralen Stelle aus umgesetzt werden. So können wir die Fehler, die die Bundesrepublik bei der schlechten nationalen Umsetzung der DSGVO gemacht hat, vermeiden. Sollte die Aufsicht über die KI-Verordnung ähnlich zerfasern, bindet sich Deutschland im internationalen Wettbewerb um KI einen unnötigen Klotz ans Bein. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen rate ich daher dringend davon ab, dass Landes- oder Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit den AI Act auf nationaler Ebene ausgestalten. Die Bundesnetzagentur ist in meinen Augen der ideale Kandidat. Ihre Unabhängigkeit, umfassende Fachkompetenz und die vorhandenen Strukturen machen sie zur besten Wahl, insbesondere angesichts der Dringlichkeit und des knappen Zeitrahmens. Die Bundesrepublik braucht in dieser wirtschaftlich schwierigen Lage klare Zuständigkeiten und eine einheitliche Auslegung der KI-Regulierung ohne zusätzliche Bürokratie. Nur wenn sich die wirtschaftliche Lage erholt und die Regulierung schlank bleibt, können wir eine weltweit erfolgreiche KI-Branche „made in Germany“ etablieren.

Start-ups brauchen dynamisches Umfeld

Für dieses Ziel müssen sich die Umstände verbessern, und es muss insbesondere für Start-ups ein dynamisches Umfeld geschaffen werden – schließlich haben auch Marktführer wie Microsoft einmal klein angefangen. Start-ups und Ausgründungen sind Innovationsträger. Mit diesem Wissen lohnt sich der Blick über die Grenzen: Frankreich besticht mit einer besonders dynamischen Szene. Dort wird bei gleicher Regulierung ein Vielfaches an Wagniskapital in Start-ups investiert, und der Staat steht in rechtlich-organisatorischen Fragen unterstützend zur Seite, anstatt die eigene Wirtschaft bürokratisch auszubremsen. Finanzminister Christian Lindner hat sich von der besonders erfolgreichen französischen Tibi-Initiative inspirieren lassen und die deutsche WIN-Initiative als Pendant aufgelegt.
Das ist nach Jahrzehnten des Stillstands bitter nötig: Europas Wirtschaft verliert im Tech-Sektor den Anschluss, wie der neue Draghi-Bericht aus dem September zeigt. Wenn wir den europäischen Standort und damit unseren Wohlstand erhalten wollen, braucht es auf EU-Ebene tiefgreifende Änderungen bei der Regulierung, der Geschwindigkeit der Umsetzung und beim Bürokratieabbau.

"Die KI-Entwicklung in Europa braucht ausreichend Finanzierung mit Wagniskapital."

Dr. Anna Christmann

ist Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen und Beauftragte des Bundeswirtschaftsministeriums für die Digitale Wirtschaft und Start-ups

Seit Jahren ist überall zu lesen: KI hat das Potenzial, die Innovationskraft der Wirtschaft erheblich zu steigern. Was das konkret für Unternehmen bedeutet, ist aber häufig nicht so offensichtlich. Es kostet Zeit, Geld und Nerven, um Anwendungsfälle im eigenen Geschäftsbereich zu identifizieren und umzusetzen. Was Unternehmen jedoch wissen: Innovation ist seit jeher ein zentraler Erfolgsfaktor. Und deshalb ist es entscheidend, das Innovationspotenzial von KI und die gerade zum Standardwerkzeug werdenden großen Sprachmodelle zu nutzen.

Dafür gilt es, ein gutes Umfeld zu schaffen. In Europa haben wir mit der KI-Verordnung den rechtlichen Rahmen entwickelt. Neben einer innovationsfreundlichen Umsetzung rückt nun aber umso mehr die Entwicklung und Anwendung von KI „made in Europe“ in den Mittelpunkt. Wir können dabei auf eine steigende Nutzung von KI auch in deutschen Unternehmen bauen – 27 Prozent der Unternehmen hierzulande setzen KI in ihren Prozessen und Produkten aktuell ein, während es im Vorjahr noch etwa 13 Prozent waren.

KMU und Start-ups zusammenbringen

Wie unterstützen wir dabei die Nutzung von KI in den Unternehmen? Wichtig ist die Zusammenarbeit mit Start-ups und KI-Spezialisten, die KI-Dienstleistungen zur Effizienzsteigerung anbieten oder bei der Implementierung von KI-Modellen im eigenen Unternehmen helfen. Hier besteht großes Potenzial, um zur weiteren Digitalisierung des Mittelstands beizutragen. So haben laut einer Studie des RKW Kompetenzzentrums 42 Prozent der befragten kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) mit einem Start-up zusammengearbeitet – die Erschließung neuer Technologien oder die Entwicklung einer Produktinnovation werden hier als zentrale Motive der Zusammenarbeit genannt. Seitens des Bundes tragen wir zur Lösung bei: Der „Start-up Finder“ der Digital Hubs ist ein konkretes Instrument, welches die Vermittlung zwischen KMU und Start-ups erleichtert, während die Mittelstandsdigitalzentren KMU für die Potenziale der Digitalisierung sensibilisieren. Hinzu kommen Maßnahmen, um Ausgründungen aus der Wissenschaft zu erhöhen, zum Beispiel die Start- up-Factories, die im Rahmen des Exist-Programms hochschulnahe Gründungszentren etablieren werden.

Privates Kapital mobilisieren

Vor allem braucht die KI-Entwicklung in Europa aber ausreichend Finanzierung mit Wagniskapital, um die Technologieunternehmen in Deutschland wachsen zu lassen. Auch hier setzt der Staat an: Im Rahmen des Zukunftsfonds von insgesamt zehn Milliarden Euro nehmen KI-Technologien einen entscheidenden Platz ein. Öffentliche Fonds wie der „High-Tech Gründerfonds“, der neue „Deep Tech & Climate Fonds“ sowie der „Wachstumsfonds Deutschland“ haben in den letzten Jahren erheblich zur Verfügbarkeit von
Kapital beigetragen und privates Kapital mobilisiert. Vor allem in späteren Phasen, in denen Unternehmen größere Summen benötigen, haben wir in Deutschland viel aufzuholen. Daher bekommt die KfW Capital nun die Möglichkeit, Direktinvestments durchzuführen, insbesondere für spätere
Wachstumsphasen und gezielt im Bereich KI. Es tut sich also was in Deutschland. Jetzt geht es an die Umsetzung – dafür brauchen wir innovatives Denken und mutiges Vorangehen, also das, wodurch der deutsche Mittelstand überhaupt entstanden ist.