Ein Porträt von Christoph Straub
10.06.2019    Arne Gottschalck
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Ein Konferenzraum im zehnten Stock eines Hamburger Büroturms, mit Blick ins Grau des norddeutschen Vorfrühlings. Professor Christoph Straub ist Vorstand der BARMER und will einiges bewegen, auch digital. Und er hat klare Vorstellungen von dieser digitalen Zukunft. Sie liegt nicht im Silicon Valley.

Zur Person

Ein Portrait von Dr. Christoph Staub

Professor Dr. Christoph Straub

Seit Sommer 2011 ist Straub Vorstandsvorsitzender der BARMER. Auch zuvor war der Mediziner in der Gesundheitsbranche aktiv, etwa von 2009 bis 2011 als Vorstand der Rhön Klinikum AG.

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Der digitale Wandel ist allerorten präsent. Wie weit ist das deutsche Gesundheitswesen in Sachen E-Health?

Christoph Straub: Keine Frage, es gibt Länder, die in diesem Punkt weiter sind als Deutschland, etwa Estland oder Dänemark. Aber die Politik hierzulande gibt jetzt Gas. Gerade Gesundheitsminister Jens Spahn bewegt einiges. Ein so tiefgehender Wandel dauert seine Zeit. Immerhin muss die entsprechende Infrastruktur geschaffen werden, allen voran eine leistungsstarke Datenautobahn.

Inwieweit ist E-Health mehr als ein bloßes Buzzword? Welchen echten Mehrwert bringt die Digita­lisierung des Gesundheitswesens?

Straub: Nutznießer ist der Patient, vor allem weil kein für die Behandlung relevantes Wissen mehr verloren geht. Denn E-Health sorgt dafür, dass seine Krankengeschichte dokumentiert wird und nichts abhan­denkommen kann. Jeder behandelnde Arzt kann auf jedes Röntgenbild, jeden Laborwert zugreifen. Zudem müssen die Unterlagen nicht mühsam hin- und hergeschickt werden. Das spart die klassische „Papierarbeit“.

Kommt das so auch beim Patienten an?

Straub: Definitiv! Für die Patienten, insbesondere wenn sie schwer krank sind, bringt E-Health viele Vorteile. Schließlich wird der Austausch zwischen 
den ärztlichen Disziplinen leichter. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Schnittstelle zwischen Praxis und Klinik. Befunde könnten bereits komplett im Krankenhaus sein, sobald der Patient von einer Haus- oder Fach­arzt-Praxis überwiesen wird. Dieses bessere Infor­mationsmanagement ist die Basis für bessere Behandlungsergebnisse.

Was bedeutet die Entwicklung für gesetzliche Krankenkassen wie die BARMER?

Straub: In den nächsten zehn Jahren wird sich mehr verändern als in den 100 Jahren davor. Das heißt, dass sich nicht nur wir, sondern alle Akteure im Gesundheitswesen schneller anpassen müssen als je zuvor. Diesen Weg gehen wir als Kasse schon seit geraumer Zeit und gestalten damit die Digitalisierung im Gesundheitswesen aktiv mit. Konkret bedeutet 
es, dass wir unseren Versicherten mehr digitale Angebote bieten wollen – sofern sie einen tatsächlichen Nutzen haben. Hier setzen wir vor allem auf das Thema Prävention. Dazu haben wir zum Beispiel Apps, die bei Stress, Kopf- und Rückenschmerzen helfen. Ein anderes Beispiel sind Krankmeldungen.

„E-Health verschafft Deutschland einen Standortvorteil.“

Der gelbe Zettel.

Straub: Genau der. Wir waren die erste Krankenkasse, bei der die Krankmeldung digital eingereicht werden kann. Es genügt, die Bescheinigung per ­Smartphone abzufotografieren, als Bilddatei an uns zu schicken, fertig. Die nächsten Ausbaustufen sind schon in Arbeit. Dann soll die AU-Meldung von der Praxis direkt zur BARMER und zum Arbeitgeber gelangen. Aber auch im Bereich Pflege wird die Digitalisierung immer präsenter. Es gibt schon jetzt Tech-Anwendungen, die alte Menschen wieder in Bewegung bringen, zum Beispiel die MemoreBox. Das ist eine Art Spielekonsole, mit der man ein virtuelles Motorrad lenkt und sich dazu nach links oder rechts lehnen muss. Die BARMER hat hierzu eine entsprechende Kooperation. Doch in Ländern wie Japan ist man noch weiter. Hier sind sogar Pflegeroboter akzeptiert. Wir kooperieren in diesem Bereich mit der Technischen Universität Ilmenau. Weitere Themen sind Telemedizin, die Ferndiagnose und die elektronische Patientenakte. Aber auch die BARMER selbst wird immer digitaler. Innerhalb der BARMER arbeiten wir komplett papierlos. Natürlich erhalten wir jeden Tag noch viele Tausend Briefe, die werden jedoch in wenigen Sekunden automatisch eingescannt. Da unsere Versicherten vieles bereits online erledigen können, nimmt die Zahl der Briefe aber kontinuierlich ab.

Wie muss eine Krankenkasse aufgestellt sein, um mit der Fülle der Aufgaben zurechtzukommen?

Straub: Klar ist, dass große Kassen die Entwicklung besser vorantreiben können, allein schon wegen des hier verfügbaren Know-hows und der Personalstärke. Voraussetzung muss aber bei allen Entwicklungen sein, dass der Datenschutz gewährleistet ist. Die ­Kunden erwarten, dass vieles digital machbar ist. Es sollte allerdings auch alles einen Nutzen für sie haben. Wir haben deshalb in einen Venture-Capital-Fonds investiert, der in diesem Bereich aktiv ist. Und wir beraten vielversprechende Start-ups. Auf diese ­Weise können wir einerseits Trends frühzeitig auf­spüren und andererseits das Verständnis der Start-up-Szene für den schwierigen Markt der gesetzlichen Kran­kenversicherung stärken. So können wir ihren innovativen Produkten zur Marktreife verhelfen. Davon profitieren wiederum unsere Versicherten, indem sie möglichst früh an digitalen Angeboten teil­haben können.

Wie steht es um die Krankenhäuser?

Straub: Hier ist Interoperabilität das Schlagwort. Wenn alles von einem System erfasst wird, sei es in der Verwaltung oder auch in Operationssälen, steigert das die Effizienz.

Krankenhäuser werden als Profitcenter geführt. Werden Kliniken schließen, wenn die Prävention ­immer besser wird oder sich die Krankenhausauf­enthalte durch Invasivmedizin verkürzen?

Straub: Zunächst haben wir eine Gesundheitsversorgung, die weltweit führend ist. Allerdings müssen wir alle umdenken. Ich glaube, dass mehr Prävention dazu führen wird, dass moderne Systeme etwa bei drohenden Herzinfarkten oder Schlaganfällen schneller anschlagen und Kliniken bei Warnsignalen mehr und früher aktiv werden können.

Hat E-Health das Potenzial, Deutschland so etwas wie einen Standortvorteil zu verschaffen? Oder werden wir eher dauerhaft hinterherhinken?

Straub: Ich denke, E-Health verschafft Deutschland einen Standortvorteil. Einfach, weil unser spezifischer rechtlicher Rahmen für Datensicherheit sorgt. Und die ist nun einmal ein entscheidendes Kriterium, wenn es um sensible Daten wie die von Patienten geht. Die informationelle Selbstbestimmung ist ja hierzulande ein grundgesetzlich geschütztes hohes Gut. Doch 
wenn man es schafft, Datensicherheit mit Forschung klug zu kombinieren, könnte das deutsche Modell, wenn denn die Infrastruktur geschaffen ist, uns einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil sichern. Denn aus Patientendaten würden Forschungsdaten, die wiederum allen zugutekämen. Da schlummert ein gigantischer Daten-Rohstoff, der von knapp 83 Millionen Deutschen gespeist wird. Je mehr digital nutzbare Daten das deutsche Gesundheitssystem produziert, desto besser für den Standort Deutschland. Wichtig ist eine Prämisse bei all den Überlegungen zu Big Data und Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen: Es geht immer um anonymisierte Daten, die keine Rückschlüsse auf einzelne Patienten zulassen und weder direkt noch indirekt gegen den Einzelnen verwendet werden dürfen. Wir könnten damit Krankheiten besser erforschen, verstehen und behandeln.

Entscheidend dafür ist ...

Straub: … die Cloud! Wenn die Daten dort lagern, lässt sich von überall darauf zugreifen. Dazu muss aber der Server – Stichwort Datensicherheit – in Europa stehen. Das Modell, Datensicherheit, Gesundheit und Medizin zu kombinieren, könnte sich zum digi
talen Exportschlager aufschwingen.

„In den nächsten zehn Jahren wird sich mehr verändern als in den 100 Jahren davor.“

Drehen wir den Gedanken einmal um: Wenn Gesundheitsanbieter digitaler werden können, dann kön
nen große Tech-Konzerne erst recht „in Gesundheit machen“.

Straub: Warum „können“? Sie tun es heute bereits! Dass Amazon, Apple & Co. zu Gesundheitsdienstleistern werden, ist eine klar auszumachende Perspek­tive. Schließlich ist der Gesundheitsmarkt sehr groß und attraktiv. Die Frage ist nur, ob das auch für Deutschland reicht. Angesichts unseres strengen Datenschutzrahmens bin ich da skeptisch.

Das Silicon Valley jagt Ihnen keine Angst ein?

Straub: Nein, wir Krankenkassen leisten ja eine 
Art mittelbare Staatsverwaltung. Wir haben vom Staat eine bestimmte Aufgabe bekommen. Um diese Aufgabe auf Unternehmen aus Amerika oder Kalifornien übertragen zu können, wäre es notwendig, das ganze System anders aufzustellen. Dass es dazu kommt, ist jedoch unwahrscheinlich. Partnerschaften auf bestimmten digitalen Gebieten kann ich mir hingegen durchaus vorstellen. Nicht zu vernachlässigen ist es auch, dass Unternehmen der freien Wirtschaft den Druck auf das Gesundheitssystem erhöhen, weil sie den Bedarf der Patienten an neuen Produkten oder Dienstleistungen wecken. Angst löst das sicher nicht aus, aber es steigert den Veränderungsdruck.

10.06.2019    Arne Gottschalck
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