DUP UNTERNEHMER-Magazin: Warum sollten Unternehmen besonders im Winter auf die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden achten?
Volker Grümmer: Psychische Erkrankungen haben sich in den vergangenen
20 Jahren verdoppelt und sind eine der häufigsten Ursachen für Fehltage. Die Gesundheit der Mitarbeitenden sollte deshalb das ganze Jahr über höchste Priorität haben. Besonders im Winter ist der Krankenstand hoch. So leidet in der kalten Jahreszeit nicht selten die Work-Life-Balance, weil niemand gern etwas im Dunklen draußen unternimmt.
Mal ganz abgesehen vom privaten Vorweihnachtsstress warten auch auf der Arbeit noch einige Deadlines auf uns und vor Jahresende muss unbedingt noch der ein oder andere Deal eingesackt werden. Dieses Jahr kommt noch mehr hinzu: Erschreckende Nachrichten aus aller Welt und die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland belasten die Arbeitnehmenden zusätzlich. Deshalb ist es besonders im Winter notwendig, dass sich Unternehmen mehr um das mentale Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden kümmern.
Wie können Sie das tun?
Grümmer: Seit Ende 2013 sind Unternehmen nach §5 des Arbeitsschutzgesetzes verpflichtet, eine psychische Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz durchzuführen. Unabhängig davon können unternehmensweite Mitarbeiterbefragungen sowie der regelmäßige Austausch zwischen Mitarbeitenden und direkter Führungskraft Stressoren frühzeitig aufdecken. Doch alle Beurteilungen und Befragungen können nur positiv wirken, wenn danach auch Taten folgen.
Wie können diese Taten aussehen?
Grümmer: Mitarbeitende sollten dabei unbedingt in die Lösungsfindung einbezogen werden, denn sie wissen am besten, wo und warum die Belastung am größten ist. Dem einen hilft vielleicht eine flexible Arbeitszeitregelung, damit er in der Mittagspause das Tageslicht nutzen und einen längeren Spaziergang machen kann. Die andere hat viel zu viele To-dos auf ihrem Tisch und braucht dringend operative Entlastung. Am wichtigsten ist allerdings, dass an einer offenen Kommunikationskultur gearbeitet wird. Denn nur, wenn Mitarbeitende sich trauen dürfen, über ihre Bedürfnisse und ihre mentale Gesundheit zu sprechen, kann ihnen auch wirklich geholfen werden.
Welche Ansätze bietet Effectory Unternehmen an, um eine umfassende Erfassung der Belastungssituation ihrer Mitarbeitenden zu ermöglichen?
Grümmer: Damit Unternehmen die Belastungssituationen ihrer Mitarbeitenden präventiv erkennen können, bietet Effectory ein Screening für die Psychische Gesundheitsbeurteilung an. Der Vorteil des “Effectorys PsychGB Screenings” liegt darin, dass Unternehmen mit nur zehn Fragen, die nach wissenschaftlich-statistischen Kriterien in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut entwickelt wurden, alle wichtigen Themenbereiche abfragen können. Die Befragung dauert für die Teilnehmenden etwa drei bis fünf Minuten und kann einfach und schnell in eine ohnehin geplante unternehmensweite Mitarbeiterbefragung eingebettet werden. Die Ergebnisse können anschließend analysiert und bewertet werden. Dazu steht auch ein Beratungsteam zur Verfügung. Mit Hilfe der Auswertungen können die Unternehmen dann gezielt Maßnahmen entwickeln und umsetzen.
Wie steht es in diesem Zusammenhang um den Datenschutz?
Grümmer: Psychische Erkrankungen sind leider immer noch mit sehr viel Scham belegt. Mitarbeitende haben Angst, sich zu öffnen, weil sie befürchten, benachteiligt oder verurteilt zu werden. Deshalb ist es neben der Möglichkeit, sich vertrauensvoll an die Vorgesetzten zu wenden, besonders wichtig, sich auch vollständig anonym äußern zu können. Bei allen Mitarbeiterbefragungen von Effectory spielt Datenschutz eine wichtige Rolle. Wenn demographische Daten abgefragt werden, dienen sie zwar der Erkennung von Trends, können aber nicht mit den einzelnen Antworten in Verbindung gebracht werden. Werden Trends, beispielsweise in Bezug auf das Alter der Befragten identifiziert, ist das sehr hilfreich.
Wie können Unternehmen die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden allgemein stärken?
Grümmer: Um die mentale Gesundheit von Mitarbeitenden zu stärken sollten Unternehmen folgende Schritte beachten: Schritt 1: Wie geht es meinen Mitarbeitenden wirklich? Das direkte Gespräch mit Einzelnen ist eine gute Möglichkeit, diese Frage zu beantworten. Ein regelmäßiger, persönlicher Austausch mit allen Mitarbeitenden ist aber sehr zeitaufwendig. Außerdem fühlen sich viele Mitarbeitende unwohl, offen über ihre mentale Gesundheit zu sprechen. Deshalb sollte in regelmäßigen Abständen eine anonyme Mitarbeiterbefragung erfolgen – auch um strukturelle, unternehmensübergreifende Probleme aufzudecken. Schritt 2: Sicherheit und Ressourcen herausfinden. Fühlen sich Beschäftigte sicher, ihre Meinung zu äußern, Ideen auszutauschen und Fehler zuzugeben, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben? Verspüren sie also psychologische Sicherheit? Zweitens: Wie hoch ist die Belastung und haben die Mitarbeitenden genügend Ressourcen zur Verfügung, um sie zu überwinden? Schritt 3: Ursachen ermitteln Wenn eine oder sogar beide Fragen mit “Nein” beantwortet werden, dann müssen die Ursachen ermittelt werden. Sind meine Mitarbeitenden vielleicht mit dem Arbeitspensum überfordert oder langweilen sie sich sogar? Sind die Rollen im Team unklar oder gibt es Konflikte untereinander? Oder lösen die Rahmenbedingungen, wie Arbeitszeiten und -umgebung, Stress aus? Nur wenn Unternehmen die Gründe für die psychische Gefährdung kennen, können auch die richtigen Maßnahmen getroffen werden. Denn diese unterscheiden sich nicht nur von Team zu Team, sondern auch von Mitarbeitendem zu Mitarbeitendem.
Mentale Gesundheit ist für viele ein Tabuthema. Worauf kommt es in der Kommunikation über mentale Gesundheit zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften an, damit sich das ändert?
Grümmer: Am wichtigsten ist eine offene Kultur und Kommunikation auf Augenhöhe. Denn der Grundstein für einen ehrlichen Austausch ist ein Arbeitsumfeld, in dem sich Beschäftigte sicher fühlen, ihre Meinung äußern, Ideen austauschen und Fehler zugeben, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben. Und hier spielen die Führungskräfte eine entscheidende Rolle: Sie müssen bis in die oberste Chefetage als Vorbild agieren und das Mindset einer vertrauensvollen Arbeitsumgebung teilen. Mentale Gesundheit darf für Führungskräfte kein Tabuthema sein, sondern muss ganz weit oben auf ihrer Agenda stehen. Dazu gehört, aktiv und empathisch nachzufragen, eigene Erfahrungen zu teilen und Mitarbeitende zu schützen, wenn sie in einer tiefen Krise stecken.