Bundestagswahl 2025

Sahra Wagenknecht, BSW: „Deutschland leidet unter ineffizienten und bürgerfernen Behörden“

Zum ersten Mal bei der Bundestagswahl dabei und indirekt schon ein alter Hase. Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist angetreten, um die etablieren Parteien herauszufordern. Während die Partei bei den letzten Landtagswahlen zweistellige Ergebnisse bis zu 15 Prozent einfuhr, geht es diesmal um den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde.

Ein Portrait von Sahra Wagenknecht.

10.02.2025

Unter dem Titel „Hören Sie uns?“ hat DUP UNTERNEHMER die Fragen einiger Spitzenverbände zu den Themen Wirtschaft, Steuern, Digitalisierung und Energiepolitik gesammelt und sie den Spitzen- und Kanzlerkandidatinnen sowie -kandidaten der demokratischen Parteien gestellt. Erfreulich: Fast alle haben geantwortet – bis auf Bundeskanzler Scholz und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU).

Marie-Theres Husken: Der Investitionsbedarf in Deutschland staut sich auf mehrere Hundert Milliarden Euro. Wie stellen Sie sicher, dass in der nächsten Legislatur in diesem Rahmen investiert wird? Muss die Schuldenbremse dazu modifiziert werden?  

Sahra Wagenknecht: Deutschland verspielt seine Zukunft, weil jahrelang zu wenig investiert und Infrastrukturen auf Verschleiß gefahren wurden. Um Deutschland wieder zukunftsfähig zu machen, will das BSW umfassende Milliarden-Investitionsprogramme auflegen; zum Erhalt und Umbau unserer Industrie, für Klimaschutz und Energiewende, aber auch für Digitalisierung und Innovationsförderung. So wollen wir unter anderem die Ausgaben für Forschung und Entwicklung von heute 3,1 Prozent des BIP bis 2030 auf 4 Prozent der Wirtschaftsleistung steigern. Zudem will das BSW eine Infrastruktur-Garantie für die öffentliche Daseinsvorsorge, um Investitionen unter anderem in leistungsfähige Infrastrukturen – Verkehrswege, Energie- und Wasserversorgung – sowie moderne Gesundheitsversorgung, Bildungs- und Verwaltungssysteme dauerhaft abzusichern.
 
Investitionen in diesem Umfang müssen kreditfinanziert werden. Um der öffentlichen Hand die nötigen Spielräume zu geben, fordert das BSW eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, die eine Investitions- und Wachstumsbremse ist. Mit der Einführung einer „Goldenen Regel“ sollen notwendige öffentliche Investitionen aus der Schuldenbremse ausgeklammert werden. Dies ist volkswirtschaftlich und politisch vernünftig, da so Wirtschaftswachstum, eine leistungsfähige öffentliche Daseinsvorsorge und gesellschaftlicher Zusammenhalt gesichert werden.

Inken Patermann: Wie planen Sie, die Steuerlast für KMU zu reduzieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und deren Innovationsfähigkeit zu fördern?

Wagenknecht: Das deutsche Steuersystem ist ungerecht und ineffizient: Es bestraft die Fleißigen und belohnt große und leistungslos erworbene Vermögen – bei Privatpersonen wie Unternehmen. Dadurch gehen dem Fiskus Milliarden verloren, die unter anderem für Investitionen oder auch für Fördermaßnahmen für KMU, die das Rückgrat unserer Wirtschaft sind, fehlen. Das BSW will eine umfassende Steuerreform umsetzen, das Arbeit ent- und große Vermögen durch Wiedereinführung einer Vermögenssteuer sowie Kapitaleinkünfte stärker belastet. Zudem wollen wir Steuerschlupflöcher schließen, die vor allem von (auch ausländischen) Großkonzernen genutzt werden, und die diesen einen immensen Steuervorteil gegenüber KMU gewähren. Damit muss Schluss sein! Wir setzen uns dafür ein, dass Konzerne für ihre Aktivitäten in Deutschland steuerlich ebenso hoch belastet werden wie mittelständische Betriebe. Zugleich wollen wir Firmeninhabern mit einer neuen Rechtsform des Verantwortungseigentums die Möglichkeit geben, durch Umwandlung ihres Unternehmens in eine „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ Liquiditätsabfluss zu vermeiden und außerdem den Fortbestand der Firma auch ohne familieninterne Nachfolger abzusichern.
Zur Förderung des Mittelstands ist die Herstellung von Steuergerechtigkeit zwischen Konzernen und KMU zentral. Darüber hinaus wollen wir KMU, ihre Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit aber primär durch gezielte Innovationsförderprogramme stärken sowie durch einen substanziellen Bürokratieabbau entlasten.

Dirk Freytag: Wie planen Sie konkret die Struktur und Aufgaben der deutschen Behörden zu reformieren, um Verfahren zu vereinfachen, Austausch und Beratung sowie Innovation in den Mittelpunkt zu stellen (z.B. im Datenschutz) und dadurch Unternehmen und Bürger und Bürgerinnen zu entlasten?

Wagenknecht: Deutschland leidet unter ineffizienten und bürgerfernen Behörden. Um Leistungen oder Genehmigungen zu erhalten, müssen sich Bürger und Unternehmen buchstäblich durch Papierberge aus Formularen kämpfen und lange Bearbeitungszeiten einkalkulieren. Nach Schätzungen schmälern ineffiziente Verwaltungen und bürokratische Auflagen die deutsche Wirtschaftsleistung um 146 Milliarden Euro pro Jahr. Das BSW will dies mit einem Dreiklang aus Digitalisierung, Bürokratieabbau und Verwaltungsreform beenden:
 
Wir wollen die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung deutlich beschleunigen, um effizientere und schnellere Prozesse sowie verminderte Bürokratielasten zu gewährleisten: Wir wollen unter anderem ein zentrales Online-Portal für Bürger und Unternehmen als „One-Stop-Shop“ mit „Once-only-Prinzip“ für alle behördlichen Dienstleistungen einrichten. KMU wollen wir stärker von Berichts- und Dokumentationspflichten befreien, deren Bearbeitung gerade kleinere Betriebe überfordert und so die „eigentliche“ Wirtschaftstätigkeit und Innovationsfähigkeit behindert. Ein großer Teil der bürokratischen Lasten hat ihren Ursprung im EU-Recht. Das BSW lehnt daher die Übererfüllung von EU-Standards bei der Umsetzung in deutsches Recht ab und will EU-Auflagen, die Unternehmen übermäßig belasten und deren Nutzen fragwürdig ist, nicht mehr in nationales Recht übernehmen.
 
Für die Verwaltungen fordern wir einen halbjährlichen „Tag der Entrümpelung“ zur Evaluierung, welche Regeln und Richtlinien nicht mehr gebraucht werden und wie Verfahren und Prozesse vereinfacht und beschleunigt werden können. Auch die Verwaltung selbst braucht eine Strukturreform. So ist etwa die Zahl der Beamten in den Bundesministerien seit 2013 um fast 45 Prozent gestiegen, während bürgernahe Verwaltungen unterbesetzt sind. Wir wollen daher unnötige Stellen in Ministerien ab- und dafür dort aufbauen, wo Bürger und Wirtschaft mehr Service und Unterstützung brauchen.

Dirk Freytag: Wie werden Sie mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit Deutschlands einen stärkeren Gestaltungsspielraum etablieren, der insbesondere ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen datengetriebener Innovation und dem Schutz von Daten sicherstellt?

Wagenknecht: Das BSW will sowohl die Digitalisierung und digitale Innovation voranbringen, als auch den Datenschutz der Bürger und die Daten-Souveränität Deutschlands sicherstellen. Um diesen „Spagat“ zu bewältigen, müssen wir einen neuen Weg der Digitalisierung einschlagen und die Politik entsprechende Rahmenbedingungen setzen: Wir wollen, dass sich Deutschland im EU-Rahmen für den Aufbau einer eigenständigen digitalen Infrastruktur einsetzt, die die Bürger vor Überwachung schützt und auch Unternehmen und öffentliche Verwaltungen aus der Abhängigkeit von (US-amerikanischen) Tech-Konzernen befreit. Wir wollen unter anderem die Entwicklung und den Einsatz von Open-Source-Software sowie frei verfügbarer KI-Modelle für Anwendungen in Wissenschaft, Bildung, Kultur und öffentlicher Verwaltung fördern.

Wolfram Axthelm: Welche Maßnahmen muss die nächste Bundesregierung ergreifen, um die Cybersicherheit in der Kritischen Infrastruktur zu gewährleisten?

Wagenknecht: Die Bedrohungslage im Bereich der Cybersicherheit ist und bleibt hoch, kritische Infrastrukturen und auch staatliche Verwaltungsstrukturen auf allen Ebenen sind Ziel von Cyberattacken. Großflächige oder anhaltende Ausfälle sind wahrscheinlicher geworden – und damit einhergehend ebenso massive volkswirtschaftliche Schäden und eine reale Destabilisierungsgefahr. Es ist die Aufgabe des Staates, bestmögliche IT-Sicherheit in allen Bereichen zu gewährleisten. Die Infrastruktur-Garantie des BSW schließt daher die Bereitstellung einer effektiven Cybersicherheit als unerlässlicher Aufgabe ein.
 
Das BSW will daher in diesem Rahmen ein flächendeckendes, verbessertes IT-Sicherheitsniveau für Verwaltungen wie Unternehmen aufbauen. Um Kommunen oder auch KMU in die Lage zu versetzen, die höheren und verbindlichen Sicherheitsstandards zu gewährleisten, wollen wir leistungsfähige Beratungs- und Hilfsangebote bereitstellen, Cyberabwehr und die Intervention bei Sicherheitsnotfällen durch spezialisierte Einrichtungen auf Länderebene voranbringen. Die Sicherheitsbehörden müssen mit modernen Einsatzmitteln und IT ausgestattet werden. Zudem wollen wir bestehende Dialogforen und Konsultationsverfahren zwischen staatlichen (Sicherheits-)Behörden, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren wie unter anderem die AG KRITIS verstetigen und ausbauen, um bessere Einschätzungen der Bedrohungslage zu bekommen und unterschiedliche Szenarien bundes- und landesweiter Gefahren- und Risikoanalysen mit darauf aufbauenden, stets aktuellen Interventionskonzepten zu entwickeln.

Wolfram Axthelm: Welche Maßnahmen wollen die Parteien ergreifen, um den Industriestandort Deutschland mit Blick auf die Erneuerbaren Energien zu sichern?

Wagenknecht: Das BSW steht zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Der größte Beitrag zum Klimaschutz, den ein Hochtechnologie- und Industrieland wie Deutschland leisten kann, besteht in der Entwicklung von Innovationen und Zukunftstechnologien für eine ressourcenschonende, klimaneutrale und umweltverträgliche Wirtschaft. Die letzten Regierungen – insbesondere die Ampel-Regierung – sind an dieser Herausforderung gescheitert. Ihre undurchdachten und handwerklich schlechten industriepolitischen Maßnahmen sowie die verfehlte Energiepolitik gefährden unsere industrielle Basis und den Wirtschaftsstandort Deutschland.
 
Das BSW will demgegenüber eine aktive Industriepolitik umsetzen, die darauf abzielt, Industrien zu erhalten und umzubauen sowie technologieoffen Innovationen für die Erreichung der Klimaziele fördert. Das BSW unterstützt den Ausbau erneuerbarer Energien, unter anderem durch ein „Repowering“-Programm zur Ersetzung alter durch effizientere neue Windkraftanlagen. Zudem wollen wir die Weiterentwicklung von Speichertechnologien und grünem Wasserstoff fördern sowie das große Potenzial der Geothermie.
 
Um diese Maßnahmen umzusetzen, brauchen wir gezielte Innovationsförderprogramme für die Wirtschaft, aber auch mehr und finanziell abgesicherte öffentliche Programme für Forschung und Entwicklung. Außerdem wollen wir einen Industriefonds auflegen, der Zukunftsbranchen, Schlüsselindustrien und innovative Start-ups mit „geduldigem Kapital“ versorgt.

Marie-Theres Husken: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um den Dreiklang aus Energiewende, Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähigen Energiekosten zu bewältigen?

Wagenknecht: Die aktuelle deutsche Energiepolitik hat die Preise hochgetrieben. Sie belasten Verbraucher wie auch Wirtschaft und Industrie, die dadurch einen erheblichen Wettbewerbsnachteil – etwa gegenüber US-amerikanischen oder chinesischen Unternehmen – haben. Deshalb setzt sich das BSW für eine Energiepolitik ein, die niedrige Preise und Versorgungssicherheit mit einer durchdachten Klimaschutzpolitik verbindet:
 
Maßnahmen, die das Leben der Menschen nur verteuern und unsere Wirtschaft gefährden, ohne signifikante positive Auswirkungen für das Klima zu haben, lehnen wir ab. Wir wollen das handwerklich schlechte „Heizungsgesetz“ und das Verbrenner-Aus wieder kassieren, und deshalb lehnen wir die CO2-Bepreisung ab. Wir setzen stattdessen auf technologische Innovationen und den Ausbau erneuerbarer Energien. Zudem wollen wir die dezentrale und lokale Energieversorgung zum Beispiel durch Stadtwerke stärken und – um Preise stabil zu halten und Investitionen in Effizienz und Klimaschutz zu sichern – die Netzinfrastruktur in die öffentliche Hand rücküberführen. Eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge.
 
Mittelfristig können erneuerbare Energien die Bedarfe in Deutschland aber nicht decken. Deshalb brauchen wir Gas weiterhin als Brückentechnologie. Deshalb wird das BSW den geplanten Rückbau der Gasnetze in Deutschland stoppen. Den Neubau konventioneller Atomkraftwerke lehnen wir ab. Zudem wird Deutschland weiterhin auf Energieimporte angewiesen bleiben. Wir setzen auf eine Diversifizierung unserer Energieimporte mit langfristigen Verträgen und günstigen Preisen. Für unsere Versorgungssicherheit ist es aber unerlässlich, dass die Bundesregierung Verhandlungen mit Russland beginnt, damit russische Gaslieferungen wieder aufgenommen werden. Diese sind nicht nur billiger, sondern weitaus weniger klimaschädlich als gefracktes LNG aus den USA.

Ein Portrait von Sahra Wagenknecht.

Sahra Wagenknecht

ist Spitzenkandidatin, Vorsitzende und Gründerin des Bündnisses Sahra Wagenknecht. Seit September 2009 ist Wagenknecht Abgeordnete des Bundestags, bis Januar 2024 gehörte sie der Partei Die Linke an