Laut einer aktuellen DIHK-Umfrage blicken fast 90 Prozent der Unternehmen pessimistisch in die Zukunft. Besonders belastend seien unklare wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, hohe Energiepreise und ausufernde Bürokratie. Dr. Helena Melnikov, seit Anfang des Jahres Hauptgeschäftsführerin der DIHK, fordert im Interview mit DUP UNTERNEHMER von der neuen Regierung eine sofortige Unternehmenssteuerreform, den entschlossenen Abbau von Vorschriften, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie gezielte Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Auch das kürzlich beschlossene Milliardenpaket der Bundesregierung bezeichnet Melnikov als unzureichend.
DUP UNTERNEHMER-Magazin: Laut einer DIHK-Umfrage erleben fast 90 Prozent der Unternehmen eine Verschlechterung des Standorts Deutschland. Welche Faktoren sind dabei am problematischsten – und wie kann gegengesteuert werden?
Dr. Helena Melnikov: Unsere letzte Konjunkturumfrage stammt aus dem Januar dieses Jahres. Damals war die Verunsicherung bei den Unternehmen hoch: Fast jedes dritte der beteiligten rund 23.000 Unternehmen hat sorgenvoll in die Zukunft geblickt. Die nächsten Umfragedaten werten wir im Mai aus. Doch eine große Verbesserung der Lage erwarten wir auch hier nicht. Als größte Geschäftsrisiken nannten die meisten Unternehmen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung. Hier hat die Politik in den vergangenen Wochen nicht gerade Vertrauen aufgebaut: Erst Reformversprechen im Wahlkampf und dann das Schuldenpaket, verbunden mit einer kompletten der Kehrtwende der CDU in ihrer Finanzpolitik. Die Unternehmen brauchen jetzt endlich wieder Planungssicherheit!
Die DIHK hat fünf zentrale Maßnahmen vorgeschlagen, um aus der wirtschaftlichen Stagnation auszubrechen. Können Sie die Kernpunkte dieser Strategie erläutern und welche Hebel am schnellsten Wirkung zeigen könnten?
Melnikov: Wir haben zur Bundestagswahl fünf Power-Punkte für Wachstum veröffentlicht. Darauf kommt es jetzt nach dem Beschluss über das größte Schuldenpaket unserer Geschichte mehr denn je an. Es geht um die Themen, die die neue Bundesregierung aus unserer Sicht in den Fokus ihrer Wirtschaftspolitik stellen sollte, damit die Wirtschaft mittelfristig schneller wächst als die Kreditzinsen: konsequenter Bürokratieabbau, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel und Entlastungen der Unternehmen bei Energiepreisen und Steuern. Viele Punkte lassen sich sofort anstoßen und bringen schnell spürbare Effekte.
Nach zuletzt eher schwierigen Jahren hoffen Unternehmen auf eine wirtschaftsfreundlichere Politik. Welche politischen Weichenstellungen sind aus Ihrer Sicht in den ersten 100 Tagen der neuen Regierung unverzichtbar?
Melnikov: Die DIHK hat zwölf Punkte zusammengestellt, die die neue Bundesregierung in ihren ersten 100 Tagen umsetzen kann. Sie sind pragmatisch, effizient und zum Teil ohne zusätzliche Kosten realisierbar. Eine zentrale Stellschraube ist dabei eine echte Unternehmenssteuerreform. Wettbewerbsfähige Steuerlasten sind entscheidend, damit Unternehmen in Deutschland investieren, Arbeitsplätze sichern und neue Technologien vorantreiben. Erste wirkungsvolle Schritte wären die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags und schnellere steuerliche Abschreibungen. Zur Beschleunigung der aktuell oft langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen bereits bestehende Vereinfachungen, beispielsweise für LNG-Terminals oder Windräder, auf alle Infrastrukturprojekte und Bauvorhaben ausgeweitet werden. Auch die im Sondierungspapier angekündigte Senkung der Stromsteuer und der staatliche Zuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten muss schnellstmöglich umgesetzt werden. Jetzt ist der Moment, ein starkes Signal zu senden: Weniger Kosten, mehr Tempo und vor allem wieder mehr unternehmerische Freiheit.
Wie blicken Sie auf das Milliardenpaket der Bundesregierung?
Melnikov: Als das Milliardenpaket verkündet wurde, waren viele in der Wirtschaft vor den Kopf gestoßen. Die Unternehmen haben auf einen Politikwechsel gewartet, denn Geld allein macht keine Wirtschaftspolitik. Nötig sind klare Reformmaßnahmen, die ein selbst tragendes Wachstum in Deutschland tatsächlich ermöglichen. Diese müssen nun dringend folgen! Nur mit einem Wachstumspfad von durchschnittlich zwei Prozent über die kommenden Jahre in Verbindung mit effizienten öffentlichen Investitionen können wir eine gute Perspektive für unser Land erreichen.
Die deutsche Wirtschaft leidet unter wachsender Bürokratie, und die Unternehmen fordern spürbare Entlastungen. Welche konkreten Maßnahmen erwarten Sie von der neuen Bundesregierung, um den Bürokratieabbau endlich wirkungsvoll umzusetzen?
Melnikov: Unternehmen fühlen sich erdrückt von dem Wust an Regulierungen, der sich insbesondere in den vergangenen fünf Jahren über sie gewälzt hat. Regulierung sollte unternehmerisches Engagement ermöglichen und ermutigen, darf es aber keinesfalls ersticken. Die Politik muss jetzt massiv Vorschriften abbauen – also mutig streichen und weglassen. So sollte das deutsche Lieferkettengesetz abgeschafft und Berichtspflichten begrenzt werden. Die Belastung der Unternehmen durch übertriebene Ausgestaltungen bei den Umsetzungsplänen für Energieeffizienz oder Abwärme-Meldepflichten muss beendet werden. Um Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, sollte die Politik den „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“ von Bund und Ländern endlich vollständig umsetzen. Nur so bekommen die Unternehmerinnen und Unternehmer den Freiraum zurück, den sie für Fortschritt, Wachstum und Innovation so dringend brauchen.
Gerade für mittelständische Betriebe ist auch der Fachkräftemangel eine große Herausforderung. Welche gezielten Maßnahmen könnte die Politik ergreifen, um den Mittelstand hier zu unterstützen?
Melnikov: Der Fachkräftemangel betrifft nahezu alle Branchen, von der Industrie über das Gastgewerbe und Handwerk bis hin zu Pflege und Logistik. 43 Prozent der Betriebe können offene Stellen nicht besetzen. Ein zentraler Hebel zur Fachkräftesicherung ist es, die Erwerbsbeteiligung Älterer weiter zu erhöhen. Dazu sollten alle Anreize für einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben abgeschafft werden. Das gilt insbesondere für die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte nach 45 Versicherungsjahren. Betrieben und ihre Mitarbeiter erhalten zudem mehr Flexibilität, wenn es statt der bisherigen täglichen Höchstarbeitszeit nur eine wöchentliche Höchstarbeitszeit gibt. Gleichzeitig ist eine gut gesteuerte Arbeits- und Fachkräftezuwanderung notwendig.
Stichwort Strafzölle: Wie sollten sich deutsche Unternehmen im Zuge der wirtschaftspolitischen Entscheidungen aus den USA und China aufstellen, um trotzdem erfolgreich zu bleiben?
Melnikov: Präsident Trump rüttelt mit seinen Zöllen an den Grundprinzipien des Welthandels. Doch die Antwort darf nicht weniger Globalisierung sein, sondern mehr! Gerade nach dem Wegfall der USA als verlässlicher Partner sind wir gut beraten, unsere Fühler auszustrecken und uns neue Partnerschaften zu suchen. Indien, Indonesien, Afrika – die Welt ist so viel größer als die USA und China. Anstatt uns über Trump zu ärgern, sollten wir uns nun uns darauf konzentrieren, woanders stärker zu werden.
Immer mehr Unternehmen verlagern Teile ihrer Produktion oder Investitionen ins Ausland. Was muss geschehen, damit Deutschland als Wirtschaftsstandort wieder attraktiver wird?
Melnikov: So wie Unternehmen mit Produkten im Wettbewerb stehen, stehen Staaten mit Standortortbedingungen im Wettbewerb. Deshalb ist klar: Kein Unternehmen siedelt sich in einem Land an, wenn es anderswo halb so viel für Energie bezahlt und sich nebenbei auch noch die drei Mitarbeiter spart, die damit beschäftigt sind, den Dokumentationspflichten der EU nachzukommen. Diesen Wettbewerb muss sich die Politik hierzulande bewusst machen und die Bedingungen schaffen, die den Standort für Investoren wieder attraktiv machen. Das betrifft all die Punkte, über die wir schon gesprochen haben: Weniger Kosten, mehr Tempo und vor allem wieder mehr unternehmerische Freiheit. Andere Länder haben das schon lange begriffen und sind hier deutlich weiter.
Viele Unternehmen zögern mit Investitionen aufgrund unsicherer Rahmenbedingungen. Welche Anreize oder Reformen wären notwendig, um wieder mehr Investitionsdynamik zu erzeugen?
Melnikov: Viele Unternehmen zögern mit Investitionen, weil sie sich auf zentrale Rahmenbedingungen nicht mehr verlassen können – etwa bei Energiepreisen, Genehmigungsverfahren oder steuerlichen Belastungen. Was wir jetzt brauchen, ist ein echter Mentalitätswandel: Statt neue Vorhaben durch Misstrauen und Überregulierung auszubremsen, sollte die Politik stärker auf Vertrauen, Eigenverantwortung und verlässliche Rahmenbedingungen setzen. Unternehmen investieren, wenn sie Gestaltungsspielraum und Planungssicherheit haben – nicht, wenn sie sich durch immer neue Detailvorgaben kämpfen müssen. Wer Innovation will, muss auch Freiräume ermöglichen. Ein solcher Kulturwandel wäre ein starkes Signal – und der richtige Impuls für mehr Investitionsdynamik.
Die Unsicherheiten für die Wirtschaft bleiben groß. Welche wirtschaftlichen Entwicklungen erwarten Sie für das kommende Jahr, und wie kann die DIHK dabei unterstützen, positive Impulse zu setzen?
Melnikov: Selten war es so schwierig, Prognosen aufzustellen wie aktuell: Die neue US-Regierung versetzt die Welt mit immer neuen Ankündigungen in Aufruhr, die geopolitischen Risiken belasten auch die Wirtschaft und in Deutschland muss eine neue Bundesregierung nun beweisen, dass sie das Zeug hat, in der Wirtschaftspolitik die Zügel herumzureißen. Aber klar ist schon jetzt: Rosig sind die Aussichten nicht. Wir gehen derzeit für das Gesamtjahr 2025 von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 0,5 Prozent aus. Nach 2023 und 2024 steuern wir damit auf das dritte Rezessionsjahr in Folge zu. Das ist einmalig in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Als DIHK werden wir intensiv das Gespräch mit der neuen Bundesregierung suchen. In der Wirtschaft gibt es viele gute Ideen, um Deutschland wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Und den guten Willen dafür erst recht!