Schauen wir heute auf Piraterie, nehmen wir dabei meist zwei sehr unterschiedliche Blickwinkel ein: Einerseits romantisierende Filme wie der Epos „Fluch der Karibik“ und dem Protagonisten Jack Sparrow, andererseits die Gesetzlosigkeit und Brutalität realer Piraterie, wie sie an den Küsten Somalias und in Gewässern Asiens heute noch vorkommt. Doch jenseits des nostalgisch verklärten Blicks und abseits der moralischen Fragwürdigkeit und Illegalität von Piraterie, bleibt eines übrig: Piraterie ist eine radikale und konzentrierte Form von Unternehmertum. Und sie zeigt, wie sich Gewinne mit hohen Risiko maximieren lassen.
Was ist der Kern von Unternehmertum?
Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter definiert Unternehmertum mit der Umsetzung von Ideen, die bestehende Strukturen verdrängen und Neues schaffen. Besonderen Fokus legt er auf die Umsetzung, die Innovation, die lässt Altes verschwinden, da Neues entsteht. Bekannt geworden ist dieser Gedanke als „schöpferische Zerstörung“.
Ein Beispiel für Schumpeters Gedanken ist die Verdrängung der Schallplatte durch die CD. Diese damals neue, disruptive Technologie zerstörte blitzschnell eine ganze Industrie. Als das Internet zum Musikträger wurde, kippte schließlich das Geschäftsmodell der ganzen Branche. Die Tauschbörse Napster, ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung, war ein Piratenunternehmen.
Piraten und Unternehmen wollen Gewinne maximieren
Die Gemeinsamkeit von Piraten und Unternehmern ist ihre Motivation: der Gewinn. Dabei müssen Piraten wie Unternehmer Risiken für den Gewinn eingehen. Das unternehmerische Risiko ist das Herzstück des Kapitalismus. Die Formel ist einfach: Je höher das Risiko, desto höher der Gewinn. Deshalb muss der Einsatz des Kapitals mit Risiken und Ergebnissen abgewogen werden. Unternehmerisches Handeln bewegt sich stets in diesem Zielkonflikt.
Das Kapital eines Piraten ist sein Leben. Er geht damit ein maximales Risiko ein. Deshalb ist Piraterie eine extreme Form von Kapitalismus. Piratische Unternehmungen werden immer wieder durch Risikokapital finanziert. Das ist heute teilweise in Somalia so, auch bei den historischen Freibeutern war es der Fall. Die Weltumseglung von Francis Drake war eine solche betriebswirtschaftliche Unternehmung. Er startete 1577 mit fünf Schiffen, um spanische Goldtransporte zu kapern. Finanziert wurde die Expedition durch ein Konsortium aus einflussreichen Geschäftsleuten und Queen Elisabeth I.
Drei Jahre später kehrte Drake mit nur einem Schiff zurück. 80 Prozent des Assets lagen auf dem Meeresgrund. Aber dieses Schiff barg unvorstellbare Schätze: Der Gewinn der Geldgeber lag bei 4.700 Prozent des eingesetzten Kapitals. Das ist mit einer Investition in Start-ups vergleichbar. Die Investitionen sind gewaltig und Ausfallwahrscheinlichkeit bei Unternehmensneugründungen ist hoch. Doch wenn ein Start-up durchkommt, kann die Rendite so hoch sein wie die von Drakes letztem Schiff.
Piraten mit hohem Organisationsgrad
Eine weitere Parallele zwischen Pirat und Entrepreneur ist der Organisationsgrad. Ein Pirat ist kein Einzelkämpfer, er arbeitet in Organisationen mit Strukturen und Hierarchien.
Auf vielen Piratenschiffen gab es Gewaltenteilung. Es gab einen Kapitän, der in kritischen Situationen die absolute Befehlsgewalt hatte. Im Kampf ist das Diskutieren von Entscheidungen lebensgefährlich, dann war straffe Führung erforderlich und gewährleistet.
Dem Kapitän ebenbürtig war der Quartiermeister, der häufig als strukturiert und introvertiert beschrieben wird. Er sorgte für die vernünftige Einteilung von knappen Vorräten, so dass man die nächste Proviantinsel sicher erreichte.
Der Kapitän war verantwortlich, dass Beute gemacht wurde, der Quartiermeister, dass diese gerecht verteilt wurde. Das lag im Interesse der Piratencrew, die meist direkt am Gewinn beteiligt war.
Die Piratenorganisation ermöglichte schnelle wie auch ausgereifte Entscheidungen. Sie lebt von straffer Hierarchie und Mitarbeiterbeteiligung. Diese Mischung aus Agilität und Zielorientierung können heute meist nur noch Start-ups in ihrer frühen Phase realisieren.
Mit einem Monopol den Markt erobern
Piraten haben verstanden, dass sie ihr Glück dort machen können, wo Monopolisten mit überragender Marktposition und überhöhten Preisen erhebliche Gewinne abschöpfen. Eines der größten Monopole der Weltgeschichte war Spaniens Goldtransport aus der Neuen Welt nach Europa. Piraten verstanden es, diesen Goldfluss immer wieder anzuzapfen.
Die Virgin Gruppe des Briten Richard Branson ist ein modernes Piratenunternehmen. Zahlreichen seiner Firmen liegt das Geschäftsmodell zu Grunde, den Platzhirsch im Feld anzugreifen: Mit Virgin Cola ging Branson gegen das Duopol von Coca-Cola und Pepsi Cola vor. Die Attacke ging allerdings schief. Mit Virgin Atlantic griff Branson in den 1980er-Jahren den Monopolisten British Airways an. Er etablierte so vor 40 Jahren eine neue Fluglinie.
Auch das Taximonopol lockt Angreifer. Uber, eine klassische Piratenorganisation, agiert in manchen Staaten am Rande der Legalität. Technische Innovation und eine Portion Risiko machen es möglich. Der Pirat Uber will so das Monopol der Personenbeförderung im Pkw knacken.
Piraten tragen, wenn auch oft mit ungesetzlichen Mitteln, zur Demokratisierung von Wirtschaftssystemen bei. Sie erweitern den Wirtschaftsraum, indem sie die Regeln der Branchen verändern und so die Entwicklung des Kapitalismus beeinflussen. In einer Welt, die eine starke Tendenz zu Monopolen wie Google oder Amazon hat, wünscht man sich wieder mehr Freibeuter.